Die italienische Presse gab Donato Bilancia noch andere unheimliche Namen. Man dachte an Blutrache, an Vendetta. An Verschwörung und Vergeltung jeglichen mysteriösen, düsteren Kalibers. Man nannte ihn: Massenkiller der Mafia. Vollstrecker der Mafia. Missionar der Mafia. Das war, bevor der Mann, auf dessen Konto siebzehn Leichen und ein versuchter Mord gehen, nach seiner Festnahme 1998 im Hafen von Genua frank und frei verkündete:
„Ich weiß gar nicht, warum ich das alles getan habe. Ich ging aus dem Haus und nahm mir vor, zu töten. Es ist wohl so, dass ich ein kranker Mann bin.“
Allen vorangegangenen Spekulationen, möglichen Motiven und tiefgründigen Befürchtungen zum Trotze: Donato Bilancio, nach dem in ganz Italien gefahndet wurde, war kein Auftragsmörder. Kein Professioneller, der eiskalt seinen unkommentierten Job erledigt. Kein finsterer Rächer.
Der Süditaliener, der im Norden des Landes lebte, zwischendurch als Mechaniker oder auch Barkeeper jobbte, meist aber arbeitslos und zudem hoch verschuldet war und der ständig an Spieltischen in edlen Casinos sein Glück versuchte, wird als geltungssüchtig und überheblich, gleichwohl mit jenem gewissem Charme versehen beschrieben. Durchaus auch als „Frauenliebling“. Aber mitnichten war er der klassische Gangstertyp.
Bis zu seinem ersten Mord im Oktober 1997 hatte Bilancio keine einzige noch so geringfügige Gewalttat begangen, war sozusagen ein unbeschriebenes Blatt. Laut eigener Erklärung war er ganz einfach nur ein psychisch gestörter Mann, der plötzlich damit begann, Menschen zu töten. Weil da dieser böse Drang in ihm war. Zwanghaft. Unkontrollierbar. Und nicht logisch definierbar für ihn, der zwar all die Morde unverblümt gestand, sie aber mit der Erklärung rechtfertigte, wirklich ernstzunehmend krank zu sein.
„Ich verlange, dass man mich behandelt.“
Als man wusste, dass Donato Bilancio keineswegs für die Mafia, sondern für seine persönliche grundlose Berufung mit völlig verstörter Sichtweise „arbeitete“, tauften die Medien ihn um in „Das Monster von Ligurien“. Damit war fett und eindeutig unterstrichen, was Bilancio, der im reifen Alter von 46 Jahren sozusagen sprichwörtlich über finstere Nacht zum Serienmörder wurde, tatsächlich bewogen hatte: Bestailische Ignoranz dem Leben Anderer gegenüber und eine animalische Gier darauf, sich als potenzieller Todbringer beweisen zu können. Und diese keineswegs in ihren Wurzeln derart krank, dass man den Täter letztendlich wegen Unzurechnungsfähigkeit oder verminderter Schuldfähigkeit in der Psychiatrie hätte unterbringen können. Oder wollen. Bilancio, heute ein 68jähriger Mann, sitzt im Gefängnis von Padua, das er erst verlassen wird, wenn man ihn hinausträgt. 13Mal lebenslänglich hat er 1999 bekommen: Eine Strafhöhe, die in Italien nur noch gegen Mafiabosse verhängt wird, die des Mordes (tatsächlich!) überführt werden.
Hass auf Frauen: Das „Monster von Ligurien“
Bilancio, dem Jahre zuvor in einem psychiatrischen Gutachten „Hass auf alle Frauen“ attestiert worden war, erzählte, von Mutter und Tante als Kind und heranwachsender Jugendlicher ihn peinlich und sexuell beschämend behandelt worden zu sein, was ihn zeitlebens gehemmt und wütend gemacht hätte. Er war nie verheiratet, pflegte auch keine engeren Beziehungen zu Frauen. Sein erstes Opfer war freilich ein Mann, sein Freund Giorgio Centenaro, den er aus Wut erschoss über ein manipuliertes Kartenspiel, das er haushoch verlor. Zu Unrecht, wie er korrekt befand. Grund genug, ihn zu töten. Wie er meinte, ohne die spontane Umsetzung des Gedankens konkret erklären zu können.
Anschließend sollte Maurizio Parenti, ein zweiter Freund, gleichsam am Betrug im Casino beteiligt, dran glauben. Bilancio suchte umgehend nach Centenaros Tod mit seinem Revolver Kaliber 38 in der Jackentasche das Haus von Parenti auf und drückte ab. Skrupellos erschoss er ihn und seine Frau. Diese Nacht ohne Gewissensbisse hat ihn dann wohl auf den Geschmack gebracht. Dreimal hatte er getötet, und es war ihm leicht gefallen. Er machte weiter. Ein Juweliers-Ehepaar folgte, hier waren es auch die Wertsachen im Safe, die zusätzlich lockten. Er erschoss innerhalb kürzester Zeit vier Prostituierte, zwei Geldwechsler, – gleichsam lohnenswerte Beute für ihn – , und drei Nachtwächter, die ihm über den Weg gelaufen waren. Den ersten..
„…brachte ich um, weil ich Nachtwächter nicht mag.“
Leichen im Zug: Zufallsopfer
Als dann zwei Frauenleichen auf Zugtoiletten gefunden wurden, breitete sich echte Panik in der Bevölkerung aus. Die erschossenen Frauen waren augenscheinlich echte Zufallsopfer, Zivilpersonen mit völlig normalem Hintergrund, die das Pech gehabt hatten, in den falschen Zug zu steigen und dort die Toilette aufzusuchen. Beobachtet und verfolgt von Bilancia, dem die Frauen schlichtweg nicht passten und die er per Kopfschuss hinrichtete. Vielleicht, weil sie ihn zuvor angesehen hatten, wie er nicht angesehen werden wollte. Vielleicht, weil sie in seinen Augen ein Nichts waren.
„Wir wollen dieses Dreckstück sehen!“
Überführt wurde Donato Bilancia letztendlich auch durch seine DNA an achtlos weggeworfenen Zigarettenstummeln, die an den Tatorten aufgesammelt worden waren. Vor Prozessbeginn ließ Biancia verlauten, er wolle seine Privatspäre geschützt wissen und die Gerichtsverhandlung deshalb von seiner Zelle aus via TV verfolgen. Die Bevölkerung war empört, zumal Biancia noch betonte, es würde ihn psychisch belasten, von den Angehörigen seiner Opfer „begafft“ zu werden. Man schrie nach Biancia:
„Wir wollen dieses Dreckstück sehen.“
Die Staatsanwalt forderte für den des 17fachen Mordes angeklagten Biancia 13mal lebenslänglich, plädierte höchst emotional und sprach im wahrsten Sinne des Wortes im Namen eines schockierten Volkes, das höchste Ahndung und Gerechtigkeit verlangte. Die Menschen waren aufgebracht, die unfassbar sinnlosen Taten eines der „schlimmsten Serienkiller“ Italiens hatte das Land erschüttert. Die Richter schlossen sich den Anträgen der Staatsanwaltschaft in allen Punkten an. Nicht der Hauch einer Chance besteht für Biancia, der hinter den Mauern in Padua als „Musterhäftling“ gilt, irgendwann einmal wieder in Freiheit sein zu dürfen.
Seinem enormen Geltungsdrang schmeichelte eine italienische Fernseh-Mini-Serie, „Ultima Pallottela“ (Letzte Kugel), in der seine Morde thematisiert wurden. Skandalös wurde es, als Biancia für die beliebte TV-Sendung „Domenica In“ interviewt wurde und Gelegenheit bekam, sein unglaubliches Geständnis vor der gesamten Nation zu wiederholen:
„Ich weiß es nicht, warum ich mordete. Genauso gut hätte ich mich dazu entschließen können, in ein Restaurant zu gehen.“
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