Horror-Kolumne

Die Notwendigkeit des Horrors

Obwohl meine Eltern vielleicht leugnen würden, dass ihre kleine Tochter sich Filme wie Der Exorzist, Omen und viele von Stephen Kings adaptierten Büchern (Cujo, Carrie, Christine) überhaupt ansehen durfte, wurden Bilder und Szenen aus diesen Filmen wie die schlimmsten Alpträume unauslöschlich in mein Gedächtnis eingebrannt. Und ich bekam sofort Alpträume, nachdem ich diese und andere Horrorfilme gesehen hatte: den tollwütiger-Hund-Alptraum, den Dämonenkind-Alptraum, den Vögel-greifen-an-Alptraum, den Mädchen-läuft-Blut-das-Gesicht-hinunter-Alptraum. Man sollte meinen, dass solche Erfahrungen mich schon früh vom Horror abgehalten hätten, denn wer hat schon gerne so viel Angst, dass sie einen in Träumen verfolgt wie Freddy Krueger?

Aber als ich meine Einflüsse als Schriftstellerin zurückverfolgte, war ich ein wenig überrascht, zu entdecken, dass Schrecken ein dauerhaftes Grundnahrungsmittel meines kreativen Lebens darstellte. Obwohl ich hauptsächlich Science Fiction und Fantasy veröffentlichte (dank einer frühen Liebe zu Star Wars und den Chroniken von Narnia, die bis heute andauert), waren die Bücher meiner Kindheit und meiner Jugend im Suspense- und Horrorgenre, als auch in der Romantik zu verorten. Ich wuchs aus der Romantik heraus, genoss aber den Schrecken als Erwachsene noch immer. Außerdem hat sich mein Fokus auf das Genre nicht stark verändert. Ich war nie den Slasherfilmen oder irgendeiner Art von Gore verfallen, aber Geistergeschichten und psychologischer Horror im Hitchcock-Stil? Das liebe ich noch immer, und ich vermute, einer der Schlüssel dazu liegt in der Vorstellung, dass Horror teile des Gehirns stimuliert, die für Problemlösung verantwortlich sind. 2010 führte Dr. Thomas Straube eine Hirnscan-Forschung durch, bei der vierzig Probanden bedrohliche und neutrale Szenen aus Gruselfilmen betrachteten, und die Ergebnisse zeigten Aktivitäten in den weniger offensichtlichen Regionen des Gehirns: dem visuellen Kortex, dem insularen Kortex (wo die Selbstwahrnehmung liegt), dem Thalamus und dem dorsalen medialen präkontinentalen Kortex. Letzterer ist mit Lebensplanung und Problemlösung verbunden.

Wenn auch nicht so offensichtlich wie in Kriminalgeschichten, aktiviert jede Art von Geschichtenerzählen einen Aspekt zur Problemlösung der Leser oder Betrachter. Wie wird das Paar zusammenkommen (Romancy)? Wie wird die Heldin die Galaxie retten (Science Fiction)? Während Geschichten im Allgemeinen auch eine Untersuchung des psychologischen Zustands eines Protagonisten bieten, neigen extremen Umstände, die im Horrorgenre dargestellt werden, dazu, die Charaktere auf einzigartige Weise zu testen – und zwingen sie und damit das Publikum, sich mit tief sitzenden Ängsten auseinanderzusetzen, die sich sogar im Unterbewusstsein befinden können. Der Horrorfilmemacher oder Autor, der diese unausgesprochenen und oft vermiedenen Ängste nutzt, kann das Publikum dazu bringen, die Gründe dafür zu finden, warum sie so eindringlich auf die Erzählung reagieren. Vielleicht mehr entsetzt als bei jedem anderen Genre, fragt sich das Publikum: Wie würde ich mit dieser Situation umgehen? Wie würde ich aus der dunklen Kammer, dem von Zombies befallenen Gebäude oder der Vampirhöhle herauskommen?

Es gibt viele psychologische Theorien darüber, warum Menschen vom Horror angezogen werden. Einige mögen den „Kuscheleffekt“ (Angst zu haben und das Adrenalin oder die Erregung fördert die positive Reaktion danach, bringt ein Gefühl der Sicherheit); andere genießen die verbotene Natur des Betrachtens von oft tabuisierten Bildern; wieder andere (meist unbewusst) genießen die stellvertretende Erfahrung aus der Sicherheit eines Kinos oder Wohnzimmers heraus (idealerweise umgeben von anderen). In seinem Essay „Why We Crave Horror Movies“ vermutet Stephen King, dass es unser gemeinsamer Wahnsinn sein könnte und die Fähigkeit, diesen Wahnsinn stellvertretend zu beseitigen, der uns zum Horror bringt – und wer kann dem widersprechen? Wir sind alle ein wenig verrückt. Wenn es irgendeine Art von Konsens über die anhaltende Anziehungskraft des Horrors gibt, dann den, dass es nicht nur einen einzigen Grund gibt. Wir werden von innigster Angst und Ekel angezogen, weil das menschliche Gehirn kompliziert ist und oft vom Unbewussten beeinflusst wird (besonders wenn man sich der Jungschen Psychologie anschließt).

Es besteht jedoch allgemeine Übereinstimmung darüber, dass Distanz unerlässlich ist. Zu beobachten, wie jemand im wirklichen Leben brutal getötet wird, ist anders als es auf einem Bildschirm zu sehen, auch wenn unsere emotionalen Reaktionen auf dem gleichen Spektrum liegen, und das Visuelle dieser Erfahrung kann uns sowohl auf der bewussten als auch auf der unbewussten Ebene beeinflussen (wie in Alpträumen). 1994 fand eine Studie über Ekel heraus, dass viele der Probanden es nicht aushielten, sich dokumentarisches Filmmaterial anzusehen, das den echten Horror des Lebens zeigt, wie z.B. Tiere, die brutal behandelt werden. Doch dieselben Schüler würden nicht weiter darüber nachdenken, in einen Horrorfilm zu gehen und sich zu amüsieren. Es gibt eine psychologische Distanz beim Betrachten eines Films, in dem man sich der Tatsache bewusst ist, dass es sich um Schauspieler auf der Leinwand handelt (einige von ihnen kennen wir sogar aus anderen Werken), und dass es ein Team von Filmemachern brauchte, um das zu konstruieren, was man sieht. Dazu kommen Musik, möglicherweise dunkler Humor und eine gewisse Absurdität der Handlung, und schon beschäftigt sich unser Gehirn auf eine andere Weise mit Fiktion als mit dem wirklichen Leben. Das Beobachten des Horrors bietet uns eine so umfassende Erfahrung, dass es dem luziden Träumen ähnlich ist, da wir bis zu einem gewissen Grad unsere Interaktion mit diesem Horror kontrollieren können (indem wir die Augen schließen, fortgehen, oder gegenüber unseren Freunden einen Scherz machen, um die Spannungen zu lösen). Selbst wenn wir also gründlich in eine Filmerfahrung hineingezogen werden, sind wir uns auf einer gewissen Ebene immer bewusst, dass es ein sicheres Erlebnis ist.

Die Arten von Horror, zu denen ich tendiere, nämlich die von Filmemacher wie Guillermo del Toro und Alfred Hitchcock und Geschichten von Stephen King, präsentieren sich mir als Puzzle. Anstatt auf billige Schocks oder eine Fülle von Gewalt zu setzen, nehmen diese Geschichtenerzähler dich mit auf eine Reise, die oft unsere innere Welt und unsere Gesellschaft reflektiert und untersucht. Diese Idee geht Hand in Hand mit einem Artikel von Warren Ellis, 2013 in Vulture erschienen, in dem er erklärt, dass Gewalt in der Fiktion (und daher auch in Horrorfilmen) ein Weg für uns ist, unsere Monster zu „entblößen“, ein Versuch, unsere dunkle Natur zu verstehen, und dass wir uns selbst einen schlechten Dienst erweisen, wenn wir es nicht tun. Er schrieb:

“ …. es scheint mir, dass wir nicht eher anfangen, etwas zu verstehen, bis wir ehrlich und direkt darüber sprechen. Schwierige Themen müssen behandelt werden, und zwar in der Art und Weise, wie die Fiktion uns dazu einlädt, betäubende Nachrichtenpornos aber wollen das absichtlich nicht, denn die Nachrichten wollen, dass wir nur Zeuge werden und unsere Knöpfe geduckt halten, sie verhindern ein größeres emotionales und intellektuelles Eintauchen. Die Nachrichten wollen nicht, dass wir denken, nur reagieren, wie Pflanzen.“

Meine Faszination für Horror – ob es sich nun um eine gute altmodische Geistergeschichte in der Art von The Others handelt, eine religiöse und kulturelle Untersuchung wie in The Vvitch, oder das kollektive Thema der Monster unter uns, wie in Pan’s Labyrinth oder in The Shape of Water – rührt gerade daher, weil die Besten des Genres uns sowohl einen Spiegel unserer eigenen Welt als auch von uns selbst vorhalten. Sobald wir uns in den Charakteren und ihren Situationen wiederfinden, sind wir nicht mehr nur passive Beobachter, die leicht beiseite schieben können, was uns diese Erfahrung machen lässt und wie sie uns zum Denken und Analysieren ermutigt. Unsere Wahrnehmung ist ein entscheidendes Element in unserer Interaktion mit den Anderen, ebenso wie unsere Ideen und Reaktionen auf das Konzept des „Anderen“ bestimmen, wie wir uns mit dem Geschöpf und damit der Liebesgeschichte in The Shape of Water identifizieren (oder nicht). Wenn wir Zeugen von Gewalt gegen das „Monster“ werden, stellen wir unsere eigene mögliche Reaktion auf die „Anderen“ in unserer eigenen Gesellschaft in Frage. Del Toro stellt einen direkten Zusammenhang zwischen dem scheinbar offensichtlichen Monster (der Kreatur) und dem subtilen, versteckten Monster von Michael Shannons Charakter her. Eine effektive Horrorgeschichte treibt uns an, uns mit ihr auseinanderzusetzen; das ist der Nervenkitzel, die Zufriedenheit und die Angst, in eine Horrorgeschichte einzutauchen. Wir werden konfrontiert.

Jede spekulative Fiktion, ob nun in Literatur oder Film, ist eine Kunst der Metapher, und vielleicht ist sie nirgendwo offensichtlicher als im Horrorgenre. Unsere Welt wird vielleicht nicht von Zombies überrannt, aber die andauernde Besessenheit von Untoten in unserer Populärkultur deutet darauf hin, dass diese Geschichten uns etwas über uns selbst erzählen wollen, sei es auf persönlicher oder gesellschaftlicher Ebene.

Ich weiß, dass ich, egal wie viele Horrorfilme oder Fernsehsendungen mich in meinen Träumen verfolgen und mich auch als Erwachsene für ein paar Nächte mit Licht schlafen lassen, immer wieder auf diese Geschichten zurückgreife, weil sie einige Wahrheiten über unsere menschliche Natur enthüllen. Als Schriftstellerin und Mensch fühle ich mich persönlich dafür verantwortlich, diese Wahrheiten – vor allem die unangenehmen – nie zu scheuen.

Karin Lowachee

Karin Lowachee

Karin wurde in Südamerika geboren, wuchs in Kanada auf und arbeitete in der Arktis. Sie war Dozentin für kreatives Schreiben, Lehrerin in der Erwachsenenbildung und Freiwillige in einem Hochsicherheitsgefängnis. Ihre Romane wurden ins Französische, Hebräische und Japanische übersetzt, und ihre Kurzgeschichten wurden in zahlreichen Anthologien, Best-of-Sammlungen und Zeitschriften veröffentlicht. Wenn sie nicht gerade schreibt, bedient sie eine schwarze Katze nach Lust und Laune.

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