Die Bestie mit den fünf Fingern / W. F. Harvey

Wir gehen heute etwas in der Zeit zurück, um uns einen Klassiker aus dem Hause Diogenes anzuschauen. Ein Verlag mit einem überhaupt interessanten Profil, dessen Credo besagt: „Jede Art des Schreibens ist erlaubt, nur nicht die langweilige“. Zugegeben, das Buch, um das es heute geht, besser gesagt, die Sammlung von Geschichten, ist dort schon lange nicht mehr zu finden. Sie wurde 1979 veröffentlicht und so weit ich weiß, niemals nachgedruckt, aber antiquarisch ist das Taschenbuch nicht schwer zu finden: „Die Bestie mit den fünf Fingern“.

William Fryer Harvey wurde in das faszinierende Zeitalter der Psychoanalyse hineingeboren. Als Arzt sind ihm die Unternehmungen Freuds um 1900 natürlich nicht entgangen. Die Surrealisten zogen ihren eigenen Spuk daraus, andere lehnten die Psychoanalyse rigoros ab. In der Kunstwelt fand Freud – wenig erstaunlich – den größten Anklang, aber Harvey ist einer jener Schriftsteller, die aus der Psychoanalyse Gespenstergeschichten ableiteten.

Harvey
Harvey

Es gibt neun Sammlungen von ihm, aber wir haben hierzulande leider nur eine bekommen: “Die Bestie mit den fünf Fingern“, die jedem nur ans Herz gelegt werden kann. Die Sammlung enthält neben der berühmten Titelgeschichte auch die anderen Meisterwerke wie “Augusthitze” und “Der Begleiter”.

Hier haben wir also die eine Sammlung psychologischer Gespenstergeschichten von W. F. Harvey vorliegen, die alle etwas anders sind als die bekannten Variationen. Zwar könnte man behaupten, eine Gespenstergeschichte sei immer auch psychologisch in ihrer Aussage und läge damit nicht falsch, aber uns interessiert hier die Frage nach der Einbildung. Wenn wir davon überzeugt sind, dass es in einer Geschichte um das Übernatürliche geht, nehmen wir als Leser eine andere Haltung ein, als wenn wir berechtigte Zweifel haben, die sich aber nie aufdecken lassen, weil der Autor uns in ein Grenzland schickt: Zufall? Einbildung? Grauen? Alles zusammen?

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Der letzte Sündenesser

Phantastikon Journal
Phantastikon – Magazin der Tausend Fiktionen
Phantastikon – Magazin der Tausend Fiktionen

Das PHANTASTIKON ist ein Kultur- und Literaturpodcast, der interessante Geschichten aufspürt. Wo immer sich also eine interessante Geschichte verbirgt, versuchen wir sie zu finden.

Episode 14: Der letzte Sündenesser
byMEP

Die Folklore der Sündenesser ist die geflüsterte Variation eines Spiels, das wir als „Stille Post“ kennen, und irgendwie trifft das auf alles zu, was früher einmal geschehen sein soll. Wir kennen es nur aus Erzählungen und unserer Imagination, die uns dabei hilft, die Dinge in unterschiedlichen Variationen ständig neu zu gestalten. So auch hier.

Wenn Teile der Kulturgeschichte über die Zeit hinweg von Generation zu Generation geflüstert werden, verändern sich die Einzelheiten der Erzählung jedes Mal ein wenig – die Bedeutung verschiebt sich, wird manchmal verschleiert oder geht ganz verloren – bis die Geschichte ein köstliches Gewirr aus Tatsache, Erfindung und Magie ist.

Die Folklore der Sündenesser ist die geflüsterte Variation eines Spiels, das wir als „Stille Post“ kennen, und irgendwie trifft das auf alles zu, was früher einmal geschehen sein soll. Wir kennen es nur aus Erzählungen und unserer Imagination, die uns dabei hilft, die Dinge in unterschiedlichen Variationen ständig neu zu gestalten. So auch hier.

Schottisches Begräbnis im 19. Jahrhundert: The Print Collector/Print Collector/Getty Images

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Das Phantom von Versailles

Seltsame Begebenheiten
Phantastikon – Magazin der Tausend Fiktionen
Phantastikon – Magazin der Tausend Fiktionen

Das PHANTASTIKON ist ein Kultur- und Literaturpodcast, der interessante Geschichten aufspürt. Wo immer sich also eine interessante Geschichte verbirgt, versuchen wir sie zu finden.

Episode 13: Das Phantom von Versailles
byMEP

In der langen Geschichte der menschlichen Wahrnehmung gibt es Ereignisse, die sich einer einfachen Erklärung entziehen. Sie existieren in einer Grauzone zwischen dem, was wir für Realität halten und Illusion, zwischen Wissenschaft und Mystik. Eine solche Begebenheit ereignete sich an einem drückenden Augustnachmittag des Jahres 1901, als zwei englische Akademikerinnen, Eleanor Jourdain und Charlotte Moberly, auf den gepflegten Wegen des Schlosses von Versailles wandelten – und sich, wie sie glaubten, unversehens in eine andere Zeit versetzt sahen.

In der langen Geschichte der menschlichen Wahrnehmung gibt es Ereignisse, die sich einer einfachen Erklärung entziehen. Sie existieren in einer Grauzone zwischen dem, was wir für Realität halten und Illusion, zwischen dem, was wir für Wissenschaft halten und Mystik. Eine solche Begebenheit ereignete sich an einem drückenden Augustnachmittag des Jahres 1901, als zwei englische Akademikerinnen namens Eleanor Jourdain und Charlotte Moberly, auf den gepflegten Wegen des Schlosses von Versailles wandelten – und sich, wie sie nicht ganz zu Unrecht glaubten, unversehens in eine andere Zeit versetzt sahen. Ihr Bericht, später in dem Buch An Adventure publiziert, wurde zu einer der bemerkenswertesten und kontroversesten Erlebnisse der paranormalen Literatur.

Die Begegnung mit dem Vergangenen

Eleanor Jourdain und Charlotte Moberly
Eleanor Jourdain und Charlotte Moberly

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Unheimliche Gesellschaft / Carlos Fuentes

Unheimliche Gesellschadt

Als einer der grundlegenden Autoren des „Booms“ hat der Mexikaner Carlos Fuentes in seinen wichtigsten Romanen – „Nichts als das Leben“ (1962), „Terra Nostra“ (1975), „Die Jahre mit Laura Diaz“ (1999) u.a. – eine interessante Reflexion über die kulturelle Vielfalt und Geschichte seines Landes angestellt. Gleichzeitig hat Fuentes, wie jeder Autor von Rang, mit Erzählungen wie jenen, die in seinem ersten Buch „Verhüllte Tage“ (1954) dargeboten werden, den Kurzromanen „Aura“ (1962) und „Das gläserne Siegel“ (2001), die Phantastik in seine Erzählungen einfließen lassen.

In diesem Sinne ist „Unheimliche Gesellschaft“ (2004) eine Sammlung von Rätsel- und Horrorgeschichten, ein Band mit sechs Geschichten und einer Schlüsselfrage: „Ist Leben diese kurze Spanne, dieses Nichts zwischen Wiege und Grab?“

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Das Korsett / Laura Purcell

War bereits Laura Purcells Die stillen Gefährten ein herausragendes Debüt im Sektor der neuen Welle der Schauerliteratur, ist ihr Buch von 2018, das uns jetzt mit einiger Verspätung erreicht, nicht weniger bemerkenswert, was im Grunde zu erwarten war. Gegenwärtig gibt es – neben historischen Romanen – bereits zwei weitere Gothic Novels von ihr, und man kann nur hoffen, dass der Festa-Verlag an dieser Autorin dran bleibt. Es wäre gar nicht auszudenken, wenn wir hier wie so oft nur Publikum zweiter Klasse wären.

Auch dieser Roman ist im viktorianischen England angesiedelt und die Atmosphäre ist in etwa dieselbe wie in Purcells Debüt. Während wir allerdings in den stillen Gefährten eine Insassin in einem Irrenhaus hatten, finden wir hier ein junges Mädchen von 16 Jahren namens Ruth Butterham im Oakwood-Gate-Gefängnis inhaftiert. Sie wird bald des Mordes angeklagt und höchstwahrscheinlich droht ihr der Strick, schließlich hat sie mehrere Morde gestanden.

Im Buch ist die die eine  Hälfte der beiden Erzählerinnen, die andere ist Dorothea Truelove. 

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Die stillen Gefährten / Laura Purcell

Die stillen Gefährten

Laura Purcell ist eine neue Stimme unter den jungen Autorinnen, die sich gerade daran machen, der Gothic Novel wieder neuen Atem einzuhauchen. Man erfährt von dem gegenwärtige Geschehen im Augenblick noch nicht allzu viel, vielleicht gerade deshalb, weil sich die einschlägigen Medien der Sache noch gar nicht angenommen haben und es gibt auch noch keinen spezifischen Verlag, der einen Vorstoß wagt und die New Wave of Gothic Novel ausruft. Alles scheint noch etwas vage beäugt zu werden, aber nach und nach tauchen immer mehr Töchter Jane Austens auf, eine davon jüngst im Festa-Verlag.

Laura Purcell ist eine dieser Anhängerinnen Jane Austens. Dazu muss allerdings gesagt werden, dass es jene gibt, die Jane Austen nur von den höflichen Komödienadaptionen im TV kennen, dadurch aber gerne ausblenden, dass es durchaus eine Seite an Austen gibt, die der Gothic Novel zugerechnet werden kann. Da scheint es fast schon selbstverständlich, dass moderne Autorinnen, die eine düstere Thematik bedienen, hier neben Daphne du Maurier ihren Markstein finden. Namentlich: Northhanger Abbey, das exemplarisch für die schiere Brandbreite der Schauerliteratur steht. Sie kann eine Satire mit Happy End sein, ein Abenteuer, das der Weird Fiction nahe steht, oder einfach nur Horror.

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