Jen Williams ist vor allem für ihre Fantasy-Romane bekannt, für die sie auch auszeichnet wurde. Irgendwann hat sie sich wohl von dem allgemeinen Thriller-Fieber anstecken lassen und 2021 mit „Der Herzgräber“ ihren ersten geschrieben, der durchaus Beachtung fand. Da man bekanntlich auf einem Bein nicht stehen kann, hat sie mit „Die Totenbraut“ 2023 noch einmal nachgelegt. Den Ausschlag hierfür haben urbane Legenden gegeben, wie sie heute jeder kennt: Der Hakenmann, der Slender Man, oder jene, in der sich der Babysitter bei den Eltern am Telefon über die seltsame, lebensechte Clownsstatue in ihrem Wohnzimmer beschwert, und der Vater natürlich antwortet: ‚Wir haben gar keine Clownstatue …‘). Jen Williams Roman spielt mit diesen Elementen, während wir Charlie, die hier ihre Geschichte erzählt, durch die Vergangenheit und die Gegenwart begleiten, in den Urlaub mit ihrer Familie und schließlich in die verhängnisvolle Sommerfreundschaft mit der seltsamen Emily auf dem Campingplatz. Als Erwachsene kehrt sie dorthin zurück, um angeblich für ein Buch über lokale Gespenstergeschichten zu recherchieren.
Mit „Die Totenbraut“ hat Williams ihre Erzählung auf eine Metaebene gehoben, bei der die Frage, wie verlässlich die Erzählerin ist, zum Schlüssel wird. Hier geht es um die Geschichten, die wir uns selbst über Ereignisse erzählen und die Art und Weise, wie unsere Erinnerungen zu Geschichten werden, die wir mit jenen Teilen, die sie mit uns erlebt haben. Erinnerungen schließlich sind so, wie wir sie am Ende weitergeben, niemals passiert. Aber wir können nicht sicher sein. So scheint zumindest das Vorhaben der Autorin zu lauten, die aber – außer gelegentlichen Erwähnungen dieser Umstände – erzählerisch kaum damit umzugehen weiß.
Charlie (Charlotte) ist eine geborene Lügnerin, oder vielleicht erfindet sie auch nur einfach gerne Geschichten. Im Sommer 1988 erzählt sie Emily die etwas andere Version einer urbanen Legende von Hithechurch und erfindet das Monster Stitch Face Sue. Nur so zum Spiel führen sie dunkle Rituale durch, um Sue mit Opfergaben dazu zu bringen, Emily von ihrem missbräuchlichen Vater zu befreien. Zumindest ist das Emilys Version, aber wie alles in diesem Roman, muss sie nicht unbedingt wahr sein. Und die Rituale scheinen zu funktionieren, denn Emilys Vater wird von einem Hund gebissen. Das ist der Moment, in dem Emily einfache Koinzidenzen nicht mehr anerkennt und von diesen makabren Spielen wie besessen wird. Emily ist davon überzeugt, dass ein weiteres Ritual nötig ist, bei dem sie zu dritt sein müssen. Sie lernen Katie kennen, die sich bereiterklärt, bei diesem Spiel mitzumachen. Schätze werden vergraben und Verwünschungen gesprochen, aber das Spiel geht furchtbar schief und Katie stirbt. Emily und Charlie werden für dreißig Jahre in die Psychiatrie gesperrt.
An dieser Stelle wird es etwas Schwierig, der Autorin selbst ihre Geschichte abzunehmen, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass man zehnjährige Mädchen für eine derart lange Zeit wegsperrt, aber die Zeitspanne ist natürlich notwendig, um die Vergangenheit klar von der Gegenwart zu trennen. Das ist nicht der einzige Schwachpunkt im Roman. Ein weiterer ist der etwas unklare Grund, warum Charlie sich in der Gegenwart dort noch einmal sehen lässt, ständig in Angst, erkannt zu werden. Vor allem hat sie noch ihre kleine Nichte dabei, die eigentlich für die Erzählung gar nicht notwendig ist. Und selbst, wenn wir das übersehen, ist es doch sehr auffällig, dass sie sich am Anfang noch sehr um sie kümmert, sie im Auge hat und jede Kleinigkeit von ihr registriert und im letzten Drittel gar nicht mehr erwähnt wird. Sie ist einfach nicht mehr da, vergessen von der Autorin und vom Lektorat. Die Polizei wird über all die Jahre, in denen Mädchen verschwinden, als desinteressiert dargestellt, als wäre es völlig normal, jede einzelne von ihnen als Ausreißerinnen abzutun. Auch hier findet Jen Williams kein glaubhaftes Maß. Alles wirkt wie am Reißbrett erstellt, die Knotenpunkte wirken zusammengeschustert. Ich kenne Williams Fantasy-Romane nicht, aber ich denke, das Thriller-Genre überfordert sie dann leider doch.
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