Das Geheimnis des Schneemanns

Das Geheimnis des Schneemanns (Nicholas Blake)

Spätestens nach dem sensationellen Erfolg des Filmes Knives Out von 2019 war zu erkennen, dass der klassische Kriminalroman gegenwärtig eine Renaissance erlebt. Das schlägt sich zwar in unseren Breitengraden erst langsam nieder, aber auch hier ist das Interesse an der Cosy Mystery und am Whodunit wieder gewachsen. Mit den Übersetzungen klassischer Romane sind wir gegenüber aktuellen Erscheinungen gut aufgestellt, um so verwunderlicher ist es, dass der siebte Band der Nigel-Strangeways-Serie, der als einer der besten Krimis aller Zeiten in mindestens zwei relevanten Büchern zu diesem Thema aufgelistet wird, erst jetzt das Übersetzungslicht der Welt erblickt.

Macht aber nichts, denn jetzt ist er da. Klett-Cotta hat sich dieser Sache erfolgreich angenommen. Dennoch bleibt bei der Nigel-Strangeways-Reihe der bittere Beigeschmack einer Rumpfserie, denn im Gegensatz zu vielen anderen Krimireihen hat der Leser einiges davon, wenn er die Strangeways-Serie der Reihe nach liest. Was eigentlich gar nicht so einfach ist, weil viele Bände völlig willkürlich und durcheinander in unterschiedlichen Verlagen erschienen sind und außerdem längst vergriffen.

Nigel Strangeways ist eine Figur, mit der man sich anfreundet, während man seine Entwicklung und Veränderung im Laufe der Geschichten verfolgt – und das macht diese Krimis – im Grunde so – fesselnd. Der Ameteurdetektiv wurde nach dem Vorbild von Day-Lewis‘ Dichterkollegen und Freund W. H. Auden gestaltet, und der Autor ließ sich auch von anderen Bereichen seines Lebens zu Figuren, Schauplätzen und Handlung inspirieren. Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete er als Redakteur im Informationsministerium, das er später als Grundlage für das Ministerium für Moral in Minute for Murder verwendete.

In einigen Fällen kann man die Entwicklung vom Leben des Ermittlers, das von Auden inspiriert wurde, bis hin zur Übernahme von Teilen aus Day-Lewis‘ eigenem Leben verfolgen.

Sei dem wie es ist.

Hier und heute begrüße ich euch also zu Das Geheimnis des Schneemanns von Nicholas Blake, einem Pdeudonym des Lyrikers Cecil Day-Lewis, 1941 erstmals veröffentlicht.

Hier sind alle Elemente des klassischen Kriminalromans aus dem Goldenen Zeitalter vorhanden – ein vom Schnee abgeschnittenes Landhaus; ein Mord in einem verschlossenen Zimmer; ein Amateurdetektiv, der mit der örtlichen Polizei zusammenarbeitet; Familiengeheimnisse, Hinweise und Ablenkungsmanöver – aber auch Themen wie Drogen und Drogenabhängigkeit werden ausführlich behandelt (mit einigen interessanten Einblicken in die Einstellungen der damaligen Zeit).

Es schneit heftig, und der Zweite Weltkrieg befindet sich in seiner frühen Phase. Nigel und Georgia Strangeways sind bei Georgias Cousine Clarissa Cavendish zu Gast, die sich Sorgen über die Ereignisse im Haus ihrer Nachbarn macht. An Heiligabend wurden die Mitglieder einer Hausparty auf Easterham Manor gestört, als die Katze der Familie, die das angeblich verfluchte „Bischofszimmer“ besichtigen wollte, sich wie ein „Derwisch“ benahm und sich wiederholt gegen die Wände warf. Nigel gibt sich als Mitglied der Gesellschaft für Psychische Forschung aus und beschließt, der Sache nachzugehen.

Schon bald nach seiner Ankunft im Herrenhaus zeigt sich, dass die Mitglieder der Hausgemeinschaft nervös und angespannt sind. Im Haus befinden sich Hereward Restorick, seine amerikanische Frau Charlotte, ihre Kinder John und Priscilla, Onkel Andrew, Tante Elizabeth (Betty), Dr. Bogan, ein Spezialist für Nervenkrankheiten bei Frauen, der Elizabeth behandelt, sowie Miss Eunice Ainsley und der Schriftsteller Will Dykes. Am nächsten Tag wird einer der Anwesenden tot aufgefunden, und Cousine Clarissas beunruhigendes Gefühl, dass etwas nicht stimmt, bestätigt sich auf schreckliche Weise.

Es handelt sich um einen Krimi aus dem Goldenen Zeitalter, mit vielen Wendungen, intellektuellen Rätseln und einigen raffinierten Handlungssträngen, bei denen man spürt, dass der Autor großen Spaß daran hatte. Die Lösung des Rätsels liegt in der Vergangenheit, und Nigel Strangeways muss herausfinden, was vor langer Zeit geschah, um ein Motiv für einen Mord in der Gegenwart zu finden. Es gibt eine große Anzahl von Opfern und Verdächtigen, die alle in einem von Schnee umgebenen Haus leben, was dem Buch eine herrlich isolierte Atmosphäre verleiht.

Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete der Autor als Redakteur im Informationsministerium, das später von George Orwell in seinem Romanklassiker „Neunzehnhundertvierundachtzig“ persifliert wurde (obwohl es auch die Vermutung gibt, dass Orwell die BBC als Vorbild genommen hat). Weitere Bücher von Nigel Strangeways wurden erst nach dem Krieg im Jahr 1947 veröffentlicht, als die Reihe mit „Minute for Murder“ fortgesetzt wurde, wobei ebenfalls das Ministerium als Inspiration diente. Wer klassische Krimis von Autoren wie Dorothy L. Sayers oder Agatha Christie mag, wird an der Strangeways-Reihe mit Sicherheit seine Freude haben.

MEP

MEP

Michael Perkampus wurde am 2. April 1969 im Fichtelgebirge geboren. Als Solitär der deutschen Literatur arbeitet er in seinen Texten mit "Bewusstseinsfragmenten" und "Synkopen", einer "philosophischen Phantastik". Von 2005 - 2010 moderierte er die Schweizer Literatursendung "Seitenwind" in Winterthur. Letzte Erzählungen erschienen im Blitz-Verlag unter "Das Kriegspferd", herausgegeben von Silke Brandt. Im Januar 2015 ging das Phantastikon online, später folgte der gleichnamige Podcast. 2018 gab er die Anthologie "Miskatonic Avenue" heraus, deren Namen jetzt für eine Rubrik im Magazin steht. Wer sich für Metaebenen interessiert, sollte sich den Blog "Crossroads" anschauen: https://crossroads.phantastikon.de

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