Das Rätsel um Mozarts Requiem

Wenige Geschichten in den Annalen der Musikgeschichte sind so von Geheimnissen und Intrigen umwoben wie die Geschichte von Wolfgang Amadeus Mozarts Requiem. Das in den letzten Monaten von Mozarts Leben komponierte Werk ist nicht nur ein Meisterwerk, sondern auch ein ergreifendes Symbol für sein vorzeitiges Ableben. Die Umstände seiner Entstehung – geprägt von Geheimniskrämerei, Misstrauen und schließlich Tragödie – haben das Requiem als ein Werk von unvergleichlicher Schönheit und mythischer Anziehungskraft unsterblich gemacht.
Das Jahr 1791 war für Wolfgang Amadeus Mozart wie eine dunkle Dämmerung, in der sich das Licht des Lebens mit flüsternder Dringlichkeit verabschiedete. Wien pulsierte im Glanz seiner Vergnügungen, doch hinter den verschlossenen Fenstern seines Hauses kämpfte Mozart gegen unsichtbare Lasten – Krankheit, Schulden und die unausweichliche Vorahnung des Todes. In dieser Phase der Verzweiflung trat eine Gestalt in sein Leben, die ebenso fremd wie unheimlich war und die ohnehin brüchige Grenze zwischen Wirklichkeit und Mysterium völlig auflöste.

(Photo von DEA / A. DAGLI ORTI/De Agostini/Getty Images)
Im Sommer 1791, als sich Mozarts Gesundheit im Alter von 35 Jahren zu verschlechtern begann, bereitete ein merkwürdiges Ereignis den Boden für eine der rätselhaftesten Episoden der Musikgeschichte. Ein Unbekannter, der als gut gekleideter Mann mit „edlen und stattlichen Manieren“ beschrieben wird, suchte Mozart auf und bat um ein Requiem. Er behauptete, einen „großen Mann“ zu vertreten, der den Verlust eines geliebten Freundes mit einem jährlichen feierlichen Gottesdienst gedenken wolle. Der geheimnisvolle Auftraggeber bestand auf Anonymität, was Mozarts Neugier noch mehr weckte. Fasziniert von dem Auftrag und seiner Geheimhaltung, willigte er ein, das Werk innerhalb von vier Wochen zu komponieren. Von Anfang an schien der Auftrag mit einer Vorahnung behaftet zu sein. Seiner Frau Constanze vertraute Mozart an, er habe das Gefühl, sein eigenes Requiem zu komponieren. Ob dieses Gefühl von seiner sich verschlechternden Gesundheit, der unheimlichen Aura des Unbekannten oder einer Vorahnung seines nahenden Endes herrührte, bleibt ein Schleier vor den Toren der Geschichte. Sicher ist nur, dass Mozart trotz seiner körperlichen Gebrechlichkeit mit Dringlichkeit und Intensität an das Werk herangegangen ist.
Jede Note, jedes Motiv kam aus einem unbekannten Raum, einem Ort, an dem die Zeit selbst ihre Form verlor. Das „Lacrimosa“, jener Abschnitt, der die Tränen des Jüngsten Gerichts besingt, wurde zu einer der eindringlichsten Klagen der Musikgeschichte — und blieb unvollendet.
Je näher der ursprüngliche Termin rückte, desto deutlicher wurde, dass Mozarts ehrgeiziger Zeitplan nicht eingehalten werden konnte. Als der Fremde zurückkam, um die Arbeit zu überprüfen, erklärte Mozart, dass er einen weiteren Monat benötige, da das Projekt viel Inspiration und akribische Studien erfordere. Zu seiner Erleichterung willigte der Fremde ein und bot sogar eine zusätzliche Bezahlung an. Doch dieser Austausch steigerte nur Mozarts Faszination für den Mäzen. Er beauftragte einen Diener, dem Mann zu folgen und seine Identität herauszufinden, doch der Fremde verschwand spurlos. Dieses mysteriöse Verschwinden bestärkte Mozart in seiner Überzeugung, dass der Fremde kein gewöhnlicher Sterblicher war. Späteren Berichten zufolge begann Mozart zu vermuten, dass der Besucher ein Bote aus dem Jenseits war, der ihn vor seinem bevorstehenden Tod warnen wollte. Unabhängig davon, ob diese Überzeugung ihn motivierte oder seine Qualen noch verstärkte, arbeitete Mozart mit Inbrunst an dem Requiem weiter, oft bis an den Rand des Zusammenbruchs.
Im Spätherbst 1791 verschlechterte sich Mozarts Gesundheitszustand so sehr, dass er sein Bett für längere Zeit nicht mehr verlassen konnte. Trotzdem arbeitete er unermüdlich am Requiem, getrieben von Pflichtgefühl und dem Bewusstsein, keinen Augenblick mehr innehalten zu dürfen. Immer wieder wurde er ohnmächtig, weil sein Körper der Anstrengung nicht mehr gewachsen war. Von Tag zu Tag wurde er schwächer. Sein Fieber brannte, aber sein Geist schien hellwach, als wollte er gegen die Zerbrechlichkeit seines Körpers ansingen. Seine Augen, tief eingesunken und von Schmerz umrandet, blieben auf die Partitur gerichtet. Doch die Kraft reichte nicht. Am 5. Dezember 1791 verstummte Mozart, sein Requiem unvollendet vor sich liegend, wie ein letztes Geheimnis, das er der Welt hinterließ.
Als der Fremde zurückkehrte, musste auch er feststellen, dass der große Komponist keine einzige Note mehr zu Papier bringen würde. Constanze, hin- und hergerissen zwischen Trauer und Pragmatismus, übernahm die Aufgabe, das Werk zu vollenden. Sie wandte sich an Franz Xaver Süssmayr, einen Schüler Mozarts, der sich bemühte, die losen Fäden des Werkes wieder zusammenzufügen. In den Händen des jungen Komponisten nahm das Requiem eine neue Gestalt an, doch der Schatten Mozarts schwebte weiterhin über jeder neu gesetzten Note. Mozart konnte das Haus noch nicht verlassen haben, wunderte sich vielleicht über seine neu gewonnene Leichtigkeit und freute sich schließlich über seinen jungen Schüler, der durch seine besondere Aufmerksamkeit für den Geist Mozarts, der ihn umgab, empfänglich war.

Mozarts Schaffen und seine unvollendeten Skizzen müssen Süßmayr so sehr inspiriert haben, dass er sich fühlte, als würde er unter Mozarts Einfluss arbeiten. Inspiration hat etwas Geheimnisvolles an sich, weil niemand je sagen kann, was sie ist und woher sie kommt. Plötzlich ist sie da, unerwartet. Wer ihr zu folgen versteht, wird an geheimnisvollen Orten aufwachen. Aber nur für einen Augenblick, einen kurzen Schimmer, der sich in der Ewigkeit bricht.
Die Identität des Unbekannten, die lange Zeit Gegenstand von Spekulationen und Gerüchten war, wurde erst Jahre später bekannt. Es handelte sich um Graf Franz von Walsegg, einen Mann, der dafür bekannt war, Werke berühmter Komponisten in Auftrag zu geben und sie als seine eigenen auszugeben. Der Plan, das Requiem nach ihm zu benennen, scheiterte jedoch an Constanzes unermüdlichem Einsatz für die Bewahrung von Mozarts Erbe. Es dauerte fast zehn Jahre, bis Walsegg widerwillig die Wahrheit zugab.
Die Legende von Mozarts Requiem lebt nicht nur wegen der ergreifenden Schönheit seiner Musik, sondern auch wegen des Dramas und des Geheimnisses, das seine Entstehung umgibt. Das Bild eines sterbenden Genies, das seine Seele in ein Werk gießt, das sein eigenes Schicksal vorwegzunehmen scheint, fesselt die Phantasie ebenso wie die Musik das Herz. Ob man es nun als Zeugnis von Mozarts unvergleichlicher Kunstfertigkeit oder als Symbol seiner tragischen Sterblichkeit betrachtet, das Requiem bleibt eines der rätselhaftesten und verehrtesten Werke der abendländischen Musik. Letztlich ist die Geschichte von Mozarts Requiem mehr als eine Geschichte von künstlerischem Triumph und mysteriöser Intrige; sie ist eine Erinnerung an die ungebrochene Kraft der Musik, die Zeit zu überwinden, das Göttliche zu berühren und zu den tiefsten Winkeln des menschlichen Geistes zu sprechen.
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