Kabinettstückchen
Patricia Highsmith bewegt sich ziemlich sicher in ihren psychologischen Kabinettstückchen (und natürlich auch innerhalb des kriminalistischen Dramas, das hier keine allzu große Rolle spielt), und obwohl ihre Sprache präzise ist, ist sie nicht gerade lyrisch. Sie berichtet, anstatt zu beschreiben, und sie kommt fast ohne Metaphorik auf Satzebene aus. Würden ihre Figuren nicht in einem konstanten psychologischen Extrem agieren, könnte man sie als flach bezeichnen.
Und diese Figuren sind wahrlich schwer, wenn nicht unmöglich zu mögen. Graham Greene nennt die Autorin in seinem Vorwort „die Schriftstellerin der Beklemmung„; studiert man diese Geschichten näher, erkennt man sie als ein Beispiel dafür, wie die weniger angenehmen menschlichen Eigenschaften – wie der Impuls zur Grausamkeit – wichtige Verbindungspunkte zwischen der Figur und dem Leser sein können. Das ist zwar keine tiefgründige Beobachtung, aber ihre unsicheren, beleidigenden, affektierten, unbequemen, elenden, ängstlichen, grausamen Charaktere kommen nie über diese Eigenschaften hinaus. Sie haben Erfolg oder auch nicht, meist beim Töten oder getötet werden, aber sie entwickeln sich durch ihre Erlebnisse nicht. Highsmiths Kurzgeschichten trotzen James Joyces Erwartung an die Erleuchtung: Die Menschen verhalten sich schlecht und es kommt nicht zu einer Veränderung ihres Charakters. Keine Verschiebungen in der Wahrnehmung, keine Wunder der Gnade. Man könnte sagen, dass für Highsmith die Veränderung des Charakters in der Regel auf eine Erhöhung der eingefassten Fähigkeit hinausläuft. So wie etwa ein Gefängnisaufenthalt eher zu einer fortgeschrittenen kriminellen Ausbildung führt als zu einer Rehabilitation.
Seltsame Wege
In „…. geht seltsame Wege“ zerstören zwei ältere Frauen, die es nicht ertragen können, voneinander getrennt zu sein, mit Vergnügen die wertvollsten Gegenstände der anderen – Hattie zerschneidet Alices Lieblingsjacke, ein Geschenk von einer geliebten Nichte, und Alice rächt sich, indem sie Hatties langen Zopf (deren einzige Eitelkeit) abschneidet. Das Ende zeigt uns eine Entschuldigung und Versöhnung – diese Frauen fürchten sich verzweifelt davor, alleine zu sterben – aber sie nähren jede für sich Pläne für weiteren Vandalismus.
Was mir an Highsmith gefällt, ist ihre Widersprüchlichkeit, ihr Widerstand gegen das Gute im Menschen, ihre Fähigkeit, das, was am wenigsten attraktiv ist, zielsicher zum Leben zu erwecken. Und selbst wenn man das eigenwillige Verhalten berücksichtigt, das oft mit kreativem Talent einhergeht, war sie eine befremdliche Frau. Sie hasste Menschen notorisch, was sich nicht auf den einfachen Fall von Asozialität zurückführen lässt; ihre Verachtung glich eher einer tiefer Abscheu. Sie verabscheute ihre Verwandten (verachtete sogar den Begriff der Familie) und hasste als Lesbe andere Frauen. Überhaupt war sie nicht gerade das Postergirl der feministischen Bewegung und in vielerlei Hinsicht politisch unkorrekt. Obwohl sie zahlreiche Affären sowohl mit Männern als auch mit Frauen hatte, erlaubte sie sich nie, so etwas wie eine Beziehung zu führen. Sie schien von Lügen und Betrug zu leben und hatte eine Vorliebe für Spielchen, die dazu führten, dass Paare sich trennten. Es ist nicht sehr überraschend, dass sie allein in einem Krankenhaus starb, ihr Buchhalter war der letzte, der sie besuchte.
Highsmith – Die Schneckenforscherin
Es gibt in diesem Band mit elf Geschichten zwei, die von Schnecken handeln. Das mag nicht verwundern, denn Highsmith war dafür bekannt, selbst etwa dreihundert Schnecken als Haustiere zu halten. Zwar eröffnet dieses autobiographische Element die Sammlung, steht aber als schwächste Erzählung etwas ungünstig am Anfang. Ein Mann beobachtet die steigende Zahl der Schnecken, die er zu Hause hält, mit einer Neugierde, die einiges mit Voyeurismus zu tun hat, der schließlich zur Fixierung wird.
Patricia Highsmith gefiel die Tatsache, dass Schnecken sexuell ambivalent sind, dass es unmöglich ist, männliche von weiblichen zu unterscheiden. Sie hielt diese Tiere nicht zur daheim, sondern nahm sie auch mit auf Reisen. Sie versteckte sie in Käsekartons, um sie ins Ausland zu schmuggeln. Manchmal versteckte sie sie auch unter ihren Brüsten. Sie brachte sie zu Dinnerpartys mit, wo sie sich mit den Gästen und dem Essen langweilte (angeblich hasste sie nicht nur Menschen, sondern auch jegliche Speisen, so dass sie sich so weit wie möglich von Zigaretten ernährte). Die Schnecken reisten in ihrer Handtasche, in der sie an einem Salatkopf klebten, und sie machte sich ein Vergnügen daraus, andere damit zu erschrecken, dass sie sie herausnahm, damit sie ihre schleimige Spur auf dem Tisch hinterlassen konnten.
Den „Schneckenforscher“ konnte sie erst einmal nicht in Druck bringen. Ihr Agent teilte ihr mit, dass die Geschichte „zu abstoßend sei, um sie irgendwelchen Redakteuren anzubieten“. Zwölf Jahre lang blieb diese Geschichte, die eine Wendung ins Ekelhafte zeichnet, in der Schublade, bevor sie sie einem befreundeten Herausgeber verkaufen konnte.
„Er war eines Abends in die Küche gekommen, um vor dem Dinner schon eine Kleinigkeit zu essen, und zufällig war sein Blick auf die Schüssel mit Schnecken gefallen, die auf dem Ablaufbrett am Spülstein stand und in der sich zwei Schnecken höchst sonderbar benahmen. Sie standen sozusagen auf dem Schwanzende und schwankten voreinander hin und her wie zwei Schlangen, die von einem Flötenspieler hypnotisiert werden. Gleich darauf berührten sich die beiden Gesichter zu einem Kuss von deutlicher Sinnlichkeit. Mr. Knopper trat näher heran und musterte sie von allen Seiten. Da geschah noch etwas: bei beiden Schnecken erschien auf der rechten Kopfseite ein kleiner Auswuchs, etwa wie ein Ohr. Was er da vor sich sah, war irgendeine Art von Sexualerlebnis, das sagte ihm sein Instinkt.“
Obwohl Patricia Highsmith eine Vorliebe für sexuell ambivalente Charaktere hat, ist dieses Paarungsritual, das noch weiter beschrieben wird, die offenkundigste Darstellung des Sexuellen in ihrer Arbeit. Nach dem Betrachten der beiden Schnecken beginnt Knopperts anfänglicher Schauder in gewisser Weise an eine sexuelle Besessenheit zu grenzen und erreicht ein gewisses Extrem, das schließlich zu seinem Untergang führt.
The Snails
Die zweite Schneckengeschichte ist dann tatsächlich noch viel mehr eine Horror- beziehungsweise Monstergeschichte als die erste. „Auf der Suche nach X. Claveringi“ wurde zuerst in der Saturday Evening Post unter dem Titel „The Snails“ veröffentlicht. Bei den fraglichen Monstern handelt es sich um fünf Meter große Schnecken, die von Professor Clavering entdeckt werden, der hofft, dass sein Name mit ihnen in Verbindung gebracht wird („Soundso Claveringi“, was zum Titel führt. Die Übersetzerin Anne Uhde hat hier das „X“ einmal für „Soundso“ und zum zweiten für das „blank“ im Originaltitel eingesetzt: The Quest for Blank Claveringi.) Wie bereits bei Knoppert ist auch sein Verhalten zwanghaft.
Als der Professor in ein schreckliches Katz-und-Maus-Spiel zwischen Mensch und Schnecke gerät, kommt das berühmte Spannungstalent der Autorin zum Vorschein. Bemerkenswert ist, dass Highsmith die von ihrem Werk gewohnte Trope umkehrt. Sie schreibt so oft über die Täter und nicht über die Opfer, und die Angst des Opfers ist hier ebenso faszinierend wie spürbar. Die Schnecken selbst sind berechnende Raubtiere, die nicht aufgeben, und den Professor so lange in die Erschöpfung treiben, bis der sich kaum noch wehren kann. Es sind Gastropoden-Versionen von Tom Ripley, klüger und stärker als der dem Untergang geweihte Clavering.
So furchteinflößend die Riesenschnecken auch sind, kann die schneckenbesessene Highsmith nicht umhin, auf deren Schönheit anzuspielen, die nur wenigen Menschen bei einer solchen Kreatur auffällt. „Er hatte jetzt die linke Seite vor sich“, schreibt sie, „die Seite ohne das Spiralgehäuse. Sie sah aus wie ein pfirsichfarbenes Segel, vom Wind gebläht, und die Sonne malte silbrige und perlmuttschimmernde Flecke darauf, die glänzten und sich hin- und her wanden, als das Riesentier sich bewegte.“
Die beiden Schneckengeschichten in dieser Sammlung sind für sich genommen schon solide und verdammt ungewöhnliche Horrorgeschichten. Liest man sie mit etwas Wissen über Highsmith und ihr Problem mit Menschen, so kann man Graham Greene leicht zustimmen, der davon sprach, dass Highsmith über Schnecken in der gleichen distanzierten Weise schrieb, wie sie auch Menschen betrachtete.
Der Schneckenforscher (Eleven Stories)
„Warten“ ist die zweite Geschichte des Bandes und sie zeigt Highsmith in ihrer neurotisch besten Form. Es ist die Geschichte eines gestörten Mannes, dessen Enttäuschung in der Liebe eine irrationale Reaktion auslöst, die zu einer grausamen Täuschung führt.
Besessen von dunklen Themen innerhalb ihres gesamten Werkes, wurde auch diese Geschichte stark von einem schmerzhaften Moment in Highsmiths eigenem Liebesleben inspiriert. Nachdem sie während eines Italienurlaubs im Sommer 1949 eine glückliche Affäre mit der englischen Ärztin Kathryn Cohen hatte, kehrte Patricia Highsmith nach New York zurück und begann ihr zu schreiben. Jeden Tag wartete sie auf eine Antwort von Kathryn, die nicht kam. Ihre inneren Qualen fanden Eingang auf die Seiten dieser Geschichte, in der Don von einer Urlaubsromanze mit Rosalind zurückkehrt und ihr im Brief mitteilt, dass er sie heiraten möchte. Als sie nicht antwortet, überzeugt er sich davon, dass ihr Brief nicht versehentlich an seinen Nachbarn zugestellt wurde. Er bricht den fremden Briefkasten auf und findet einen Brief, den eine liebeskranke Frau namens Edith geschrieben hat. Don nimmt die Identität seines Nachbarn an, antwortet Edith und verabredet sich mit ihr an der Grand Central Station. Schließlich antwortet endlich Rosalind und lehnt Dons Heiratsantrag ab. Ein niedergeschlagener Don geht daraufhin zum Grand Central, um Edith zu treffen.
„Die Geschichte handelt so sehr von K und mir“, schrieb Highsmith später in ihr Tagebuch.
Sie wurde erst 1968 im Ellery Queen Mystery Magazine veröffentlicht, bevor sie Teil der vorliegenden Sammlung wurde.
In der Kurzgeschichte „Die Schildkröte“ löst die Tötung des titelgebenden Tiers, das zu einem Ragout verarbeitet werden soll, einen Muttermord aus. Ursprünglich hält der junge Protagonist die Schildkröte für ein Geschenk an ihn von seiner Mutter. Entsetzt von der Tötung und Zerstückelung des Tiers, überwältigt ihn sein Groll und er ersticht seine Mutter.Es ist nicht überraschend, dass der Junge Bücher über Psychologie besonders mag, darunter Karl A. Menningers „The Human Mind“, denn als Highsmith im Alter von neun Jahren dieses Buch in der Bibliothek ihres Stiefvaters gefunden hatte, war sie derart gefesselt von den Fallgeschichten psychischer Erkrankungen und abweichendem kriminellen Verhalten, dass ihre Fantasie für immer von irrationalen Trieben, die zu Gewalt und Selbstzerstörung führen, gefesselt blieb. „Die Schildkröte“ ist eines von vielen Beispielen, in denen Highsmith zeigt, dass ihre eindeutige Stärke die Darstellung der Geisteskrankheit ist. Wie in vielen ihrer Kurzgeschichten herrscht hier eine erstickende Atmosphäre der Zerrüttung und Verwirrung.
Eine andere Geschichte in dem Buch, „Als die Flotte im Hafen lag„, hat einen großartigen Eröffnungssatz: „Mit der Chloroformflasche in der Hand, starrte Geraldine auf den Mann, der schlafend auf der Veranda lag.“ Man weiß natürlich, dass es kein Happy End in dieser Geschichte geben wird. Der Mann ist Geraldines eifersüchtiger Ehemann, der glaubt, dass sie mit jedem Mann, mit dem sie auch nur den winzigsten Kontakt hat, eine Affäre beginnt. Darüber hinaus ist er gewalttätig, so dass sie den Mord an ihm als Befreiung empfindet. Sie flieht aus dem Haus, in dem sie wie eine Gefangene gehalten wurde und weiß nicht, dass ihr Mann das Chloroform überlebt hat. Am Ende der Geschichte wird sie von der Polizei festgenommen, die sie nicht wegen versuchten Mordes anklagt, sondern nur als Vermisste wieder zurückbringt – eine brillante Verdichtung einer schäbigen und tragischen Situation. Wir lernen ihre Vergangenheit in Bruchstücken und durch Anspielungen kennen, während die Geschichte fortschreitet. Es gibt eine ungezwungene Sanftheit in Highsmiths Stil, aber das ist Kalkül, weil sie uns dazu bringen will, dass wir uns dieser beschädigten und geistig instabilen Frau annehmen, bevor sie das verheerende Ende einleitet.
1946 gewann die Story „Die Heldin“ über eine gestörte Gouvernante den 0. Henry Award für das beste Debüt, und tatsächlich ist diese kurze Erzählung bereits voll ausgebildet. Hierzu passt die Aussage Paul Theroux‘:
„Highsmiths Genie liegt in der Darstellung des Paradoxons der Fantasie: Erfolge sind nicht das, was sie scheinen. Wo im traditionellen Märchen die Heldin die Kröte in einen Prinzen verwandelt, wird in Highsmiths Fabel der Prinz zur Kröte – der Erfolg ist fast immer tödlich. . . . Die Kombination der besten Eigenschaften des Suspense-Genres mit dem Besten der existenziellen Erzählung spiegelt sich hier – die Geschichten sind in jedem Sinne des Wortes phantastisch.“
Eine der kraftvollsten Geschichten der Sammlung ist „Auf der Brücke„, das Porträt eines Mannes, der nach einem Trauerfall und einer dadurch ausgelösten Identitätskrise in der Fremde herumirrt, die ihm doch nicht gänzlich fremd ist. Obwohl er sich fremd fühlt und es in weiten Teilen auch ist, zieht ihn die Erinnerung an die Zeiten seiner Flitterwochen in Form eines Gartens in Italien an. Der Wechsel zwischen vergangener Vertrautheit und anonymer Fremde korrespondiert mit einem von ihm beobachteten Selbstmord, der sich ereignete, als er zu Beginn der Erzählung in einem Taxi über eine Brücke fuhr. Tatsächlich ist der Originaltitel „Another Bridge to Cross“ vielsagender, Patricia Highsmith nannte sie eine „tragische Geschichte, die ich aus meinen eigenen Gefühlen heraus geschrieben habe“. Sehr schön zeigt sie hier eine innere Leere auf, die mit der lebendigen Welt im Kontrast steht. Alle Versuche Merricks, das Leben nicht ganz aus den Augen zu lassen, scheitern, bis er sich am Ende nicht mehr aus dem Garten bewegt.
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