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Es wurde dunkel in seinem Kopf

Ich habe über ihn gelesen. Nikolai Dzhumagaliev. Keine populäre Lektüre. Die Geschichte ist so furchtbar, dass man sie grundsätzlich gar nicht kennen möchte. Nichts für sensible Gemüter.

Nikolai Dzhumagaliev. Killer und Kannibale. Genannt „Kolja, der Menschenfresser“. Klingt wie ein Filmtitel, der in den 1980ern auf dem Index stand. Dzhumagaliev ist aber kein fiktives menschliches Monster. Er ist echt. Und ich las, dass der gebürtige Kasache , Jahrgang 1953, weit über einhundert Frauen ermordete. Er vergewaltigte sie. Er zerstückelte sie. Er trank ihr Blut. Er füllte Teigtaschen mit ihrem Fleisch und Innereien, alles gut durch den Wolf gedreht. Er kochte und briet sie und bot sie ahnungslosen Gästen an. Und das alles fand nicht irgendwann im Irgendwo statt, sondern gestern auf der Landkarte (fast) um die Ecke. Nur hörte man so gut wie nie etwas darüber.

Serienkiller haben für gewöhnlich einen Ruf, dessen dumpfes Echo einmal um den Globus geht. Vorausgesetzt, wir kennen uns ein wenig mit den bösen, wahren Geschichten aus, wissen wir natürlich von den Kiez-Mördern Honka und Lüdke, dem „Totmacher“ Fritz Haarmann, natürlich von Ted Bundy, Jeff Dahmer, John Wayne Gacy… Aber Nikolai Dzhumagaliev?

Weltweit zu Blutruhm gelangt

„Metal Fang“ Dzhumagalijev, der Mann mit dem Weissmetallgebiss, – er verlor früh seine Vorderzähne, ließ sich silbrig glänzende Stifte einsetzen -, taucht nicht in der Liga der weltweit zu Blutruhm gelangten Serienkiller auf, denen Hollywood & Co. ein Stück Kinogeschichte und damit auch Unvergesslichkeit schenkten.

Ein düsteres Schweigethema? Allemal, in der Vergangenheit kein Einzelfall. Angaben zu Serienmördern wurden im damaligen Ostblock nur sehr rar veröffentlicht. Man hielt sich extrem bedeckt mit genauen Informationen über die Greueltaten in eigener Nachbarschaft, die Presse scheute den Rotstift, man machte nur das Notwendigste publik, ließ weniger noch die Grenzen passieren. Serienkiller galten lange Zeit überhaupt als die Abartigen aus dem Westen. Perverse, sadistische Kranke in den eigenen Reihen waren in erster Linie nationale Privatsache.

Das hat sich dann doch irgendwie geändert. Der Nachrichtenfluss ging und geht und geht weiter um die Welt. Und mittlerweile gibt es sogar einen Film, der Dzhumagalijevs Geschichte thematisch aufgreift und im Jahr 1979 spielt: Tri (Three) von Ruslan Pak, 2020 erschienen. Was für Wahrheiten dort welche Rolle einnehmen, entbehrt hier (noch) des Wissens, sollte auch nicht relevant sein für das, was tatsächlich passiert ist.

Da sind längst schon Details bekannt, die nun ja, mehr als einfach nur schwer schlucken lassen. Die Nikolai Dzhumagaliev gestern und heute auch für die breite Öffentlichkeit einen Platz unter den berühmten dunklen Seelen einräumen, deren Namen frösteln lassen. Seine Mutter Marija sagte über ihn diesen einen Satz, der hängen bleibt, weil er so viel schlichte Erkenntnis zeigt, so viel verzweifeltes Schulterzucken, so viel Hilflosigkeit.

Ich habe all meine Kinder anständig erzogen. Aber irgendwann wurde es dunkel in Koljas Kopf.“

Es ist eine unfassbar dunkle Geschichte. Stockfinster. Unerträglich böse.

Dzhumgalievs eigene Erklärung seines Denkens und Handelns ist komplett reuelos. Abgrundtief hassen würde er die Frauen, alle wären sie Schlampen, Nutten, Ehrlose, „verabscheuungswürdige, übelste Wurzeln der Menschheit“, und er würde sich als Kämpfer gegen das Matriarchat verstehen.

Ich vernichte das weibliche Geschwür in der Gesellschaft.“

Weibliches Geschwür in der Gesellschaft

Dzhumagalievs gestörtes Weltbild fand erstmalig 1980 unter Zeugen Einlass in Polizeiakten und ärztliche Gutachten: Im Haus seiner Eltern bei Almaty in Kasachstan überraschten ihn Bekannte dabei, wie er die Leiche einer jungen Frau, der Kopf und Hände fehlten, über einer Schüssel ausbluten ließ. Der damals 27-Jährige hatte die Frau zuvor vergewaltigt, mit einem Jagdmesser getötet, verstümmelt, aufgeschlitzt, ausgetrunken. Die Miliz verhaftete ihn. Erstmalig.

Viele Jahre, Morde, Justizskandale darauf erklärte er, menschliches Blut zu trinken würde ihn erleuchten und innerlich reinigen.

Dzhumagaliev gestand nach seiner Festnahme und den folgenden Ermittlungen noch sieben weitere Morde, – bei dieser Zahl blieb er stur trotz entsetzlicher Beweislage -,  und führte die Polizeibeamten zu den Verstecken, wo die Überreste der entstellten Leichen zu finden waren.

Wie ein Archäologe habe er sich dabei gefühlt, erzählte er später.

Wie ein Todeskandidat wohl eher nicht. Auf ihn wartete nicht der Henker, er wurde aufgrund psychiatrischer Begutachtungen und Entscheidungen in eine geschlossen Anstalt für Geistesgestörte eingewiesen. Dort blieb er neun Jahre. 1989 schaffte er es, bei der geplanten Überführung in eine Spezialklinik auszubrechen und unterzutauchen.

„Metal Fang“ war zwei Jahre auf der Flucht, und da die Behörden nichts öffentlich machten, hätte es auch gar keine Hinweise aus der Bevölkerung geben können. Der große, drahtige Mann mit dem markanten Gebiss war ein Unbekannter. Der zuerst in Moskau, wieder in Kasachstan und letztendlich in Usbekistan weiter Frauen auflauerte, sie vergewaltigte, ermordete und zu Mahlzeiten verarbeitete. Das Handwerkszeug zum Zerteilen der Leichen, – Beil, verschiedene Messer, Verpackungsmaterial -, trug er stets in einem Rucksack bei sich.

Frauen zu Mahlzeiten verarbeitet

Den getöteten Frauen schnitt er manchmal die Brüste und Wadenmuskeln ab. Gelegentlich pökelte er die Körperteile oder dörrte das Fleisch auf dem Dachboden. Die abgeschabten Knochen vergrub oder verbrannte er. Weil er wusste, daß Zähne erst bei Temperaturen um 800 Grad zerstört werden, zermalmte der handwerklich geschickte Mann diese verräterischen Reste seiner Opfer, um jede Spur zu verwischen.“ (Spiegel-Reportage, Martina Helmerich, 1995)

In Usbekistan wurde Dzhumagaliev 1991 ausfindig gemacht und verhaftet, um erneut in einer psychiatrischen Anstalt untergebracht zu werden. Experten gehen davon aus, dass er bis zu seiner Wiederergreifung zwei Frauen pro Woche getötet hat. Trotzdem kam er 1994 aufgrund eines gefälschten Gutachtens, – „Koljas“ Schwester hatte den leitenden Arzt bestochen -, wieder frei und wurde in die Obhut seiner Familie in Kasachstan entlassen.

Große Furcht vor dem Menschenfresser

Den Behörden in Usbekistan war das ganz recht, der politische Umbruch sorgte für genügend Chaos überall, da sollten sich die Kollegen im Nachbarland kümmern. Auch, wenn der besagte Arzt sich schon etwas besorgt, dann doch freilich mehr geldgierig gezeigt hatte: „Eine Garantie, dass er geheilt ist, kann ich nicht geben.“

Die Leute in Dzhumagalievs Heimatort Almaty hatte man natürlich nicht gefragt: Die fürchteten sich vor dem „Menschenfresser“, und etliche Dorfbewohnerinnen wie die Kolchosmelkerinnen, die ihre Schicht in der Früh um vier antraten, forderten von der Polizei Begleitschutz. Seine Mutter sperrte ihn im Haus ein, auch nach der langen ärztlichen Behandlung schien selbst ihr, die weiter nur geliebt hatte, ohne zu sehen, der Sohn nicht wirklich geheuer zu sein. Schließlich flüchtete der, beargwöhnt und verflucht von den Nachbarn, in die nahegelegenen Wälder.

Psychiatrie oder Hinrichtung?!

Inzwischen war der korrupte Arzt aufgeflogen und man fahndete erneut nach Nikolai Dzhumagaliev. Im Frühjahr 1995 nahm ein Soldat einen Landstreicher mit gefälschten Papieren in Gewahrsam, der versucht hatte, völlig betrunken über den Zaun eines Regierungsgebäudes zu klettern. Ein Blick auf das Fahndungsblatt im Revier, ein unglaublicher Treffer: Es war „Metal Fang“.

Er wurde festgenommen. Kam vor Gericht. Urteil? Unklar. Einige wollen wissen, dass er sich wieder oder immer noch in der Psychiatrie befindet und dort behandelt wird, andere Quellen sagen, dass er endlich oder längst schon hingerichtet wurde.


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