Der Tisch ist festlich gedeckt, die Familie, ordentlich frisiert und gekleidet, versammelt sich, betet gemeinsam. Kerzen brennen, in der Terrine dampft es, Brot wird gereicht, die älteste Tochter greift schweigend nach dem Schöpflöffel und verteilt bräunliche, dickflüssige Suppe auf den Tellern. Es wird gegessen. Stille im Raum. Fleischgeruch in der Luft. Ekel im Kopf.
Die Leute verzehren soeben die in feinste Bröckchen zerlegte Leiche einer aus dem Ort entführten Frau. Die zuvor im Schuppen angekettet war, um sie zur Feier des ersten Tages nach Beendigung einer familiären Fastenzeit zu erschlagen, zu schlachten, auszunehmen, zu zerschneiden, portionieren, anzurichten und zu verspeisen. Zu kauen. Schlucken. Zu fressen eben.
Das geschieht in einem recht altertümlich eingerichteten Haus, weit abseits einer kleinen Stadt gelegen, in der seit Jahren immer wieder Menschen verschwinden. Wie die Tochter von Doc Barrow (Michael Parks), der seit langer Zeit schon Schlimmstes befürchtet. Am Ende des Films We are what we are wird seine wohl düsterste, zugleich unfassbarste Ahnung bestätigt: Dass seine Tochter von den Parkers, einem eigentümlichen Clan, der abgeschottet in seiner alten Väter Sitte lebt, umgebracht, für Topf und Grill zubereitet und verspeist wurde.
Den Magen umkrempeln
Klingt äußerst schaurig. Auch ziemlich widerlich. Wird aber von Regisseur Jim Mickle, der sein Remake der mexikanischen Grusel-Groteske Somos los que hay aus dem Jahr 2010 (Regie: Jorge Miguel Grau) ohne ansatzweise nachvollziehbare Not der Akteure, – sie essen Menschen nicht, weil sie hungrig sind und nichts anderes haben, sondern weil sie einem Jahrhunderte alten Familien-Ritual folgen – , recht beschaulich dramatisch dahinplätschernd erzählt. Heißt nicht, dass We are what we are ohne die wirklich fiesen Momente auskommt, die nun mal zum Horror-Genre unabdingbar gehören, weil wir sonst ratlos in etwas wühlen, das gar nicht da ist. Mag das dezent versteckt, subtil, plastisch oder furchtbar krass sein, unter die Haut muss das gehen. Sonst fühlen wir uns verwirrt, Enttäuscht. Betrogen.
Das ist bei We are what we are keineswegs so und streckenweise eben doch. Die Geschichte pendelt zwischen Schwermut, Ungemütlichkeit, Tristesse, Abscheulichkeit, Würgereiz, Schweigeminuten und Gemetzel. Das ist ziemlich viel, hält aber trotzdem im Gesamtpaket gut wach. Wenn die Suppe auf dem Tisch steht und die Kamera in Großaufnahme das zeigt, was gelöffelt wird, – es erinnert an Gehacktes in der Bolognese oder im Käse-Lauch-Eintopf -, dann reichen das Wissen darum und die Vorstellung, dass…sehr wohl aus, um hübsch den Magen umzukrempeln.
Wenn Vater Frank (Bill Sage) dem netten jungen Deputy Anders (Wyatt Russell) beim Liebesspiel im Freien mit Tochter Iris (Ambyr Childers), – kein rein sexuelles Intermezzo, die beiden mögen sich wirklich – , eine Spitzhacke, Messerklinge, was auch immer das jetzt ist, in den Schädel schießt oder rammt, dann ist das geradezu verblüffend schockierend. Damit rechnet man einfach nicht. Dass Vater Frank auch noch der hilfsbereiten Nachbarin Marge (Kelly McGillis) die Kehle durchschneidet, findet man, ja, einmal mehr so richtig gemein.
Und wenn dann am Ende des Films Iris und Schwester Rose (Julia Garner) über den zuvor von Rose bereits empfindlich verletzten Vater am Esstisch herfallen und Stücke aus ihm herausbeißen, um, sich mit blutverschmierten Mündern anblickend, ihr gegenseitiges Einverständnis zu bekunden, während der kleine Bruder mit weit aufgerissenen Augen zuschaut, muss man bekennen, dass das nun schon derbe abläuft. Hat man auch nicht mental eingeplant, so vom Ablauf der Geschichte her.
Die beginnt mit Sturm und Regen und dem Tod der kranken Mutter, die für einen Einkauf in die Stadt fährt, am Auto zusammenbricht und in einer großen Schlammpfütze ertrinkt.
Szenenwechsel, das Haus der Parkers. Sie fasten (noch), wirken allesamt kränkelnd, das Setting ist farblos, die Stimmung deprimierend. Klar wird, dass Iris als die nunmehr älteste Frau der Familie die Pflichten der verstorbenen Mutter übernehmen muss. Patriarchinnen-Pflichten, die seit der Siedlerzeit für den Parker-Clan religiöses Programm sind…was in Rückblenden gezeigt wird. Heißt: Iris tötet, zerlegt und serviert die zuvor vom Vater gefangene und in den Schuppen geschleppte Beute. Menschen eben. Die Familie frönt dem Kannibalismus, wie es die Urahnen praktiziert haben. Freilich primär aus dem Grund, nicht verhungern zu müssen. Dann wohl aus dem Glauben heraus, dass Gott sie auf diesen Weg geführt habe, den sie fortan aus Überzeugung nicht mehr verlassen können.
Franks Töchter zweifeln. Sie wünschen sich, normal wie die anderen zu sein. Der dominante Vater lehnt Veränderung strikt ab. Er sagt, sie müssen. Sagt auch (unsinnigerweise), sie würden sterben ohne Menschenfleisch. Iris gehorcht widerwillig, letztendlich aber entschlossen und überzeugt, korrekt zu handeln. Auch im Sinn des Opfers.
Auf dich wartet ein besseres Leben.
Sie tötet die angekettete, verzweifelt um Gnade und Hilfe bettelnde Frau aus dem Schuppen und bereitet das erste Festmahl nach der Fastenzeit vor. Am Tisch lobt der Vater ihre Kochkünste. Sie schweigt. Isst. Alle essen. Dieses Rühren in der Suppe, das dezente Schmatzen, der gern gewährte Blick auf die Löffel…das frönt schon einem gewissen Übelkeitsgefühl.
In der Zwischenzeit hat der starke Regen in den letzten Tagen die von den Parkers vergrabenen menschlichen Überreste aus der Erde in den Fluß gespült. Vater Frank ahnt Bedrohliches. Doc Barrow findet einen Knochen, informiert die Polizei, die das Gebiet durchsucht und natürlich hofft, jetzt eine Spur zu haben, die vielleicht zur Aufklärung führt bezüglich der in der Vergangenheit als vermisst gemeldeten Personen aus der Umgebung. Wie eben jüngst die geschlachtete Nachbarin. Wie vor Jahren die Tochter von Barrow.
Eintopf mit Arsen
Vater Frank, der die nahende Aufdeckung befürchtet, entscheidet im Alleingang, das Leben seiner Töchter, das des kleinen Sohnes und sein eigenes zu beenden, bevor er sich mit dem Gesetz, Rechtfertigung, Moral, Erklärung und einer Schuldfrage auseinandersetzen müsste, die er aufgrund seines Glaubens weit von sich weisen würde. In der festen Überzeugung, im göttlichen Sinne richtig zu agieren, – diese Einstellung vertritt er auch bei seinen brutalen Morden am Deputy und Nachbarin Marge, die seine Kinder vor ihm schützen will – , vergiftet er den abendlichen Eintopf mit Arsen. Rose findet die Flasche und schlägt ihrem Bruder den Löffel aus der Hand. In dem Moment betritt Doc Barrow das Haus, sieht am Zopf von Iris die Haarspange seiner Tochter und wendet sich mit einer Pistole in der Hand an Frank.
Ihr habt sie gegessen!
Er drückt ab, verletzt Frank aber nur, der ihn zu Boden schlägt, sich wieder an den Tisch setzt und Iris zärtlich umarmt. Die sagt mit tränenerstickter Stimme:
Ich liebe dich auch, Vater.
Sie sticht zu, direkt in seinen Hals. Der Vater sieht sie fassungslos an, und im gleichen Moment fallen seine Töchter über ihn her und verbeissen sich in ihm. Sie zerren mit ihren Zähnen dicke, blutige Stücke aus ihm heraus, kauen und schlucken sie…und irgendwie kommt es einem jetzt doch ein bisschen so vor, als wäre Jim Mickle am Ende noch eingefallen, dass er ja immerhin einen Horrorfilm dreht. Und der braucht zumindest etwas Gematsche, Gemenge und Gemetzel. Warum nicht in den letzten paar Minuten?
Schlußszene: Die drei Geschwister sitzen im Auto auf dem Weg in ein anderes Leben, Iris fährt, Rose hält das uralte Familienbuch in den Händen mit den Sitten und Gebräuchen der Parker-Kannibalen-Sippe. So recht nach einem neuen, besseren Leben sieht das nun nicht aus. Eine Fortsetzung im Kopf lässt die (eigene) Musik spielen.
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