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Alles Geisterhafte war mir von Anfang an vertraut

Sobald man das Verschwinden zum ersten Mal beobachtet hat, weiß man einiges von der Welt. Doch wirklich reizvoll wird es erst dann, wenn die Erinnerung einsetzt und ihre Kapriolen dreht. Wenn man nicht einmal sicher sagen kann, was man eigentlich gesehen hat, ist es nahezu unmöglich, die Vergangenheit lückenlos und in richtiger Reihenfolge heraufzubeschwören. Das sind die wahren Gespenster, und die Vergangenheit ist das wirkliche Jenseits. Besessen von der Idee zurückzukehren, ging ich die Wege rückwärts. Sie wurden verbraucht und lange nicht mehr benutzt, denn eines muss man wissen: Alle Wege werden geteilt und nur die Anordnung aller Gassen, die man halbblind durchstieß, ergeben schließlich den eigenen Weg. Die meisten vergisst man und so lässt sich niemals auf das Ganze schließen.

Alles Geisterhafte war mir von Anfang an vertraut. Kein Ort, an dem ich jemals war, der nicht von einem Spuk heimgesucht worden wäre, auch wenn ich längst und viele Jahre schon mein eigener Dämon bin. Doch es könnte sein, dass Geister auch mit der Jugend verschwinden; sie verschwinden vor allem dann, wenn man sie nicht mehr sucht, weil man ein Teil von ihnen geworden ist. Dadurch kehrt eine äußerliche Ruhe ein.

Im Gefüge herumkratzen. Es ist wie einen Körper betrachten. Es hat einen Grund, warum wir ausgerechnet diese Gestalt haben und keine andere. Wir sind immer und zu jeder Zeit, wer wir sein wollen. Und das Schöne ist: Nichts existiert wirklich, alles wird nur von Gedanken aufrecht erhalten, von unseren Beschreibungen und Erzählungen. Die aber wirken, weben also Welt.

Es ist schon wahr: ich wusste nie, wer ich war; vor allem deshalb nicht, weil jemand zu sein abhängst von einer Illusion, die man in anderen implementieren kann. Wir lernen also, jemand zu sein, indem wir jemand für andere sind. Doch das haben wir nicht in der Hand. Irgendwann konnte ich mir unter all den Modellen, die es von mir gab, das aussuchen, zu dem es mich am meisten hinzog. Doch es gab keines, mit dem ich mich identifizieren konnte. Mein eigenes Modell war dabei ebenso falsch wie das all jener, die sich große Mühe mit einem Abbild von mir gaben. Wir scheiterten alle.

Als ich noch zur Schule ging, wunderte ich mich bereits über die Welt, die daraus bestand, die Frage nach dem Alter zu beantworten. Wusste man das, war das Sternzeichen dran. Natürlich wäre es unsinnig anzunehmen, man bekäme als dreijähriger die Frage nach dem Jenseits gestellt. Kannst du dich daran erinnern, wie es war, bevor du geboren wurdest? Die Antwort wäre ohnehin nein gewesen, denke ich mir jetzt. Aber was wäre gewesen, wenn man sie mir damals gestellt hätte? Hätte ich etwas dazu sagen können? Weißt du, wo du dich befindest? Ich wusste nur, dass alles verschwimmt, wenn man es zu lange anstarrt. Ich wusste, dass ich wie in einem bierseligen Rausch umher lief, ohne wirklich besoffen zu sein. Ich träumte, wie ich lebte, da gab es keinen nennenswerten Unterschied. Ich lag im Bett, schloss die Augen und war immer noch draußen vor dem Haus. Die einzige Ausnahme war vielleicht, dass ich im Traum schwerelos war und herumfliegen konnte. Es war mir ein leichtes, über die Telefonleitungen zu hüpfen. Das ging soweit, dass ich bei Tag Angst bekam, wie ein Ballon aufzusteigen und nicht mehr nach unten zu kommen. Träumen oder Wachen waren tatsächlich dasselbe, aber wenigstens hatte ich bei Tag etwas Gewicht. Selbst wenn ich nur ein Kilo gewogen hätte, sagte ich mir, bliebe ich unten, denn ein Milchbeutel schwebt auch nicht einfach davon. Aber davon wollten die Leute nichts wissen, sie fragten mich nur, wie alt ich sei und warum mich meine Eltern nicht zum Friseur schleppten. Nun, es waren die 70er, da gab es keine Friseure.


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