Pan Tau war der nette Mann, der tänzelte, lächelte, zauberte und nicht sprach. Pan Tau war gestern. Wie der Bleistift für den Bandsalat im Kassettenrecorder. Wie Harolds Liebe zu Maude, Flokatis, Hot Pants, Mama Loo, Waterloo und mindestens zwei Kaugummiautomaten auf dem Schulweg. Pan Tau trug Melone zum Stresemann-Anzug, Stockschirm und Nelke im Knopfloch. Er hat sich in unseren Poesiealben eingetragen, das wissen wir noch genau, aber wir blättern das vergilbte Papier durch und finden ihn so recht nicht mehr.
Irgendwann war Pan Tau nicht mehr da. Als er ging, waren wir keine Kinder mehr. Und vermissten ihn nicht. Wir erhofften uns neue Wunder. Und hätten es besser wissen müssen. Damals, als wir viel zu erwachsen und nüchtern gemacht dachten, Phantasie sei begrenzt. Träume seien Lügen. Und die schiere Lust auf Abenteuer sei zu unglaublich, um vernünftig alt werden zu dürfen.
Jetzt, so viele Jahrzehnte später, gehört Pan Tau zu den nostalgischen Erinnerungen an eine Zeit, in der wir Kettcars, Bonanzaräder und Rollschuhe vorlegten, um die kleinen Könige der Welt zu sein. Wir hatten Wum und Wendelin aus Hartgummi, Puppen mit Schallplatten im Rücken, die Kinderpost, einen Burggraben und den Nürburgring zuhause, guckten innovatives Kinderprogramm, – die „Sesamstraße“ – , Erwachsenenfernsehen nach dem Fichtelnadelschaumbad, – „Am laufenden Band“ – , und bekamen so am Rande des Fußballfeldes mit, wie wir zwanzig Jahre nach 1954 wieder aus dem Häuschen sein durften. Das nahmen wir gelassen, wir waren viel zu sehr damit beschäftigt, uns erstaunen zu lassen von all dem, das uns auf unmögliche Weise möglich schien.
Unwahre Wunder, seltsame Wahrheiten
Warum keine unwahren Wunder? Warum keine seltsamen Wahrheiten? Warum nicht ein liebevoller Alleskönner, ein Freund, Beschützer, Zauberer nur für uns allein? Ein Pan Tau?
Dass Pan das tschechische Wort für Herr ist, wussten wir gar nicht. Für uns war das ein besonderer Name für einen ganz besonderen Helden. Stimmt(e) ja eigentlich auch. Pan Tau fing auf. Pan Tau hielt fest. Pan Tau war im richtigen Moment da. Konnte sich unsichtbar machen. In eine Puppe verwandeln. Erwachsenen die Bilder und Ideen ihrer Kindheit wiedergeben. Kindern beibringen, phantastisch zu sein. Herr Tau…war unser einzig echter, einmaliger Pan Tau.
Erdacht haben sich den freundlichen Herrn aus dem hergezwinkerten Irgendwo Ota Hofman und Jindřich Polák Ende der 1960er Jahre. Bei uns auf Sendung im nachmittäglichen ARD-Kinderprogramm war die Serie Pan Tau mit 33 halbstündigen Folgen, eine Koproduktion des Westdeutschen Rundfunks, der Prager Filmstudios und des tschechoslowakischen Fernsehens, von 1970 bis 1978. Mit Erfolg: Neben etlichen weiteren Auszeichnungen erhielt Pan Tau Pan Tau 1974 einen Silbernen Bambi und 1976 den Grimme-Preis. „Pan Tau – Der Film“ ging dann 1988 über die Leinwand. Nicht das wirklich große Kino. Denn obgleich Pan Tau sehr wohl zu den bekanntesten Märchenfiguren des 20. Jahrhunderts gehört, war da der alte Zauber schon recht verflogen. Vielleicht seufzten wir noch nicht mal wehmütig.
Und trotzdem: Wenn wir zurückblicken, weit und gern und dann eben doch so ein bisschen sehnsüchtig zurück…dann sehen wir ihn durch unser Fenster auf dem Dach unter dem Sternenhimmel mit seinem Schirm stehen. Er klopft mit dem Finger vorn an die Melone und streicht lächelnd über die Hutkrempe. Einmal rechts, einmal links. Weg ist er. Und wir atmen tief durch, schließen das Fenster, – oh ja, wir lächeln auch – , wünschen Pan Tau eine gute Nacht und fragen ihn:
Ich will manchmal wissen,
wie das ist in deiner Welt.
Ist das oben oder unten,
wird dort auch ein Jahr gezählt?(…)
(aus: Du bist überall, Nena, 1990)
Kein Mahnen, Schimpfen, Verbieten
Natürlich haben wir Pan Tau geliebt. Damals. An ihm war nichts Ungehaltenes, nichts Schlechtgelauntes, nichts Ungeduldiges, nichts von oben herab Belehrendes. Kein Mahnen, Schimpfen, Verbieten. Eben nichts, das die Erwachsenenwelt so streng und nüchtern macht. Dafür war jene Magie da. Und diese Gewissheit, dass Wünsche in Erfüllung gehen können. Dass man Scherben auch kleben kann. Dass man mit dem richtigen Regenschirm auch fliegen könnte. Dass Kind zu sein etwas Großes, Wunderbares und Einmaliges ist, das nie vergessen werden sollte. Und dass Pan Tau überall sein kann. Immer noch.
Ich seh‘ dich und ich fühl‘ dich,
doch ich will dich nicht stören.
Ich seh dich und berühr dich,
und ich weiß, du kannst mich hören.
Ich kann mich oft nicht wehren
gegen Trauer, gegen Schmerz.
Doch wenn es richtig schlimm wird,
dann kommst du in mein Herz. (…)
(aus: Du bist überall)
Otto Šimánek spielte den Pan Tau, bravourös leichtfüßig und stets elegant in der Bewegung, in zivil seines Zeichens Pantomime-Lehrer in Prag und Mitglied des Ensembles Prager Stadttheater. Šimánek, der 1988 für den Kino-/Fernsehfilm mit dem wundersamen Herrn Tau nochmals die berühmte Melone aufsetzte, verstarb nach schwerer Krankheit 1992 mit nur siebenundsechzig Jahren. Zwei Jahre zuvor hatte Kult-Sängerin Nena ihn noch als Hauptperson und Ehrengast in ihrem Musik-Video mit dem (Pan Tau-)Hit „Du bist überall“ wieder in Erinnerung gebracht.
Sie sagte später im Gespräch mit „Planet Interview“ (Online-Portal):
Und das ist gut zu wissen. Für all diejenigen, die immer noch fliegen können, wenn sie ihre Augen ganz fest schließen.
Ich halt mich fest an dir.
Ich wehre mich noch, zu verstehen.
Wir beide müssen frei sein
für ein neues Wiedersehen
Du bist weg und immer da.
Engel fliegen wunderbar.
(aus: Du bist überall)
2020 gab es im Fernsehen (ARD) ein Wiedersehen mit Pan Tau, produziert von Caligari Film, gespielt von dem britischen Comedian Matt Edwards, der in 14 Folgen im modernen Heute junger Zuschauer frisch und frech seine Melone managen ließ: Eine Reise ins Gestern für die Kinder von damals, ein Sprung ins Unbekannte für die, die nach uns kamen. Ich bin sie nicht wirklich angetreten, diese Reise. Der Koffer war kaum zu tragen, Otto Šimánek steckte darin und hat sich schwer, ganz schwer gemacht. Und dabei verschmitzt gelächelt. Besser so.
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