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Freaks

1932 kamen die Freaks ins Kino. Zweifellos ein Risiko in einer Zeit, die ihre eigene gepflegte Norm und Moral hatte: Der Film zeigte missgestaltete Menschen, vorgeführt als groteske Attraktionen im Wanderzirkus. Da erschrak man, die wollte man nicht sehen, schon gar nicht irgendwie gern haben: War Freaks ursprünglich von Metro-Goldwyn-Mayer (MGM) als konkurrierender Hammerschlag gegen die Horrorerfolge der United Pictures gedacht, – Frankenstein & Co. im Visier – , erwies er sich nicht bloß als Kassengift, er wurde bösen Blickes strikt verboten. Aus. Freaks landete im Keller und wäre eine uralte Wer-was-warum-Filmspule geblieben, hätte man sich nicht ordentlich erinnert. Da war noch Gutes. Einmaliges. Irgendwo im Gewölbe.

Wieder entdeckt wurde damit ein Meisterstück der Kino-Geschichte. Er war mitnichten verstaubt, der Lorbeerkranz für Freaks, Regisseur Tod Browning und Irving Thalberg von MGM. Er war perfekt. Und sei’s auch drum, dass Jahrzehnte verstreichen mussten, bevor man (und vielleicht auch Rivale United Pictures) begann, sich tief und tiefer zu verbeugen.

Einmaliges im Film-Gewölbe

Der Freaks-Macher Tod Browning (1880 – 1962) , kurz vor seinem schockierenden Desaster mit Freaks noch über den grünen Klee in ganz Hollywood für seinen Dracula gelobt, war ein vielbeschäftigter Mann, drehte viel vor 1932 und hätte vermutlich gern noch sehr viel mehr danach gedreht. Freaks hat er wohl tatsächlich verflucht, weil sie ihm das Karriere-Genick gebrochen haben. Freaks hat er gleichwohl mit Sicherheit innig geliebt. Nicht trotzig, sondern aufrichtig. Freaks ist Atemstillstand. Großartig, wenn wieder nach Luft geschnappt wird.

19263
(c) MGM

Längst schon liebevoll restauriert und um ca. 30 Minuten gekürzt, – das restliche Material verschwand im Nirwana -, trat Freaks auch als Mahnmal für Toleranz und Offenheit seinen Siegeszug um den Globus an, kann getrost wieder und wieder neu starten. Die Gemeinde kniet und wartet. Das Horror-Genre ist geduldig, wenn Geduld sich lohnt.

In nur 36 Drehtagen entstand Freaks damals. Schauplatz ist ein Zirkus, die Story: Frieda liebt Hans, beide sind kleinwüchsig, sympathisch und wären das ideale Paar. Hans freilich, plötzlich gut wohlhabend, liebt die Artistin Cleopatra, eine schöne, große, leider auch völlig berechnende Frau, die gemeinsam mit ihrem Geliebten Hercules einen düsteren Plan ausheckt: Sie heiratet Hans, der wird krank (Gift), stirbt, und sie erbt sein Vermögen. Frieda und die Freunde warnen umsonst. Als nach der Hochzeit die Wahrheit ans Licht kommt, – Cleopatra und Hercules verspotten die Freaks -, wird übel Rache genommen. Es ist dunkle Nacht. Man ahn, man hört: Es wird gar schaurig.

Cleopatra endet als krächzendes deformiertes Etwas mit Entenfüßen in einer Schaukiste. Gezeigt wird diese bereits am Anfang des Films, und da wird nach entsetztem Blick auf sie gesagt: „Sie war mal…“

Fürwahr gilt: Eine schaurige Mär. Aber mit Happy End! Frieda kriegt ihren Hans, Clown Phroso seine hübsche Venus. Beide waren immer lieb zu den Andersartigen, das geht (zumindest uns!) mächtig ans Herz, da nicken wir und seufzen gerührt. Richtig so.

Der Film basiert von der Idee her auf der Kurzgeschichte Spurs von Clarence Robbins. Schauplatz ist ein Zirkus, die Akteure sind echt, das Milieu, das Browning aus eigener Erfahrung kannte, ist absolut authentisch. Der Regisseur hatte vor seiner Zeit beim Film auf einem der Jahrmärkte gearbeitet, die Freak-Shows im festen Programm hatten. Diese erfreuten sich im 19. Jahrhundert und noch bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts vor allem in den USA und in England großer Beliebtheit: Man dachte sich nichts groß Moralisches dabei, es war ein florierendes Geschäft mit dem Skurrilen. Die Zurschaustellung deformierter Menschen, oft schon als Kinder von ihren Eltern an den Zirkus verkauft, wurde dann letztendlich aus ethisch verwerflichen Gründen verboten. Bis dahin wurden sie unbekümmert begafft, bestaunt, verlacht und nicht selten als gruselig befunden: Freaks wie Martin Joe Laurello, die „Menschliche Eule“, wie die vierbeinige Amerikanerin Josephine Myrtle Corbin, wie „Hummerjunge“ Grady Stiles, wie das „Bärtige Mädchen“ Annie Jones, die sich öffentlich dafür stark machte, dass Freaks „Menschen mit besonderen physischen Merkmalen“ genannt werden sollten.

Unter diesen besonderen Menschen wählte Tod Browning die für seinen Film gewünschten Akteure aus. Es sind/waren Schauspieler. In erster Linie. Keiner ist ein Weltstar geworden. Keiner der Namen wird heute noch ehrfurchtsvoll geflüstert. Aber sie sind nicht vergessen. Weil niemand vergessen kann, wer Freaks kennt. Wer sie waren, die Freaks in Freaks:

„Menschlicher Wurm“ und „Venus von Milo“

Einer von ihnen war Prince Randian (1871 – 1934) aus British-Guayana , als „lebender Torso“ und „menschlicher Wurm“ auf Jahrmärkten und in der Filmbranche bekannt. 1889 brachte ihn Zirkuspionier P.T. Barnum in die USA, wo er fünfundvierzig Jahre lang als Kuriosität vermarktet wurde. Randian hatte von Geburt an keine Gliedmaßen. In Freaks bewegt er sich auf dem Boden kriechend fort, spielt einen gescheiten Kopf und verblüfft damit, wie er sich mit dem Mund eine Zigarette drehen und anzünden kann.

Randian sprach Hindi, Englisch, Deutsch und Französisch, war verheiratet und hatte fünf Kinder. 1934 kollabierte er nach einem Auftritt und starb.

Die „Siamesische Zwillinge“ (Bicephalie = unvollständige Trennung eineiiger Zwillinge) in Freaks, Daisy und Violet Hilton (1908 – 1965), wurden von der leiblichen Mutter, die sie nicht großziehen konnte/wollte, schon als Babys abgegeben an die Engländerin Mary Hilton, die von Anfang an gutes Geld mit den Mädchen machte. Daisy und Violet, an Hüften und Hinterteilen zusammengewachsen mit einem gemeinsamen Blutkreislauf, wurden auf Ausstellungen vorgeführt und tourten mit der Adoptivmutter durch Australien. Mary Hiltons Tochter Edith Meyers nahm die Kinder mit in die USA, brachte sie auf Jahrmärkten und in Sensationsshows unter und verschaffte sich und ihrem Ehemann durch die Einnahmen eine pompöse Villa.

Mit der Volljährigkeit trieben die Zwillinge ihre Karriere auf eigene Faust voran, wurden als Tänzerinnen und Sängerinnen gebucht und 1932 für Freaks engagiert. Wirklich wunderbar rosig ging es nicht weiter. Zwar traten sie weiterhin auf Bühnen auf und drehten, – letzter Film: Chained for Life(1955) -, aber der echte Erfolg blieb aus. Sie machten einen Hotdog-Stand auf, eröffneten ein Autokino, wurden finanziell betrogen, hatten meist Pech mit den Männern. Einige Affären wurden bekannt, beide heirateten ihre Tanzpartner, die Ehen gingen kaputt, die von Daisy nach nur zwei Wochen. Am vierten Januar 1965 fand man sie tot in ihrem Wohnwagen vor, Daisy soll zuerst gestorben sein.

Die „Lebende Venus von Milo“, Frances Belle O’Connor (1914 – 1982), kam ohne Arme zur Welt. Schon als Kind trat Frances, gemanagt von ihrer ehrgeizigen Mutter, in Shows (z.B. Cole Brothers) und im Zirkus als „Lebende Venus von Milo“ auf. Bis Mitte der 1940er war sie eine der Attraktionen bei Barnum & Bailey. Nach dem Tod der Mutter mied sie die Öffentlichkeit. Sie starb kinderlos.

Die Bärtige Lady Jane Barnell oder Lady Olga (1877 – 1951) war Schauspielerin und Jahrmarktsensation. Über ihre Rolle in Freaks als „Bärtige Lady“ (ihr Künstlername) soll sie sich später geärgert haben. Sie hatte vier Ehemänner und zwei Kinder.

Die Fette Frau spielte Bunny Smith (1901 – 1952) aus Oregon. Sie wurde schon in sehr jungen Jahren immer schwerer und dicker, ging mit dreizehn von der Schule ab und reiste fortan als Schaubuden-Sensation (Sideshows) „Baby Bunny Smith“ und „Fette Zirkusdame“ mit über 230 Kilo durch die Lande. Während der Dreharbeiten zu Freaks lernte sie ihren späteren Ehemann Peter Robinson, das „menschliche Skelett“, kennen. Sie bekamen zwei Kinder. Mit einundfünfzig starb Bunny an einer Herzattacke.

„Baby Bunny Smith“ und „Schlitzie“

Vogelmädchen Minnie Woolsey (1880 – 1960) kam blind und mit Knochenfehlbildungen zur Welt und wurde auf Jahrmärkten als das „Mädchen vom Mars“ angekündigt. Sie blieb, wenn es verlangt wurde, stundenlang völlig regungslos auf einem Stuhl sitzen. In Freaks tanzt Koo-Koo während der Hochzeitsfeier in einem Federkostüm auf dem Tisch.

Angelo Rossitto (1908 -1991), in Freaks der „Kleine Mann“, wurde von John Barrymore entdeckt, dem Großvater der Schauspielerin Drew Barrymore. Er war 88 cm groß, spielte in den 1940ern an der Seite von Bela Lugosi und gehörte viele Jahre zu den vielbeschäftigsten Zwergdarstellern in Hollywood. Seine letzte große Rolle, abseits von seinen zahlreichen TV-Auftritten, hatte er in Mad Max – Jenseits der Donnerkuppel (1985) mit Mel Gibson.

Schlitzie „the Pinhead“ Surtess (1901 – 1971), trat gemeinsam mit den Freaks-Darstellern „Harry Doll“ und dem „Vogelmädchen“ Koo-Koo in den 1920ern im Zirkus Barnum und in Vergnügungsparks auf, bevor Browning ihn in dem Stummfilm The Sideshow (1928) von Erle C. Kenton entdeckte und vier Jahre darauf zu einem seiner liebenswerten Freaks-Stars machte. Schlitzie wurde anschließend in den Filmstudios für die Besetzung kreatürlicher Nebenrollen herumgereicht, so für die des Tiermenschen in Insel der verlorenen Seelen (Regie: Kenton, 1934) mit Carles Laughton und Bela Lugosi.

In Wanderzirkussen und Shows rannte er Hände schüttelnd durch das Publikum, man brachte ihm kleine Sing- und Tanzeinlagen bei, und auf Fotokarten präsentierte man ihn als Shlitze The Pinhead, Last Of The Aztecs, Last Of The Incas, Slitzy The Monkey Girl oder Julius The Missing Link .

Seine Herkunft ist unbekannt. Vermutlich haben die Eltern ihn wegen seines grotesken Äußeren an fahrendes Volk verkauft; er wurde mit einem fehlgebildeten Kopf (Mikrozephalie) geboren und blieb zeitlebens auf dem geistigen Entwicklungsstand eines dreijährigen Kindes. Schlitzie wirkte stets mädchenhaft, trug gern ein hawaiisch „Mu’umu’u“ genanntes Kleid, und bis zu seinem Tod wurde er auf Tingeltangel-Veranstaltungen vorgeführt. Beigesetzt wurde er anonym in einem Grab auf dem Queen Of Heaven Cemetery in Kalifornien, 2008 erhielt er dank einer Spendensammlung auch einen Grabstein.

Schlitzie blieb berühmt: Als Halloweenmaske, aufgedruckt auf T-Shirts und als Comicfigur Zippy the Pinhead (Bill Griffith).

Der Mann ohne Unterleib, Johnny Eck (Eckhardt, 1911 – 1991), dessen Körper von den Rippen abwärts seit seiner Geburt nicht mehr gewachsen war, galt als sehr intelligenter und kreativ begabter Mann, nur 46 Zentimeter groß, aber voll im Leben. Gemeinsam mit Zwillingsbruder Robert, der körperlich unversehrt war, trat er in Zaubershows und Kuriositätenkabinetten auf, wo gewollt der Eindruck entstand, er sei ein in der Mitte durchgeschnittener Mensch. Nebenher leitete Eick, der sich einen Rennwagen umrüsten ließ und damit einen Jugendtraum erfüllte, ein Orchester, malte und fotografierte. Für drei Tarzanfilme mit Johnny Weissmüller wurde Eck engagiert; man erkennt ihn freilich nicht, weil er kostümiert Tiere spielte. Seine größte Rolle war die des „Jungen ohne Unterleib“ in Freaks.

Die Mannfrau Josephine Joseph, Geburtsjahr 1913, gab stets Rätsel über ihre Herkunft und ihr tatsächliches Geschlecht auf. In Freaks trat die Österreicherin mit polnischen Wurzeln (angeblich) als halb Mann, halb Frau auf mit einer männlichen und einer weiblichen Körperhälfte. Auf der Hochzeit vom kleinen Hans mit der schönen Trapezkünstlerin Cleopatra stimmt sie das Lied der geladenen Freaks an: „Wir akzeptieren sie, eine von uns!“
2014 erinnerte das österreichische Nachrichtenmagazin Profil an Josephine Joseph, indem es sie als Vorfahrin von Conchita Wurst „outete“.

Die „Mannfrau“ und „The Doll Family“

Harry „Doll“ Earles (1901 – 1985) spielte den Hans in Freaks. Der kleinwüchsige deutsch-amerikanische Schauspieler wurde als Kurt Schneider im sächsischen Stolpen als eines von sieben Kindern geboren, von denen vier Minderwuchs hatten und in Amerika, anfänglich in Wildwestrevues, als „The Doll Family“ Karriere machten: Er selbst, Frieda alias Grace, Hilda, die sich Daisy nannte, und Ella, die als Tinny auftrat. Die Geschwister Earles, wie sie sich getauft hatten, traten als Quartett bis in die 1950er-Jahre auf, vor allem in Zirkusarenen und etlichen Shows, spielten aber auch in Hollywood.

Harry hatte seine ersten großen Einsatz in dem Schauerkrimi Die unheimlichen Drei von Regie-Maestro Tod Browning (1925), es folgte 1927 der Laurel-/Hardy-Film Sailors, Beware!. Browning verhalf ihm anschließend mit der Rolle des Zirkuszwerges Hans in seinem Horrorklassiker Freaks zu einem Weltruhm, von dem damals freilich noch niemand etwas ahnte. Schwester Daisy „Doll“ Earles (1907 – 1980) alias Hilda Schneider übernahm in Freaks die Rolle der kleinen Zirkusreiterin Frieda , die in Hans (Harry) verliebt ist und ihn vergeblich vor Cleopatra warnt.

Harry und seine Schwestern verdienten gut in der Filmmetropole. Nach ihrem Rückzug aus dem Showgeschäft kauften sie sich gemeinsam ein Haus in Sarasota, wo sie ihren Lebensabend verbrachten.

Richtig gut Karriere machte Phroso alias Wallace Ford (1898-1966), der Clown in Freaks. Der Tonfilm brachte ihn vom Theater direkt nach Hollywood, wo er nach seinem Einstand in Alles für dein Glück (1931) mit Joan Crawford als Partnerin (1931) von Browning als netter Zirkusclown Phroso in Freaks besetzt wurde. Ford wurde bis zu seinem Tod immer wieder für die Leinwand gebucht, oft als Kriminal- und Horrorfilmdarsteller (später Charkterdarsteller) oder für Western wie Der Mann aus Laramie (1955) und Warlock (1959). Der berühmte Regisseur John Ford, – Der Verräter, 1935, mit Wallace Ford als irischer Freiheitskämpfer -, engagierte ihn für insgesamt dreizehn seiner Filme.

Als Muskelmann Hercules hatte sich Browning ursprünglich Oscar- Preisträger Victor MCLaglen (Der Verräter, 1932) gewünscht, aber der lehnte es ab, an der Seite von „Freaks“ zu drehen. Wie übrigens auch dessen berühmte Kolleginnen Myrna Loy und Jean Harlow, die Cleopatra (Loy) und Venus (Harlow) spielen sollten, nicht in einem solchen Film mitwirken wollten. Besetzt wurden die Rollen dann mit der hübschen Leila Hyams als liebenswerte Venus und der russischen Schauspielerin Olga Baclanova als gerissen böse Cleopatra. Der in Deutschland aufgewachsene Engländer Henry Victor (1892-1945) war der Herkules.

In der letzten Szene von Freaks ließ Browning ihn ursprünglich nach dem großen Racheakt Sopran singen. Das wurde geändert, weil das Publikum bei der Testaufführung einfach nur vollkommen entsetzt war über diese Idee. Klar zu krass künstlerisch für einen Film, der (leider!) immer noch deutlich aneckte.

Viele Jahrzehnte später hebt sich der Vorhang für die Freaks noch einmal in der vierten Staffel der Erfolgsserie American Horror Story. Ryan Murphy und Brad Falcuk, die Macher grandioser Finster-Geschichten, gewähren Einblick in eine Freakshow in den USA Anfang der 1950er. Genial gedacht und gemacht als späte Verneigung vor Tod Browning und seinen Freunden. Verdienter Respekt. Es wird nicht vergessen.


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