Das Leben eines Antiquars
Charlie Lovetts Roman „Das Buch der Fälscher“ erzählt eine Geschichte, die Buchliebhaber direkt ansprechen wird. Die fesselnde Handlung ist eine Art geisterhafte Liebesgeschichte, die nicht nur durch die schmerzhaften Neurosen ihres Protagonisten Peter Byerly bereichert wird, eines Mannes, der – als wir ihm begegnen – tief in der Trauer über den Tod seiner Frau Amanda etwa neun Monate zuvor steckt.
Der Protagonist ist ein Antiquar und fühlt sich mit Büchern wohler als mit Menschen. Wenn er mit den Sondersammlungen der Ridgefield University arbeitet, befindet er sich in dieser Welt der seltenen Bücher in allerbester Gesellschaft. Dort lernt er das knifflige Handwerk der Buchrestauration und auch einiges über das Fälschen von Büchern. Nach dem Tod seiner geliebten Frau führt er noch mehr das Leben eines Einsiedlers in England. Beim Versuch, sein Leben zurückzugewinnen, stößt er auf ein jahrhundertealtes Aquarell-Porträt in einem Buch über Shakespeare-Fälschungen, das seiner Frau Amanda verblüffend ähnlich sieht. Als Byerly nach dem Künstler des Gemäldes sucht, stolpert er über ein Buch, das – wenn es echt wäre – nicht weniger als ein literarisches Erdbeben auslösen könnte – den “Pandosto”, jenem Buch von Robert Greene, in dem sich eine der wenigen Zeugnisse, die wir von William Shakespeare haben, finden und das dem großen Dramatiker als Vorlage seines “Wintermärchens” diente. Dieser Fund könnte den ewigen Streit zwischen Stratfordianern (jene, die glauben, der ungebildete Shakespeare habe diese Werke wirklich alle selbst geschrieben) und Oxfordianern (jene, die glauben, ein anderer hätte diese Werke geschrieben und Shakespeare wäre nur ein “Strohmann” gewesen) für immer begraben, so es denn echt wäre, denn Shakespeare hat es mit unzähligen Randnotizen versehen, als er sein eigenes Stück daraus machte. Byerly versucht also zwanghaft, die Authetizität des Buches zu klären. Wie es aber bei einer Rätselgeschichte so ist, ist nichts wie es zunächst scheint.
Der Hauch des Übernatürlichen
Peter ist als Charakter durchaus sympathisch, ebenso wie Amanda, die wir in Rückblenden kennen lernen, während sich die Geschichte in Zeit und Raum vor und zurück bewegt. Natürlich ist dies ein Roman über Liebe und Verlust, aber vielleicht noch mehr als das dreht sich der Roman um Peters tiefe Liebe zu Büchern, die er durch seinen Job als Antiquar und Buchrestaurator entwickelt hat. Es ist diese Liebe, die den Roman zu einem Mysterium macht, nicht nur über Amandas Bildnis, sondern über eines der dauerhaftesten und interessantesten literarischen Mysterien aller Zeiten: ob Shakespeare wirklich der Autor jener Werke war, die ihm zugeschrieben werden.
Der Hauch des Übernatürlichen, der durch die Seiten weht, wird sehr geschickt gehandhabt, ebenso wie die Struktur, die sich zwischen dem Schauplatz des 17. Jahrhunderts zur Zeit Shakespeares, zwischen Peters erstem Treffen mit Amanda und seiner „Gegenwart“ im Jahre 1995 bewegt. Im Laufe der Geschichte treffen wir auf eine Reihe berühmter historischer Figuren, darunter der große Mann selbst, aber auch Christopher Marlowe und William Henry Smith, die allesamt farbenfroh gezeichnet sind. Es gibt allerlei schöne Parallelen zwischen den Zeitebenen, insbesondere zwischen den drei verschiedenen Buchhändlern, deren Verhalten letztlich die Handlung beeinflusst und entwickelt. Lovetts offensichtliche Liebe zu Büchern und sein tiefes Verständnis für die Welt des antiquarischen Buchhandels und der Restaurierung bereichern nicht nur Peters Charakter, sondern sind auch für jeden interessant, der sich für den Aufbau und die Reparatur von Büchern interessiert.
Unterschiedliche Genres
„Das Buch der Fälscher“ ist tief in der Literaturwissenschaft verwurzelt, voll von lustigem Klatsch und historischem Spiel, die die kurzen Kapitel sehr schnell und leicht lesbar machen.
Peters Aufrichtigkeit, mit der er versucht, das Richtige zu tun, selbst wenn er von seinem Kummer oder dem Hunger seiner Besessenheit geplagt wird, treibt die Geschichte voran und bietet einen ausgezeichneten Kontrast zu den weniger ehrlichen Machenschaften derjenigen, die ihn umgeben, insbesondere derjenigen, die eine Rolle im Geheimnis des „Pandosto“ gespielt haben. Peters Heilung entwickelt sich im Laufe der Kapitel auf natürliche Weise und macht den Roman letztlich zu einer ungemein befriedigenden und vergnüglichen Lektüre, die eine Reihe von Genres miteinander verbindet und vor allem die Schönheit und das Wunder des literarischen Wortes zelebriert.
Lovett führt hier mehr als geschickt drei Handlungsstränge zu einem perfekten Ende. Tatsächlich werden hier alle Fragen beantwortet (einschließlich die nach dem mysteriösen Gemälde), was bei den vielen Wendungen, den überraschenden Enthüllungen und den Geschichten innerhalb der Geschichte nicht einfach ist. Man hat schon größere Männer daran scheitern sehen. Und tatsächlich finden wir hier auf engstem Raum alles vor: Das Abenteuer der Suche, eine von Hass geschürte Familiengeschichte, eine komplexe Fälschung, Mord und dramatische Entdeckungen.
Der Anfang des Romans aber wendet sich an Sentimentalisten mit einem Hang zur Nostalgie, an Menschen, die die Restaurierung von Büchern faszinierend finden und die wissen wollen, wie der “Pandosto” jahrhundertelang versteckt überleben konnten. Der letzte Teil des Romans ist dann für die Abenteuerlustigen, die eine gute Spannungsgeschichte lieben.
Da Lovett selbst ein ehemaliger Antiquar ist, sind die Abschnitte, in denen Peter Byerlys Arbeit behandelt wird, ausgefeilt und maßgebend.
Der dritte Strang erzählt die tragische Liebesgeschichte zwischen Peter und Amanda, die sich hervorragend mit den anderen Erzählfeldern verträgt und das ganze zu einem vollmundigen Lesererlebnis macht. Natürlich richtet sich das Buch nicht an die gewöhnliche Thriller-Fraktion, das muss von vorneherein klar sein. Jemand, der in Büchern nur den Text sucht und der sich nicht in eine Existenz der Einsiedelei und Panikattacken einfühlen kann, der von Nostalgie nicht eben viel wissen will und alles, was mit einer romantischen Liebesgeschichte zusammenhängt, verachtet, sollte die Finger davon lassen.
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