Dies ist die unglaubliche Geschichte der 50 Frauen aus Nagyrév, die über 300 Menschen ermordeten. Tatmotive: Wut, Überdruss, Enttäuschung. Langeweile. Sex. Richtig. Hier und da wohl auch Verzweiflung. Kaltschnäuzigkeit allemal. Mangel an Respekt vor dem Leben des anderen in jedem Fall. Die Frauen mordeten, als würden sie sich in einem makabren Wettbewerb befinden. Eine von ihnen war Juliane Libke. Sie tötete ihre Stiefmutter, Tante, Schwägerin, ihren Bruder und zu Weihnachten ihren Mann. Und noch einige Familienmitglieder, die ihr lästig waren und Grund zum nörgeln gaben. Derart geübt bot sie der unzufriedenen Nachbarin Maria Koteles gern ihre Hilfe an. Auf der Anklagebank senkte Juliane, laut Gerichtsprotokoll „stämmig und ungestalt, mit bösestem Gesichtsausdruck“, etwas kleinlaut das Haupt, zuckte vermutlich ratlos mit den Achseln und erklärte schlicht:
Gift, wenn’s nicht mehr passt
„Mir tat die arme Frau halt leid, also gab ich ihr ein Fläschchen mit Gift und sagte, dass sie das nehmen soll, wenn in ihrer Ehe nichts anderes mehr nützt.“
In Nagyrév, diesem kleinen Ort etwa 60 Meilen südöstlich von Budapest am Fluß Tisza, nützte ziemlich schnell und ziemlich oft rein gar nichts anderes mehr. Da waren Rosalie Sebestyen, Rosa Hoyba und Maria Varga, alle drei nicht nicht wirklich gut verheiratet, alle drei missgelaunt. Da waren all die anderen, die sich über ihre von der Front zurückkehrenden Männer nicht freuten. Und denen der Nachbar, der Onkel, Gemüsehändler oder die ehemals beste Freundin ein Dorn im Auge war. Es gab so viele, die störten. Das konnte man ändern, so geschah es denn auch damals in Nagyrév. Das war so üblich kurz nach Ausbruch des 1. Weltkriegs, so ging das fünfzehn Jahre.
1914: Die Männer wurden eingezogen, die Frauen wollten nicht warten. Da war es praktisch, dass vor der kleinen ungarischen Ortschaft ein Kriegsgefangenenlager errichtet wurde. Neugierig geworden, interessiert sowieso, schloss man Freundschaft mit den Insassen. Und tauschte sich aus und liebäugelte und machte noch ein bisschen mehr. Im Dorf fand ein neues, wohl prickelndes Spiel statt: Wer bunkert sich die meisten Gefangenen für Tisch und Bett?
Neue Männer für Tisch und Bett
Die Frauen waren ehrgeizig und eifrig dabei. Ihnen und ihren Liebhabern, – zwei oder drei mussten es schon sein -, ging’s dabei rundum passabel, das sollte sich so schnell nicht ändern. Von den Männer, die vorzeitig, – einige schon nach wenigen Monaten -, und später dann nach Beendigung des furchtbaren Krieges zurückkehrten, wurden die wenigsten mit alter Liebe ins Herz geschlossen. Sie waren überflüssig, sie waren unangenehm, unliebsam, sie mussten wieder weg.
Die Hebamme Júlia Fazekas, – einzige medizinische Fachkraft vor Ort -, wusste auch genau, wie das geschehen sollte. Sie kochte Fliegenfänger aus, um daraus Arsen zu gewinnen. So einfach war das. So definitiv tödlich. Die Frauen aus Nagyrév kauften ohne Scham, ohne Reue bei ihr ein. Allen war natürlich klar, was passieren würde hinter der verschlossenen Tür von Zcuzsanna, Lydia, Marie und einer gewissen Bukenoveski, die ihrer alten Mutter Arsen unter das Essen mischte und anschließend die Leiche in den Fluss warf. Richtig stolz soll sie vor Gericht ihr Geschick beim Vergiften betont haben, weil man bei der Bergung der Mutter ganz trivial Tod durch Ertrinken festgestellt hatte.
Die hohe Todesrate in der ungarischen Region brachten zwar Untersuchungen der Behörden mit sich, die verliefen aber vorerst dezent im Sande, weil alle Todesfälle durch gültige Sterbeurkunden belegt waren. Von Gift keine Rede. Natürlich. Trotzdem hätte man stutzig werden können. Die Urkunden hatte ausnahmslos die Cousine der Hebamme ausgestellt, befugt war sie aber nicht allein.
Immer nur die eine Unterschrift, so was ist auffällig, da kann man nachhaken. Oder es sein lassen wie in Nagyrév geschehen. Dort wurde aufgeatmet und weiter gemordet. Bis 1929. Da geschah es, dass eine Frau Ladislaus Szabo einem Mann, der ihr nicht passte, vergifteten Wein anbot. Der ahnte aber was, man hatte es mehr als munkeln hören; er trank vernünftigerweise nicht und zeigte sie an. Die Aufgeflogene wollte nicht allein am Pranger stehen, beschuldigte die Freundin, die eine andere, die wiederum die Hebamme und ihre Helferin, die alles leugneten. Júlia Fazekas und 37 weitere Frauen aus dem Dorf wurden letztendlich festgenommen. 28 kamen vor Gericht in Szolnok, acht wurden zum Tod durch Erhängen verurteilt, sieben zu lebenslanger Haftstrafe, der Rest wanderte für viele Jahre hinter Gitter. Die Hebamme entging der Hinrichtung, sie schluckte vor Prozessbeginn ihr eigenes Gift. Ihre Schuld war eh‘ bewiesen, in ihrem Haus hatte man zahlreiche Töpfe mit ausgekochten Fliegenfängern gefunden.
Noch gesungen, dann tot
Unter den zum Tode Verurteilten waren auch Juliane Lipke, deren Nachbarin Maria Varga, Mörderin ihres blinden Ehemannes, einem Kriegshelden, nebst ihres Geliebten, und die 45jährige Marie Kardos, die ihren Ehemann und ihren Liebhaber umgebracht hatte, bevor sie auch ihren Sohn vergiftete. Der habe in seinem Bett noch unter Krämpfen für sie gesungen, erzählte sie dem Gericht mit tränennassem Gesicht:
„Ich sagte: «Sing, mein Junge, sing mein Lieblingslied!» Da sang er mit seiner geliebten Stimme, schrie plötzlich auf, fasste sich an den Bauch, schrie, schnappte nach Luft und war tot.“
Hieb- und stichfest beweisen konnte man am Ende nur 45 Morde. Das Gericht freilich ging von über 300 Menschen aus, die tatsächlich gewaltsam aus dem Weg geräumt worden sind, darunter eben nicht nur Ehemänner, Verlobte und uninteressant gewordene Liebhaber, sondern alle, mit denen man nichts mehr zu schaffen haben wollte. Aus irgendeinem Grund, egal, Hemmschwellen, Moral, Mitgefühl gab es irgendwann nicht mehr. Nach der Exekution ließ man die Leichen der Frauen als Warnung am Galgen hängen, bis sie verfault waren. Widerlich genug. Abschreckend genug? Wer weiß das.
Was weg muss, kommt weg
Gruseliges Rätselraten verbleibt allemal: Wie entsteht solch ein fürchterlicher Boom? Wie muss man gestrickt sein, um da mitzumachen? Vergiften als Zeitvertreib und gleichsam als Konfliktlösung, das klingt nach kollektivem Wahnsinn. Kollektive Gleichgültigkeit? Gut, kann man sich antrainieren. Kollektive Lust? Schwer, das zu begreifen. Zu guter Letzt töteten die Frauen sich auch untereinander, ehemals Vertraute, Verbündete griffen zum Gift, wenn irgendwas, irgendwer lästig war. Zu krank. Zu roh. Zu unsympathisch. Oder einfach nur langweilig. Die „Angel Maker of Nagyrév“ definierten da keine Unterschiede, sie waren sich einig in einem Punkt: Was weg muss, kommt weg. Rigoros.
Guter Basisstoff für Autoren und Filmemacher? Wohl eher nicht. Für eine rabenschwarze Komödie gibt es zu viele unschuldige Tote, zu viel Kälte, Hoffnungslosigkeit, Dummheit im Ganzen. Für ein Drama fehlen Einzelschicksale, die auf eine spezielle Art zumindest ansatzweise berühren könnten, Hintergründe und Abgründe, die wichtig wären, um überhaupt etwas Sinn in die ganze Sache zu bringen. Und am Ende blieben doch nur Kopfschütteln und Gänsehaut zurück. Viel zu wenig für eine Geschichte, die selbst viel zu tot ist, um lebendig erzählt werden zu können. Wenn’s jemand packt: Respekt. Vielleicht auch besser nicht.
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