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Esswood House (Peter Straub)

Peter Straub kannte sich nicht nur im Jazz, sondern auch in der Literatur aus. Kein Wunder, dass es in seinem Werk von Referenzen nur so wimmelt. Den unbedarften Leser stört das nicht, weil er nicht weiß, was er da liest, für alle anderen ist diese Art von Rhizomatik ein Gewinn. Straub macht keinen Hehl daraus, dass er seine Denkanstöße aus der Literatur bezieht, die er bewundert und die ihn dann zu eigenen Werken inspiriert.

Auslöser war in diesem Fall ein Vorwort, das Straub für Robert Aickmans The Wine Dark Sea schreiben sollte. Aickmans Titel ist selbst ein Homer-Zitat. Wahrscheinlich hatte Straub zunächst gar nicht die Absicht, Esswood House wie Aickman klingen zu lassen, aber das in diesem Band Gelesene verfolgte ihn lange und nachhaltig, und so ist es nicht verwunderlich, dass Straubs eigentliche Stärke, die ansonsten in seiner Originalität liegt, hier einer fremden Hand weicht. Aickmans ungeheure Kraft auf dem Gebiet des diffusen Grauens wird hier allerdings nur selten erreicht. Liest man das Buch jedoch weder in der Hoffnung, Aickman zu finden, noch den gewohnten Straub, ist es ein außerordentlicher Gewinn.

Esswood House ist die Geschichte des College-Professors William Standish, der in einem Dreieck der Enttäuschungen gefangen ist: Da ist zunächst die Enttäuschung über sein Dasein als Lehrer an einem zweitklassigen Gymnasium, dann die Enttäuschung über seine Frau, die eine Affäre hat, und schließlich die Enttäuschung über sich selbst, weil es ihm nicht gelingt, die für seinen Beruf notwendigen kritischen Essays zu schreiben. Gerade als er unter dem Druck, der auf seinem Leben lastet, zu zerbrechen droht, erhält er eines der begehrten Stipendien in einem englischen Herrenhaus namens Esswood, das der Familie Seneschal gehört. (Interessant an diesem Namen ist die Tatsache, dass “Seneschall” die mittelalterliche Bezeichnung für einen Haushofmeister ist, der damals für die Verwaltung eines Anwesens zuständig war. In gewissem Sinne sind die Seneschalle der Erzählung auch die Hüter der unglaublichen Bibliothek, die schließlich als Herzstück der Geschichte identifiziert werden kann. Die einzigen Personen, die Standish im Haus trifft, sind die Haushälterin und der Bibliotheksverwalter, beide also Verwalter des Hauses. Aber das nur am Rande.)

Dieses Herrenhaus, in dem nur wenige Wissenschaftler jemals zu Gast waren, hat den Ruf, eine Bibliothek voller persönlicher Schriften von großen und weniger großen Schriftstellern zu beherbergen, die auf dem Anwesen zu Gast waren. Für Standish bedeutete dies, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: a) eine dringend benötigte Pause von den Strapazen seiner Ehe und b) die Möglichkeit, in den persönlichen Papieren seiner Stiefgroßmutter Isobel Standish zu forschen, einer kleinen Dichterin des 20. Jahrhunderts, deren einziges veröffentlichtes Werk, Crack, Whack and Wheel, mit Hilfe einer dekonstruierten Sprache so sehr in die Macht der Worte eintaucht, dass nur noch die Essenz des Sagbaren übrig bleibt. (Vielleicht am ehesten vergleichbar mit unserer Konkreten Poesie). Schließlich plant er eine Reihe von Essays und Büchern zu diesem Thema und erhofft sich davon die Rettung seiner Karriere.

Es ist die Geschichte einer physischen und psychischen Reise. An der Oberfläche ist es eine ganz gewöhnliche Forschungsreise, aber darunter liegt die Unterströmung des sich verändernden Bewusstseinszustandes des Protagonisten. Von Anfang an wird deutlich, dass Standish mit seinem Leben unglücklich ist. Der Erzähler spart daher nicht mit Anspielungen auf Ereignisse aus seiner Vergangenheit. Im Laufe der Erzählung werden diese Bezüge bis zu einem gewissen Grad ausgearbeitet, und man beginnt zunehmend, die Verlässlichkeit des Erzählers in Bezug auf die Abwärtsspirale der geistigen Gesundheit in Frage zu stellen. Die wirkliche Einsicht kommt jedoch ziemlich spät, gegen Ende der Geschichte, weil Straub es geschickt versteht, den Leser glauben zu machen, er lese eine düstere und beunruhigende Geistergeschichte. Nach der Lektüre des Buches und im Rückblick auf alle Indizien lassen sich Standishs Schilderungen leicht als die Verwirrungen eines von Größenwahn und Wahnvorstellungen geplagten Mannes auffassen. Am Ende wird Standish selbst zum Ungeheuer, das er wahrnimmt, zerstört nicht nur sich selbst, sondern auch etwas Altes und Schönes. Aus der Zerstörung erwächst die Schöpfung, aus der Dekonstruktion die Essenz des Lebens, auch wenn dieses Leben in sein Gegenteil verkehrt und aus dem puren Bösen geschaffen wurde.

Eine kürzere Version von Esswood House (Mrs. God) erschien ursprünglich in der Sammlung Haus ohne Türen (1990).


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