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Soylent Green: Menschenfleisch

Das Hauptnahrungsmittel der zukünftigen Normalbevölkerung ist eine Mogelpackung. Darauf steht Plankton, darin ist Menschenfleisch.

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(c) id-iom

So läuft das in in Soylent Green, und damit wäre Wesentliches gesagt für diejenigen, die diesen wahrlich betagten Film nicht kennen und auch nicht gedenken, ihn sich anzuschauen. Die Aufklärung erfolgt (natürlich) zum Schluss. Bis dahin wird, wenn man sich denn auf das Abenteuer einlässt, geguckt, gefiebert, mitgelitten. Mit gewürgt. Vielleicht. Denn was da auf den Tisch kommt…gleichwohl, so soll das auch sein. Immer noch.

Es gibt etliche Filme, die so wahnsinnig gut verblüffend enden, dass man sich ärgert, sie schon gesehen zu haben. Wäre doch großartig, man würde in The Sixth Sense den kleinen Cole zum ersten Mal „Ich sehe tote Menschen“ flüstern hören. Ohne zu wissen, warum Bruce Willis die ganze Zeit so verdammt einsam ist. Norman Bates könnte sich in Psycho noch einmal die Perücke aufsetzen, und wir würden vor Schreck Colaflasche und Popcorn fallen lassen wie unsere Mütter, Väter, Großeltern. Sie im Petticoat, er mit Haartolle, schwer verliebt und völlig erstarrt. Stellen wir uns mal so vor.

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Und mitunter kommt es richtig böse und zieht einen runter. Dorthin, wo es düster aussieht, wo die Hoffnung am Galgen hängt und der Blick nach vorn schlechte Laune macht.

Nicole Kidman würde uns in The Others erst in der Endphase mit ihren Alabaster-Händen packen und auf die Schattenseite ziehen, und Saw könnte uns immer noch so eisig direkt erwischen. Leonardo Di Caprio wäre in Shutter Island ein grundsätzlich normaler Cop, der zwar die (Psycho)-Hölle erlebt, aber eben nicht längst schon in Flammen steht.

Und Charlton Heston würde in Soylent Green einem ungeheuren Skandal auf der Spur sein, den er eventuell wohl noch, doch, vielleicht in den Griff bekommen könnte. Das bleibt letztendlich freilich mehr als zweifelhaft.

Die genannten Filme stehen auf der langen Liste der clever durchdachten Geschichten aus dem Horror-Genre, die einfach nur staunen lassen, wenn sie sich dem Ende nähern. Manchmal ahnt, tippt, kombiniert man zwar was, garantiert ist aber, dass man in den letzten Momenten noch mal so richtig wach wird. Es kommt hart, spannend, aberwitzig, heiß, kalt oder, – schade dann -, lauwarm. Und mitunter kommt es richtig böse und zieht einen runter. Dorthin, wo es düster aussieht, wo die Hoffnung am Galgen hängt und der Blick nach vorn schlechte Laune macht.

Kannibalistische Schockvision

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(c) MGM

Exakt so geschieht’s in dem US-amerikanischen Film Soylent Green (Regie: Richard Fleischer) aus dem Jahr 1973, der in den deutschen Kinos unter dem Titel „Jahr 2022 – die überleben wollen“ lief.

Soylent Green ist eine kannibalistische Schockvision für eine mit völliger Überbevölkerung, Klimakatastrophe und absolutem Rohstoffmangel konfrontierte Menschheit. Nur für die wenigen Reichen sind Obst, Gemüse, Eier und Fleisch erschwinglich, die Masse wächst mit bunt gefärbten Ersatznahrungsmitteln auf. Und die grünen werden in den Leichenhallen „ausgespuckt“.

Der mit dem Saturn Award und dem Grand Prix des Festival International du Film Fantastique d’Avoriaz ausgezeichnete Film gilt als eine der frühesten Ökodystopien, die zeigen, was passiert, wenn Profitgier die Natur ermordet. So ausgedrückt:

„Wer möchte, der kann in diesem Film einen spannenden Krimi sehen. Mittels brutal-nachhallender Szenen verdeutlicht der Regisseur jedoch eine weitaus tiefere Wahrheit […] Soylent-Green muss also als eine Metapher gefasst werden. Es ist das radikale Bild des sich selbst verzehrenden Wahnsinns kapitalistischer Produktionsweise. Die notwendigen Folgen der Verdinglichung von ‚Menschenmaterial‘ bis hin zur Selbst-Vernichtung werden dem Zuschauer eindrücklich vor Augen geführt.“(Lexikon der britischen und amerikanischen Spielfilme in den Fernsehprogrammen der Bundesrepublik Deutschland 1954 bis 1985)

Hollywood-Legende Charleton Heston ( 1923- 2008) spielt Detective Robert Thorn, der gemeinsam mit Ex-Lehrer Sol Roth (Edward G. Robinson, 1893-1973) in einer lausigen Wohnung in New York lebt. Die Stadt zählt 40 Millionen Einwohner, mehr als die Hälfte ist arbeits- und obdachlos, die Menschen ohne Dach über dem Kopf kampieren auf den Straßen.

Roth, der in einer Mordsache ermittelt, – ein Industrieller wurde getötet, das zählt -, schleicht sich in die Fabrik ein, in der die neue Powerkost Soylent Green hergestellt wird, die überall gegessen wird. Diese soll aus Plankton sein, eine dicke Lüge, denn die Weltmeere sind leer. Als Roth heimlich dem Leichentransport seines Freundes folgt, – Sol hat sich völlig resigniert das Leben genommen -, sieht er, was mit den Toten tatsächlich geschieht: Maschinen verarbeiten sie zu (angeblich) vitaminreichen Snacks.
Soylent Green ist Menschenfleisch.

Im Buch nicht.

Perversität der Bonzen anprangern

Der Film basiert auf dem 1966 erschienenen Roman „New York 1999“ von Harry Harrison, in dessen Vordergrund die Kluft zwischen Reich und Arm, Recht und Unrecht steht. Massenversorgung der mittellosen Bevölkerung mit menschlichem Fleisch, wenn auch ordentlich verpackt, kommt nicht vor.
Ergo war Harrison auch nicht sehr glücklich mit Fleischers Regiearbeit, die er zu trivial und reißerisch, eben „boulevardisierend“ (sein Wort dazu) fand. Seine Intention, die Perversität der Bonzen anzuprangern, kam ihm zu schwach zur Sprache. Zuviel Skepsis. Die steckt (auch) drin. Irgendwie auf jeden Fall.

Anspielungen auf die grünen Lebensmittel mit dem widerlichen Hauptbestandteil gibt es in zahlreichen Filmen und Fernsehserien (Futurama, Die Simpsons..), Computerspielen (Command & Conquer) und in der Popmusik: Der Track Soylent Green der 1980 gegründeten Berliner Punk-Band „Soilent Grün“ (ein Vorreiter der Ärzte) wurde 1993 zu einem Hit der Schwarzen Szene. Es gibt sogar grüne Cracker unter dem Namen, Vertrieb Parallax Corporation; und der amerikanische Softwaredesigner Rob Rhinehart brachte Anfang 2014 das Nahrungspulver „Soylent“ auf den Markt.

Soylent Green in aller Munde. Und immer im Blick. Trocken formuliert:

„Übrigens bleibt uns bald vor lauter Überbevölkerung und Umweltzerstörung nichts anderes übrig, als uns gegenseitig aufzufressen.“ (Tagesspiegel, Januar 2000, Georg Seesslen)

Böse aber auch.


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