Edgar Wallace-Filme waren echte Leinwandmagneten. Dafür standen die Leute in den 1960er Jahren vor den Kinokassen Schlange. Dann wurden sie zu Straßenfegern. Ein Phänomen älterer Fernsehgeschichte. Die Wallace-Krimis trommelten in den 1970er Jahren mit ihren reißerischen Titeln wie Der schwarze Abt, Der Bucklige von Soho oder Der Mönch mit der Peitsche landesweit ganze Familien und Nachbarschaften vor den Bildschirm. Einmalig war das. Los geht es (meistens!) mit einem Mord.
Natürlich nicht mit einem „gewöhnlichen“, der Mord ist schon mal stets spektakulär. Oft regelrecht bizarr. Von einem Geheimnisvollen, grotesk maskiert. Meistens. Und ermordet wird durch die Reihe weg und auch überall: Mann, Frau, Schurke oder Gutmensch, alt, jung, reich oder arm. Im Wald, in der Stadt, in der Gasse, im Salon, in der Hütte, im Schloss. Gefackelt wird da nicht, der Nervenkitzel bestimmt vom ersten Moment an die Richtung. Allein der Vorspann, die Schriftzüge mit Einzug der Farbe ab 1966 blutrot und giftgrün. Wirkte, als wir damals guckten. Da fieberte man bereits. Dazu diese Respekt einflößende, raue Stimme, die so einen gewissen Schauer einjagt: „Hallo, hier spricht Edgar Wallace.“
Ermordet wird ausnahmslos und überall
Wer da wirklich sprach, wusste niemand. Wir Kinder dachten, der sei es garantiert wohl selbst. Wer sonst? Tatsächlich war es in den meisten Fällen Regisseur Alfred Vohrer.
Nachdem der sich als Wallace höchstpersönlich ausgibt, fallen Schüsse. Nicht von Anfang an, der Knalleffekt wurde mit dem „Zinker“ 1963 eingeführt. Zu diesem Zeitpunkt lief die von der dänischen Produktionsgesellschaft Rialto-Film für den deutschen Markt kreierte Edgar-Wallace-Krimi-Reihe bereits vier Jahre. Startsignal war „Der Frosch mit der Maske“, Originaltitel „The Fellowship of the Frog“, als Roman 1925 veröffentlicht und immer mal wieder gern aus dem Bücherschrank gefischt als einer der Lieblings-Wallace-Krimis. Damals schon, tatsächlich heute noch. Kleine Leseprobe, die saubere deutsche Übersetzung trifft den Stil:
(…) Genter hatte nun, da seine Augen sich an das Dunkel zu gewöhnen begannen, festgestellt, wo der Mann stand. Seine Hand griff plötzlich zu und umfasste den Arm des Frosches. „Ich habe eine Pistole“, sagte er zwischen den Zähnen. „Ich bin Inspektor Genter vom Polizeihauptquartier, und wenn du dich zur Wehr setzt, bringe ich dich um.“
Eine Sekunde lang herrschte Totenstille. (…) Dann wurde die Pistole mit unerträglicher Drehung aus Genters Hand gewunden, und zwischen ihm und seinem Gefangenen kam es zum Handgemenge. Dabei berührte sein Gesicht das des Frosches. War es eine Maske, die er trug? Er spürte die kalten Glimmerbrillengläser auf seiner Wange. (…)
Am Morgen fand eine Londoner Polizeipatrouille Inspector Genter im Garten eines leeren Hauses liegend und rief einen Krankenwagen.
Aber ein Mann, der mit konzentrierten Blausäuredämpfen vergiftet worden ist, stirbt schnell. Zehn Minuten, nachdem der Frosch den Glaszylinder, den er für ähnliche Notfälle in der Hütte aufbewahrte, zerbrochen hatte, war Genter eine Leiche.
(…)
Die Verfilmung vom „Frosch mit der Maske“ kam in heimischen und ausländischen Kinos bombastisch an und machte Lust. Eben diese legendäre Lust auf mehr Wallace, mehr Thriller-Trash von der edleren (durchaus!) Sorte, mehr Zündstoff für die Nerven.
1959 schreiben wir. Privatdetektiv Richard „Dick“ Gordon (Joachim „Blacky“ Fuchsberger) und Inspektor Elk (Sigfried Lowitz) jagen einen als Frosch mit Tennisball-großen Glubschaugen kostümierten Gangsterboss, der über Leichen geht. Klingt beinahe albern, so eine Maske. Ist aber sogar gruselig. Die Jagd geht quer durch London. Hamburg als Drehort in echt. Das haben die damals gut hingekriegt, merkt man so nicht. Londonbilder wurden bei Bedarf hinein geschmuggelt. Einwandfrei. Altersfreigabe für den Frosch 1959 ab 16! Das gehörte sich auch so. Allemal, der temporeich inszenierte Film schlägt voll zu und läutet die „klassische“ Wallace-Reihe der Rialto-Filmgesellschaft ein. Harald Reinl führt Regie, dann noch bei weiteren sechs Edgar-Wallace-Verfilmungen. „Zwischendurch“ dreht er die Nibelungen-Sage und Karl Mays „Winnetou“-Trilogie.
Satte 32 Edgar-Wallace-Krimis, allesamt mit markanten, teils sehr phantasievoll arrangierten Soundtracks versehen, wurden von 1959 bis 1972 auf die Leinwand bzw. auf den Bildschirm gebracht. Darunter seit 1966 auch solche, die nicht direkt auf Romanvorlagen, sondern auf Ideen und Motiven von Edgar Wallace basierten, die dann dem Zeitgeist entsprechend ergänzt wurden. Das war nicht immer so gut wie gedacht, aber der Name Wallace zog.
Und es zogen hierzulande eben auch die Namen der Hauptdarsteller, Publikumslieblinge gleich Mit-Garanten für Kassenerfolge, die für die Verfilmungen von Der Hexer, Der grüne Bogenschütze, Zimmer 13, Der Hund von Blackwood Castle, Die seltsame Gräfin und, und… gleich mehrmals engagiert wurden: Joachim Fuchsberger (13 x) und Heinz Drache (9 x) als Ermittler, Karin Dor (5 x) und Uschi Glas (5 x) als hübsche Unschuld in arger Not, Eddi Arent (23 x) als meist komische Figur, Klaus Kinski (16 x) als Bösewicht bzw. stets leicht durchgeknallter Schurke.
Legendäre Lust auf edlen Thriller-Trash
Wirklich kompliziert gestrickt sind die Handlungen nun nicht. Muss auch nicht sein, dafür stimmen Atmosphäre, Akteure, Abenteuer. Klar ist: Den oder die Bösen schnappen die Guten am Ende immer. Und vorher wird gekonnt erschreckt. Maskiert, gerätselt, gejagt, geschrien, geflirtet, gemordet, gelacht, gebibbert, entlarvt. Genug für alle. Das kommt dem Unterhaltungswert schwer zugute, man wollte ja nicht auf irritierende Art schocken. Fesseln wollte man. Mit den Geschichten eines berühmten englischsprachigen Schriftstellers, der als Erfinder des modernen Thrillers gilt und sagenhafte 175 Romane, hauptsächlich Krimis, geschrieben hat. Zusätzlich vierundzwanzig Bühnenstücke, ungezählt enorm viele Kurzgeschichten und eine überwältigende Anzahl an Artikeln. Drehbücher verfasste er auch. Alles in einem Rekordtempo, das seinesgleichen sucht und schwerlich findet.
Edgar Wallace selbst lebte längst nicht mehr, als das Kino Ende der 1950er Jahre und nur recht kurz darauf eben auch das Fernsehen seinen Namen verkündete und unlöschbar ins Gedächtnis brannte. Er starb 1932 im Alter von nur siebenundfünfzig Jahren in Hollywood, Kalifornien, an einer Lungenentzündung. Ein Jahr zuvor hatte er London den Rücken gekehrt, um in der amerikanischen Filmmetropole als Drehbuchautor zu arbeiten. England ließ ihn vermutlich ungern gehen. Längst schon galt er als einer der ganz großen Söhne des Landes, er war immens berühmt. Sein Name: Ein absolutes Markenzeichen. Er selbst soll auch nicht die größte Lust gehabt haben, über den großen Teich zu gehen. Aber er brauchte mal wieder Geld. Und das Honorar reizte.
Edgar Wallace war ein bis zum Ende unermüdlich kreativer Kopf, der sich selbst ständig unter Druck setzte, um Leistung zu bringen. Noch kurz vor seinem Tod arbeitete er am Drehbuch für „King Kong und die weiße Frau“ mit Fay Wray in der Hauptrolle. Das war die schöne Blonde, die so herrlich schreien konnte. 1933 kam „King Kong“ in die US-amerikanischen Kinos. Ein Jahr darauf wurde der Film „Der Doppelgänger“, eine Kriminalkomödie nach einem Roman von Edgar Wallace, in Berlin uraufgeführt. Interessant daran ist: Es war bereits die sechste Edgar-Wallace-Verfilmung mit deutscher Beteiligung. Heißt: Auf der Leinwand ging es nicht erst 1959 los, sondern viel früher. Exakt schon in der Stummfilmzeit. 1927 wurde „Der große Unbekannte“ (Original: The Sinister Man), 1929 „Der Würger“ und „Der Rote Kreis“ gedreht. Bereits vertont waren 1931 „Der Zinker“ und ein Jahr darauf „Der Hexer“ (The Gaunt Stranger), eines der berühmtesten Wallace-Bücher, das auch als Bühnenstück in London und Berlin 1926/27 gefeiert wurde.
Edgar Wallace sah im Kino, das ja fast noch in den Kinderschuhen steckte, eine neue, große Sache. Seine Kriminalgeschichten hatten bereits im Theater ein begeistertes Publikum von den Stühlen reißen können., jetzt lockten sie auch in die Lichtspielhäuser. Eine Erfolgsgeschichte. Wallace war ein von Glück, Gespür und zweifelsohne auch wahrem Talent verwöhnter Mann, finanziell wohl bestens gestellt bei soviel Arbeitseifer, Talent und Anerkennung. Sollte man meinen. Aber er gab halt viel zu gern Geld aus. Jede Menge, und hauptsächlich für sich selbst. Er starb verschuldet. Er hatte sehr, sehr gern hoch und höher gezockt. Und natürlich verärgert, aber halt auch wohl achselzuckend verloren. Motto: Neues Spiel, neue Hoffnung. Pferderennen. Die schluckten sein Geld. Trotzdem: Eigener Rennstall. Exzessiv gelebt. Luxus genossen. Cremefarbener Rolls-Royce. Es auch sehr wohl genossen, dieser Mann zu sein, der diesen Namen hatte.
Er kam, sah, schrieb und träumte
Aber wie nun genau wurde aus dem kleinen Richard Horatio Edgar Wallace, der unehelich, – seine Eltern waren Schauspielerkollegen, die sich gut leiden mochten, mehr aber eben nicht – , am ersten April 1875 in Greenwich/London zur Welt kam und in einer kinderreichen, arg bescheiden lebenden Pflegefamilie aufwuchs, der große Macher, dieser Erfolgstyp Edgar Wallace?
Ein Schulschwänzer war er. Verkaufte lieber Zeitungen am Ludgate Circus in London, als Mathe zu pauken. Als Zwölfjähriger brach er die Schule ab und wurde Mitglied einer Jugendgang, die auch auf Diebestour ging. Nicht im großen Stil, aber immerhin wurde geklaut. Auf die richtig schiefe Bahn geriet er bekanntlich nicht, sein Leben verlief ganz anders. Wallace schlug sich in den Folgejahren als Milchkutscher, Schuhverkäufer und Bauarbeiter durch, soll in dieser Zeit auch gern mal ins Theater gegangen sein. Er meldete sich schließlich bei der Armee, landete in Südafrika und schrieb erste Artikel für die Zeitung. Sein Stil, lebendig und gut verständlich, kam an. Während des Burenkrieges, 1899 bis 1902, war Wallace als Kriegsberichterstatter in Südafrika vor Ort, sammelte Eindrücke und Erfahrungen für spätere Geschichten, heiratete Ivy Maud Caldecott in Kapstadt, arbeitete nach seiner Rückkehr wieder als Journalist in London und träumte von stattlichen Geldsummen, die er definitiv nicht hatte und wohl, wenn es so weiter ginge, nie im Leben haben würde. Sei denn…er würde ein Buch schreiben. Ein unmoralisches, gut blutig, hübsch böse. Denn nur sowas, verkündete Edgar Wallace Ehefrau Ivy, wäre ein Garant für viele Leser. Ergo würde er ein erfolgreiches Buch schreiben. Natürlich. Dann noch eins. Noch eins. Noch eins.
Eine Idee, Treffer ins Schwarze: Es lag ihm, zu erzählen. Seine Schreibe war flüssig. Keineswegs genial, aber eigen. Sozusagen gelenkig und ausgesprochen leserfreundlich. Edgar Wallace wusste, worauf es ankam: Spannende Story mit mehr oder auch mal minder sensationellen Highlights, nicht zu verworren, auch nicht zu simpel, wie leichtfüßig aufs Papier gebracht. An sicheren Stellen mit etwas Humor gewürzt, ansonsten vor allem eins: Den Leser mitreißend zu unterhalten und ihn dann und wann die Luft anhalten zu lassen.
„Ich schreibe keine guten Bücher, sondern Bestseller.“
Sein erster Kriminalroman „Die vier Gerechten“ (The Four Just Men, Eigenverlag) erschien 1905. Sein erster Afrika-Roman „Sanders vom Strom“ (Sanders of the River), wurde 1911 veröffentlicht. Beide Bücher hoch beachtet. Man las Wallace. Er schrieb noch weitere Romane über Afrika, er schrieb vor allem weitere Krimis. Mehr und mehr. Und die waren absolute Hits. Wurden in vierundvierzig Sprachen übersetzt und weltweit über 100 Millionen Male verkauft. In den 1920er war jedes vierte verkaufte Buch in Großbritannien ein Roman von Edgar Wallace.
Er selbst nahm es so hin, wie es war. Kommentierte die fetten Erfolge, die sich wie von selbst einstellten:
„Ich schreibe keine guten Bücher. Ich schreibe Bestseller.“
Vom riesigen Geschäft mit Edgar Wallace profitierten zuerst einmal die Erben. Vier Kinder hatte Edgar Wallace. Patricia, Edgar und Michael aus der Ehe mit Ivy (1901 – 1918), als Nachzögling Penelope aus der zweiten Ehe mit Ethel Violet King, seiner Sekretärin. Der Schuldenberg des Vaters war nach seinem Tod rasch abgetragen, Bücher, Theaterstücke, Filme, kurz, die Einnahmen der Tantiemen seiner Werke machten und machen weiterhin die Kassen voll. Edgar Wallace erzielt als Name hohe Preise. Steht für Ruhm und Erfolg. Und für Geld, mit dem er selbst Zeit seines Lebens einfach nicht hatte umgehen können.
Sich alles erlauben, sich nichts verbieten
Er selbst war, als seine Karriere stetig nach oben ging, ewig der Mann mit sehr viel und schnell wieder so ziemlich wenig in der Tasche, geschweige denn zur Absicherung auf dem Konto. Edgar Wallace wollte ein tolles Leben führen, eins, das ihm als junger Mensch unerreichbar erschienen war. Sich alles erlauben, sich selbst nichts verbieten. Keine Grenzen setzen. Er diktierte seinem Sekretär an einem einzigen Wochenende ein komplettes Buch, trank dabei literweise seinen heißgeliebten, stark gezuckerten Tee, – er war Diabetiker – , rauchte viel zu viele Zigaretten, ernährte sich unvernünftig, – er wurde zusehends dicker und schwerfälliger – , verprasste Unmengen an Geld mit Pferdewetten und verfasste Buch um Buch, um sich das Geld durch unermüdliches Schreiben zurück zu holen.
Das Drehbuch für „King Kong und die weiße Frau“, an dem Edgar Wallace zuletzt gearbeitet hatte, ließ er in seiner Rohfassung zurück. Fertig gestellt wurde es von James Ashmore Creelmann und Ruth Rose, und vom ursprünglichen Entwurf blieb bis auf die grobe Handlung wenig übrig. Da konnte er halt nicht mehr mitreden. Aber man hört ihm ja trotzdem zu. Bitte um höchste Aufmerksamkeit, ein Satz genügt. Der Satz. Hallo, hier spricht Edgar Wallace.
Sein Leichnam wurde zurück nach England gebracht, im Hafen von Southampton setzte man für den „King of Thrillers“ die Flaggen auf halbmast. Glocken läuteten bei seiner Heimkehr, so richtig feierlich war es. Auf dem Fern Lane Churchyard in Little Marlow, einem Ort etwa 50 km westlich von London entfernt, befindet sich das Grab von Edgar Wallace. Diesem großen, berühmten Krimi-Autor, über den es hieß: „It is impossible not to be thrilled by Edgar Wallace.“
Unmöglich, sich von ihm nicht fesseln zu lassen.
So war’s. Immer noch? Das ist und bleibt wohl kriminelle Ehrensache.
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