Die „Seltsame Geschichte“

Wir hören in letzter Zeit viel über die steigende Popularität der Weird Fiction. (Anm. Ich behalte hier die Originalbezeichnung bei, weil der Begriff in seiner eigentlichen Bedeutung nicht ins Deutsche übertragen werden kann, ohne fälschlich behandelt zu werden. Die häufigen und gebräuchlichen Übersetzungsfehler „Literatur der Angst“, „Unheimliche Literatur“ usw. führen hierbei nur in eine Sackgasse.)

Wie viel oder wie wenig dieses neue Aufkommen mit der New Weird-Bewegung von vor einigen Jahren zu tun hat, überlasse ich den Diskussionen der Gelehrten. Über kurz oder lang kann man sagen, dass uns alle paar Jahre ein neues Konzept als das neue große Ding der Horrorliteratur präsentiert wird, und im Moment ist es ein Stamm unheimlicher Erzählungen, die ihre Inspiration hauptsächlich (wenn auch nicht immer offensichtlich) von Lovecraft, aber auch von Chambers, Howard, Ligotti und so weiter beziehen. Sie wird mit anderen Genres kombiniert, verdünnt und in verschiedenen Formen verzerrt, aber am Ende des Tages, im Hier und Jetzt, ist die „Weird Fiction“ König.

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Der Blutstein / Karl Edward Wagner

Der zweite Roman um Kane ist für viele auch der beste. Wir begegnen Kane hier voll und ganz mit seiner Schurken-Rolle beschäftigt. Er selbst ist der Schlüssel zur Wiedererweckung einer gigantischen außerirdischen kristallinen Intelligenz, die bis in die Morgendämmerung der Menschheit zurückreicht (dem Blutstein). Was macht er damit? Im Grunde das Gleiche wie in jedem Roman: er will die Welt erobern.

Die erste Hälfte des Buches beschreibt, wie Kane versucht, den Blutstein an sich zu bringen, der in der Mitte eines von echsenhaften Kreaturen verseuchten Sumpfes, in der niedergegangenen Stadt Arellarti versteckt liegt. Die Protagonistin der zweiten Hälfte des Buches ist mehr oder weniger Teres, Tochter des Herrschers einer jener Stadtstaaten der südlichen Länder, die Kane zu manipulieren versucht. Teres ist eine Krieger-Prinzessin mit der scharfen Intelligenz eines Grauen Mauser, der Kampfkraft einer Jirel of Joiry, und dem sexuellen Hunger einer Belit (aus Conan).

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Die Heimsuchung der Warrens

Phantastikon Journal

Das Forschungsgebiet – Geister und Dämonen

Als selbsternannte Dämonologen und Geisterjäger sind die Warrens heute berühmt für die Arbeit, die sie Ende der 1940er Jahre begannen.

Wenn wir an Theater denken, stellen sich die meisten von uns eine Bühne mit Vorhängen, grellem Licht und einem aufmerksamen Publikum vor, das sorgfältig hinter einer „vierten Wand“ platziert ist. Wir denken an Schauspieler, Autoren und Regisseure, die das nächtliche Treiben einer unbestimmten Aufführung lenken. Aber was wäre, wenn es diese Barrieren nicht mehr gäbe? Was wäre, wenn unser Zuhause zur Bühne würde? Gibt es irgendwo mehr Privatsphäre oder Intimität als bei dir zu Hause? Als im Zimmer deines Kindes? In deinem Bett? Unsere Häuser scheinen auf einer anderen imaginären Ebene zu existieren. Sie atmen, knarren, knacken und pfeifen. Manche haben sogar Gesichter mit bedrohlichen Fenstern, die wie Augen aussehen. „Wenn diese Wände sprechen könnten“, sagen wir, aber wollen wir wirklich wissen, was sie zu sagen haben? Könnte es Geister geben? Böse Geister? Etwas, das wir nicht sehen? Gibt es so etwas überhaupt, oder ist das alles nur Einbildung? Niemand verstand sich besser auf diese Fragen als Ed und Lorraine Warren.

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Jorge Luis Borges

Phantastikon Journal
Jorge Luis Borges
Borges

Die Bedeutung von Borges für die Literatur ist nicht zuletzt eine stilistische, denn alle Autoren, ob sie ihn anerkennen oder nicht, haben von ihm die praktische Anwendung jener stilistischen Ökonomie gelernt, die zu jener beeindruckenden Dichte führt, die dem Leser das Gefühl gibt, die endgültige Formulierung eines Gedankens vor sich zu haben, die nicht mehr verändert oder ergänzt werden kann. Im Weltkanon der spekulativen Literatur nimmt Borges den ersten Platz ein.

Der größte Autor des 20. Jahrhunderts

Wenn wir heute von der Literatur des 20. Jahrhunderts sprechen, ist es unmöglich, nicht sofort an Jorge Luis Borges zu denken, den Mann, dem seit vielen Jahrzehnten alle Schriftsteller der nachfolgenden Generationen bis heute die größten literarischen Erneuerungen verdanken.

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Das Gift / Samanta Schweblin

Das Gift
Das Gift

Dass das wirklich Monströse die Natur das Fremde und das Menschliche ist, daran hat uns der klassische Terror bereits gewöhnt: Wald und Dschungel fungieren als Versteck für all das, was von der Vernunft verdrängt wird, und Kinder sind der Anfang dieser Fremdheit. Wir finden dort, wo wir uns in Sicherheit wähnen, nichts anderes als die Warnung vor unserem Aussterben.

Diese längere Erzählung Samanta Schweblins, die aus irgendeinem unerfindlichen Grund als ihr erster Roman gehandelt wird, ist die intelligente Variation des Klischees „äußeres Monster gleich inneres Monster“, das sich auf eine Strömung in der lateinamerikanischen Literatur bezieht, die dem kolonialen Diskurs der Unschuld der Landschaft (im Gegensatz zur Stadt) einen Schlag versetzen will. Amanda und ihre kleine Tochter verbringen einige Tage auf dem Land in einem Haus, das von Carla vermietet wird, einer attraktive Frau, deren Sohn David, nachdem er durch das Wasser eines Baches, von dem er trank, vergiftet wurde, und dann bei einer rituellen Heilung seine halbe Seele verloren hat. Aus dem Gespräch zwischen Amanda und David, einem Kind mit einer verstörenden Erwachsenenstimme, rekonstruieren wir den Moment, in dem Amanda die „Rettungsabstand“ (so heißt das Buch übersetzt im Original) verliert, mit der wir unsere Kinder schützen und tappen durch ein halluzinatorisches Dickicht.

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Gestaltwandler

Phantastikon Journal

Jede Kreatur, die ihr Aussehen drastisch verändern kann, ist im Prinzip ein Gestaltwandler. Obwohl sie manchmal monströse Formen annehmen, sind Gestaltwandler nicht immer böse. Sie können blutrünstig, schelmisch, hilfreich oder irgendetwas dazwischen sein.

Natürlich ist es schwierig, das Aussehen eines Gestaltwandlers festzulegen. Als Individuen verändern sie ständig ihre Gestalt, und als Gruppe, die sich über Dutzende von Kulturen erstreckt, haben sie eine Vielfalt von Formen, die man gar nicht alle aufzählen kann.

Schönheit ist vielleicht der wichtigste Trend in ihrer Erscheinung. Die Figuren erscheinen oft als strahlende Jungfrauen oder starke Jünglinge, deren Schönheit jeden verzaubert, der ihren Weg kreuzt. Andere beliebte Gestalten sind wolfsähnliche Tiere und Schlangen.

So vielfältig wie ihr Aussehen sind auch die Fähigkeiten der Gestaltwandler. Der Gestaltwandel selbst ist manchmal eher ein Fluch als eine magische Fähigkeit.

Gestaltwandler in der Folklore

In der antiken Mythologie ist der Gestaltwandel nur eine von unzähligen magischen Fähigkeiten, die von gottähnlichen Figuren eingesetzt werden. In der Trickster-Folklore ist die Gestaltwandlung die einzige magische Fähigkeit der Figuren, die sie jedoch mit so viel List kombinieren, dass sie dennoch eine mächtige Kraft darstellt. In romantischen Märchen ist die Gestaltwandlung meist eine Last für an sich machtlose Figuren, die meist von einem mächtigeren magischen Wesen betrogen oder verflucht wurden.

Japanische, chinesische und koreanische Legenden sind voll von Gestaltwandlern. Oft sind es Füchse, die sich in schöne Mädchen verwandeln. Meistens haben diese Gestalten keine guten Absichten und benutzen ihre Schönheit, um Männer zu verführen und zu töten, aber manchmal entpuppt sich eine der Gestaltwandlerinnen als unschuldige romantische Schönheit. Manchmal nehmen die Gestaltwandler auch andere Formen an, wie Schlangen, Katzen, Dachse und Waschbären.

In der indischen und tatarischen Folklore werden Gestaltwandler bevorzugt, die sich von Schlangen in Menschen verwandeln. Auch hier führen sie fast nie Gutes im Schilde.

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