Schreiben wie Lovecraft

Im Juni 2013 bekam ich per Post die neueste Ausgabe von Famous Monsters of Filmland, die ich mir bestellte, weil S.T. Joshi zwei Artikel dafür geschrieben hat. Ich war erstaunt darüber, dass kein einziger Artikel von einer Filmadaption eines Lovecraftschen Themas handelte. Zwei Artikel (“Lovecraft’s Acolytes,” von Robert M. Price und “The New Mythos Writers,” von S. T. Joshi) behandelten jene Schriftsteller, die von seiner Arbeit beeinflusst wurden und unter diesem Einfluss selbst schrieben, angefangen von der Zeit, als Lovecraft noch am Leben war, bis heute; und ein Artikel (“The Language of Lovecraft,” von Holly Interlandi) sah sich Lovecrafts Stil und Satzstruktur etwas näher an! Dass Lovecrafts Einfluss gegenwärtig reiche Blüten treibt, kann anhand solcher großartigen Anthologien wie Lovecraft Unbound (herausgegeben von Ellen Datlow), Black Wings (aka Black Wings of Cthulhu, herausgegeben von S. T. Joshi), New Cthulhu: The Recent Weird (herausgegeben von Paula Guran) und The Book of Cthulhu (herausgegeben von Ross E. Lockhart) abgelesen werden.

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Interview mit Alisha Bionda

Phantastikon Journal

P: Wenn man so umtriebig ist wie du, stellt sich die Frage, ob du nicht manchmal das Gefühl hast, dich mit einer einzigen Aufgabe nicht vervollständigen zu können. Ist das richtig oder hat der Tausendsassa in dir andere Gründe?

A: Ich liebe die Vielfalt im Leben und in meinen Berufstätigkeiten – und das ist ja das Wundervolle an der Literaturbranche, dass sie viele Möglichkeiten bietet. Ich habe aber auch einen streng getakteten Tag/Woche/Monat/Jahr, damit alles läuft. Und verzichte immer bewusst auf manche Sparten. So habe ich einige Jahre mehr geschrieben und weniger herausgegeben. Danach habe ich einige Jahre mehr herausgegeben und weniger geschrieben. Dann habe ich meine Agentur gegründet und das Schreiben und die Herausgabe eingeschränkt. Ich will mich ja entwickeln. Jetzt gebe ich z.B. zwar viele Reihen heraus, aber nicht mit festen Erscheinungszeiten, sodass ich das meinem Zeitplan anpassen kann. 2013 habe ich den Arunya-Verlag mitgegründet und bin einer der Masterminds – und nun für 2015/2016 steht wieder auf dem Plan, etwas mehr zu schreiben. Und wenn es nur an den Wochenenden ist. Es kommt ja nicht auf die Menge an: Qualität statt Quantität. Der Tausendsassa in mir hat folgende Gründe: ständige Neugier, Lust auf Vielfalt und Dauerkreativität. Letztere nenne ich immer meine „Feuerwerke“, die ständig züngeln. Hinzu kommt, dass ich, seit ich vor 6-7 Jahren einen scharfen Cut zu so manchen nicht so günstigen Verbindungen vollzogen habe, Kollegen und Freunde habe, mit denen ich jetzt fast ein Jahrzehnt auf eine so tolle Weise zusammenarbeite, dass mir da enorm etwas fehlen würde. Das hat mit dem ein oder anderen enge freundschaftliche, fast familiäre Züge angenommen. Und steck mal eine Handvoll Literatur-Nerds in einen Sack … da können nur ständig neue Projekte bei rumkommen.

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Die Trophäe

Heute war Alfredo Moros großer Tag. Heute würde er Unsterblichkeit erlangen, wenn er das nicht schon längst gewesen wäre. In einer Stunde würde seine Privataudienz beim Papst beginnen. Eine unglaubliche Ehre für einen einfachen Priester.

Doch Alfredo Moro war kein einfacher Priester. Man konnte den gutaussehenden gebräunten Mittdreißiger mit den pechschwarzen nach hinten gekämmten Haaren und dem gewinnenden Lächeln getrost als höchst außergewöhnlich bezeichnen.

Das außergewöhnlichste an ihm war, dass von seinem Werdegang vor diesem denkwürdigen Tag, dem Samstag, den 6. Juni nichts bekannt war. Man wusste nur durch entsprechende Aufzeichnungen, dass Alfredo Moro bis vor vier Jahren das Priesterseminar in Augsburg besucht hatte. Niemand aus seinem Jahrgang konnte sich später an den Mann erinnern, obwohl sein angenehmes, verbindliches Auftreten eigentlich hätte im Gedächtnis bleiben müssen.

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T. E. D. Klein – Botschafter des Grauens und der Romantik

Phantastikon Journal

Geschrieben von Frank Duwald

1.

QUAL DES SCHREIBENS

Die gesammelten Widersprüche des T. E . D. Klein

Wenn es in der zeitgenössischen Literatur einen Autor gibt, der sich dem Schreiben durch puren Masochismus verbunden fühlt und sich in seiner Qual trotzdem wegweisende Werke abringt, dann ist das wohl T. E. D. Klein, der Autor eines bemerkenswert schmalen aber wahrlich nicht unbedeutenden Œuvres.

„Ich bin einer dieser Leute, die alles tun würden, um dem Schreiben auszuweichen. Alles!”1,  sagt er. „Ich finde das Schreiben von Fiktion irrsinnig hart. Ich denke, ich bin ein extrem guter Lektor für anderer Leute Werke, […] aber es ist eine entsetzlich harte Arbeit für mich, irgendetwas Eigenes zu produzieren.“2

In einem Zeitraum (wir sprechen von mehr als 25 Jahren), in dem Stephen King ein ganzes Hochregallager mit seinen Büchern füllen kann, hat T. E. D. Klein einen Roman (The Ceremonies), fünf längere Erzählungen bzw. Novellen („The Events at Poroth Farm“, „Petey“, „Black Man With a Horn“, „Children of the Kingdom“ und „Nadelman’s God“) und etwas Kleinzeug (ein paar Kurzgeschichten, Essays und Rezensionen) zustande gebracht. Warum das so ist, erklärt er Carl T. Ford, dem Herausgeber des britischen Fanzines Dagon wie folgt:

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Coelho Neto, ein brasilianischer Autor unheimlicher Phantastik

Phantastikon Journal

Man könnte nicht sagen, dass die brasilianische Phantastik im deutschen Sprachraum sehr bekannt oder populär wäre – es sei denn, man zählt den unsäglichen Kitsch-Mystiker Paulo Coelho zur phantastischen Literatur. Ich habe seinerzeit mit wenig Erfolg bei Suhrkamp zwei Bände moderner brasilianischer Autoren veröffentlicht: die Sammlung unheimlicher Erzählungen Die Struktur der Seifenblase. Unheimliche Erzählungen, aus dem brasilianischen Portugiesisch von Alfred Opitz, von Lygia Fagundes Telles (1923- ), als Bd. 105 der „Phantastischen Bibliothek“ (suhrkamp taschenbuch 932) und 1993 Der Feuerwerker Zacharias (Os dragões e outros contos). Aus dem. brasilianischen Portugiesisch mit einem Nachwort von Ray-Güde Mertin, von Murilo Rubião (1916-1991), („Phantastische Bibliothek Bd. 292, suhrkamp taschenbuch 2151, als Nachdruck der Buchausgabe bei Suhrkamp von 1981). Das waren, trotz täuschender Einfachheit und paradoxer Klarheit der Formen komplexe modernistische Texte, die wenig mit klassischen Gespenster- oder Horrorgeschichten zu tun haben, sondern vielmehr das Absurde als Metapher für das Absurde menschlicher Existenz verwenden.

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Revival / Stephen King

Stephen Kings großartiger neuer Roman „Revival“ bietet das atavistische Vergnügen, in der Dunkelheit näher ans Lagerfeuer zu rücken, um einer Geschichte von jemandem zu lauschen, der genau weiß, wie er seinen Zuhörern eine Gänsehaut verschaffen kann, indem er ihnen zuflüstert: „Schau nicht hinter dich“.

King war immer großzügig, wenn es darum ging, die Autoren zu nennen, die ihn inspiriert haben. Diesmal nennt er Arthur Machens The Great God Pan (1894), eine der besten Fantasy-Geschichten, die je geschrieben wurden.

Es mag schwierig erscheinen, auf Anhieb zu beurteilen, was man von King in letzter Zeit zu erwarten hat. Galt er in den 70er Jahren noch als Meister des Horrors, so hat er dieses Etikett längst an eine jüngere Generation abgegeben und wird allgemein als „Chronist des amerikanischen Alltags“ anerkannt. Die Grotesken, die übersinnlichen Spinnereien etc. hat man ihm längst verziehen. King ist eindeutig im Mainstream angekommen, er erhält den Beifall des literarischen Establishments, über das er sich gerne lustig macht. Der große amerikanische Roman 11/22/64 war nicht der einzige Grund dafür, aber er hat geholfen. Die Meinung der literarischen Torwächter geht eindeutig dahin, dass King einer der ganz großen amerikanischen Erzähler wäre, wenn er nur auf seine exzentrischen Ausbrüche verzichten könnte. Im Umkehrschluss heißt das natürlich nichts anderes, als dass er es längst ist. Die Wahrheit liegt irgendwo zwischen Harold Blooms unermüdlicher und scharfer Kritik an Kings Sprache und den feierlichen Adjektiven, die sich in den letzten zehn Jahren angesammelt haben, um Kings Bedeutung als Schriftsteller zu beschreiben.

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