Für Autorinnen ist es heute ein Leichtes, einen großen Mixer auf den Tisch zu stellen, die längst geschriebenen Tropen hineinzuwerfen und das, was dabei herauskommt, einem Verlag anzubieten. Vorbei sind die Zeiten, in denen man nicht so einfach alles unter das Lesevieh werfen konnte. Ein Buch jagt das andere, das ist alles. Aber die moderne Gothic Novel leistet hervorragende Arbeit an der Spitze, auch wenn vieles nicht übersetzt wird. Rebecca Netleys Debüt wäre allerdings keines gewesen, das ich zur Übersetzung empfohlen hätte. Natürlich war ich gespannt, in welche Richtung das Buch gehen würde, nur um schon nach den ersten Seiten festzustellen, dass daraus leider nichts werden würde. Offensichtlich wurde hier das interessante Potential ignoriert und ein möglichst breiter Weg beschritten, sozusagen ein Volkswandertag der Schauerliteratur angestrebt. Damit wir uns nicht falsch verstehen: die Gothic Novel lebt wie die Weird Fiction, der Detektivroman etc. von ihren Tropen, und in den Händen eines fähigen Autors wird das meistens auch eine interessante Reise. Aber Rebecca Netley schreibt ihre Geschichte unglaublich hölzern und ohne jede Tiefe.
Elspeth nimmt eine Stelle als Kindermädchen auf einer abgelegenen schottischen Insel an (die übrigens frei erfunden ist, obwohl das bei der Landschaft gar nicht nötig gewesen wäre). Nicht, weil sie Erfahrung darin hätte, sondern weil sie Lust dazu hat und einsam ist. Ihr Schützling Mary hat seit dem Tod ihres Bruders nicht mehr gesprochen. Ihre Arbeitgeberin hält die Familiengeheimnisse unter Verschluss, und auch die anderen Inselbewohner sind verschlossen, bis es für die Handlung wichtig wird, Elspeth etwas wirklich Nützliches zu erzählen.
Es gibt viele Frauen in diesem Buch, und sie sind alle schlecht geschrieben. Keine der Figuren scheint eine Persönlichkeit außerhalb der ihr zugewiesenen Rolle zu haben, die Geschichte selbst ist voller Klischees. Die Art und Weise, wie das Buch geschrieben ist, wirkt erzwungen, von historischer Atmosphäre keine Spur. Im Grunde liest es sich wie eine Fan-Fiction von Bly Manor, geschrieben von jemandem, der die Drehung der Schraube nur überflogen hat.
Elspeth scheint selbstsüchtig und dumm zu sein, sie nimmt alles, was man ihr sagt, für bare Münze und fragt sich nie, warum so viele Menschen glauben, dass ein Kind böse ist. Das meiste, was in diesem Buch vorkommt, ist schon – sagen wir – 43 Mal besser gemacht worden. Die Prosa ist repetitiv und mit Erklärungen überladen – das heißt, wir bekommen ständig verschiedene Dinge erzählt, zum Beispiel, dass eines der Dienstmädchen Elspeth hasst, aber wir sehen nie wirklich Beweise dafür. Die Hauptfigur tastet sich durch eine dünne Handlung, die in ein allzu klischeehaftes Ende mündet und nicht wirklich empfehlenswert ist. Man greife lieber zu Henry James, Charles Dickens, Shirley Jackson oder aus jüngerer Zeit zu Laura Purcell, Susan Hill oder Diane Setterfield.
Das mag sich jetzt alles sehr negativ anhören, aber ich muss dass dieses Buch ja offensichtlich gut angekommen ist, wenn man sich mal die ganzen Blurbs anhört (denen ich ohnehin nicht auch nur eine Sekunde irgendwas glaube). Ich vermute – wie eingangs erwähnt – es interessiert einfach niemanden mehr, ob ein Buch gut oder schlecht ist. Man komme mir jetzt bloß nicht mit „subjektiv“. Ein paar Kriterien gibt es nämlich dann doch.
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