Jedes Bild in Das blutrote Kleid des Genreregisseurs Peter Strickland ist bis ins kleinste Detail stilisiert. Eine solche Stilisierung mag die Geduld mancher Zuschauer auf eine harte Probe stellen, aber hier ist ein Maß an schamlosem Selbstbewusstsein vorhanden, das man nur begrüßen kann. Die Handlung dreht sich um ein verzaubertes Kleid und seine unheimlichen Auswirkungen, wenn es von einer Trägerin zur nächsten weitergereicht wird. Das Kleid selbst ist wunderschön anzusehen – seine tiefrote Farbe und die drapierte Silhouette sind unbestreitbar sinnlich, während der Stil des Giallo, der Softcore-Pornografie und des klassischen europäischen Kammerspiels imitiert wird.
Wie schon Stricklands Vorgängerfilm The Duke of Burgundy spielt Das blutrote Kleid in einem Universum, das an die 1970er Jahre erinnert, aber letztlich aus der Zeit gefallen ist. Beide Filme sind üppig und karg zugleich. Stricklands Inszenierung ist von fetischistischen Details geprägt, und einige der auffälligsten Passagen in Das blutrote Kleid drehen sich um Schaufensterpuppen und vaginale Bilder.
Das Objekt der Begierde ist hier also ein rotes Kleid, das seine Form so verändert, dass es die Kurven der unsicheren Frau, die es trägt, perfekt unterstreicht. Die Eröffnungseinstellung des Films zeigt die Ankunft des Kleides in einem Paket, das mit einer langen, antiken Schere geöffnet wird – ein Bild, das Strickland einfriert, um die Besonderheit der Lieferung zu unterstreichen. Das Standbild dient auch dem stilistischen Vergnügen, indem es den totemistischen Nervenkitzel des Konsums suggeriert, der in erster Linie von der Begierde nach Objekten angetrieben wird. Immer wieder tauchen Montagen solcher Standbilder auf, und immer wieder verweisen die Figuren auf die Sonderangebote einer Boutique namens Dentley and Sopers, die als böser Kern der Erzählung fungiert.
Schon der Begriff des Ladens ist einer von Stricklands besten Witzen. Dentley and Sopers suggerieren einen Hexenzirkel, denn Strickland bezieht Hexerei auf das kultische Verhalten der Angestellten von Nobelgeschäften, die sich viele von uns nicht leisten können und daher nicht verstehen. Die Chefin des Ladens ist Miss Luckmore (Fatma Mohamed), die den Frauen in poetischen und zugleich schamlos absurden Reden Kleider anpreist. („Das Zögern in Ihrer Stimme, das bald ein Echo in den Nischen der Sphären des Einzelhandels sein wird.“) Miss Luckmore spricht in Zaubersprüchen und kleidet sich wie ein Vampir – mit schwarzer Perücke und weißer Kabuki-Schminke, die an den dämonischen Schelm aus Lost Highway erinnern -, denn warum auch nicht? Strickland rührt seine Einflüsse zusammen und fordert sein Publikum auf, sich zu berauschen, und das Vergnügen des Films entspringt ja gerade seiner Unverfrorenheit.
Strickland schafft einen besonderen Moment von atemberaubendem Surrealismus. In der Nacht ziehen Miss Luckmore und ihre Untergebenen eine weibliche Schaufensterpuppe aus und streicheln sinnlich ihre Brüste und ihren Bauch. Nach und nach entfernen sie die Unterwäsche der Puppe, um echte Schamhaare und eine menstruierende Vagina zum Vorschein zu bringen. Miss Luckmore taucht ihren Finger in das Menstruationsblut und leckt es auf, während ein älterer Mann (Richard Bremmer), ein weiterer Teufel in der Boutique, heftig masturbiert. In dieser Szene deutet Strickland kühn die Verbindung zwischen sexueller Frustration und Konsumismus an (ganz zu schweigen vom Filmemachen) und taucht dabei in den Äther seiner eigenen Fantasien ein. Diese Verbindung wird auch durch den sinnlichen Fluss des Kleides selbst verkörpert, vor allem wenn es übernatürlich in der Luft schwebt und die Verdammnis derer heraufbeschwört, die es kaufen.
Die erste Frau, die das Kleid kauft, ist Sheila (Marianne Jean-Baptiste), eine alleinerziehende Mutter in den Fünfzigern, die unter erdrückenden Bedingungen als Bankangestellte arbeitet und die Empörung ihres verwöhnten Teenager-Sohns Vince (Jaygann Ayeh) erträgt, der regelmäßig lautstarken Sex mit seiner älteren Geliebten Gwen (Gwendolyn Christie) hat. Jeder spricht mit Sheila mit offener Verachtung, auch die rüpelhaften Männer, die sie über Kontaktanzeigen kennen lernt. Obwohl Strickland hier die Karten auf den Tisch legt, indem er alle Charaktere gnadenlos auf Sheila loslässt, enthüllt er ein echtes Verhaltensmuster: die Tendenz, sich über diejenigen zu ärgern, die am bedürftigsten sind. Sheilas Einsamkeit und ihr Eifer, es allen recht zu machen, sind zwar rührend, aber auch eine Schwäche, die Jean-Baptiste mit subtiler, aber fester Inbrunst dramatisiert. Als Sheila das Kleid anzieht, wird sie von Strickland wunderschön in einem dreifachen Splitscreen aus Spiegeln eingerahmt, der die von ihr ersehnte Wiedergeburt andeutet.
Hätte sich Strickland ganz auf Miss Luckmore, Dentley and Sopers, Sheila und das rote Kleid konzentriert, hätte Das blutrote Kleid vielleicht die inselhafte emotionale Kraft von Berberian Sound Studio und The Duke of Burgundy erreicht. In der ersten und über weite Strecken auch in der zweiten Stunde hat der Film die gleiche flüchtige Üppigkeit. Doch diesmal setzt Strickland auf Gimmicks, die sich immer weniger lohnen. Sheilas Geschichte wird abrupt abgebrochen, gerade als sie Fahrt aufnimmt, gerade als Sheila droht, sich zu verselbständigen und die Fesseln von Stricklands düster-entrückter Weltsicht zu sprengen.
Nach der Hälfte beginnt die Geschichte also wieder von vorne, wobei sich der Film der zweigeteilten Struktur (wie etwa in „Psycho“) bedient. Solche Filme mutieren erzählerisch und formal mit der Ermordung der zentralen Figuren, während sich hier eine „business as usual“-Qualität einschleicht, trotz der erdigen und bewegenden Darstellung von Hayley Squires als Babs, dem nächsten geplanten Opfer des Kleides, die sich an einen Albtraum erinnert, den sie einmal hatte, als sie immer dünner wurde, während ihre Kleidergröße trotzdem zunahm. Ein solcher Moment unterstreicht sowohl die Stärken als auch die Schwächen des Films. Trotz der Anziehungskraft von Stricklands formalem Feuerwerk gibt es hier vielleicht zu viel „Gewolltes“. Das Kleid wird zu aufdringlich als Dämon der kapitalistischen Manipulation dargestellt. Vielleicht wäre es abschreckender und nachhaltiger gewesen, wenn es einfach nur todschick gewesen wäre, wenn die Menschen es begehrt hätten, weil es einfach von Natur aus begehrenswert ist.
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