Die moderne Apotheke bietet denjenigen, die vom Makabren fasziniert sind, nicht viel. Wie beunruhigend Apotheken aber früher sein konnten, kann man im New Orleans Pharmacy Museum nachvollziehen. Hier kann man keine billigen Halloween-Süßigkeiten kaufen. Hier wurde man bei einfachen Kopfschmerzen zum Aderlass mit einer ungewaschenen Rasierklinge gezwungen, bevor ein Mann einem mit einer Bleispritze metallische Gifte injizierte.
Diese historische Stätte im geschichtsträchtigen French Quarter war 1823 die erste lizenzierte Apotheke der Vereinigten Staaten und sieht noch genauso aus wie zu Beginn des 19. Jahrunderts. Alte Katheter liegen unter Regalen mit seltsamen Tinkturen und gezackten Sägen, mit denen man gangränöse Knochen durchtrennen kann. Auf der Theke stehen Gläser mit Opiaten, einige davon mit silber- und goldbeschichteten Pillen, die einst dazu dienten, die Schmerzen der Reichen zu betäuben – eine Spielerei, die ironischerweise verhinderte, dass die medizinischen Inhaltsstoffe der Pillen verdaut werden konnten. In der Nähe steht ein Entbindungsbett mit einem teuflischen Gerät, das offenbar dazu diente, die Plazenta nach der Geburt herauszuschaben.
Erschwerend kommt hinzu, dass alle diese alten medizinischen Verfahren den hygienischen Anforderungen der modernen Medizin völlig widersprechen. Die Entwicklung der Apothekenspritzen zum Beispiel liest sich wie eine düstere Übung in hygienischem Trial-and-Error: Die ersten Geräte wurden aus giftigem Blei hergestellt. Später wurden sicherere Materialien verwendet, aber die Nadeln wurden weder gereinigt noch geschliffen. Nichts geht über eine stumpfe, mit Bakterien überzogene Spritze, um sich wieder fit zu fühlen.
Andererseits war eine stumpfe Spritze vielleicht noch das geringste Problem für die Patienten im New Orleans des 19. Jahrhunderts. Wolken giftigen Rauchs stiegen über dem Mississippi auf, als die Apotheke noch in Betrieb war. Im Big Easy bekämpfte man Epidemien oft mit riesigen, 24 Stunden andauernden Feuern aus Mutterkrautpflanzen. Man glaubte, dass der Rauch den schädlichen „Dämpfen“ entgegenwirken würde. Wenn die Feuer nicht halfen, schossen die Stadtväter mit Kanonen in die Luft, weil sie glaubten, dass die Explosionen den krankmachenden Rauch vertreiben würden. Diese Paranoia war begründet. New Orleans war schon immer eine krankheitsanfällige Stadt. Im Jahr 1853 forderte eine Gelbfieberepidemie fast 8.000 Todesopfer, etwa 7 Prozent der Stadtbevölkerung.
Die Besucher des Pharmaziemuseums erhalten einen Einblick in die grausamen medizinischen Praktiken vergangener Zeiten und in die Geschichte des alten New Orleans – insbesondere in die schmerzhafte Rassenpolitik der Stadt. Einst glaubte man, Afroamerikaner seien immun gegen Gelbfieber – ein Trugschluss, der darauf beruhte, dass die Sklaven unter harten Bedingungen überlebt hatten, die ihre Widerstandskraft gegen die Krankheit stärkten. Auch Louis Joseph Dufilho Jr., der ursprüngliche Besitzer der Apotheke, war ein angesehener Arzt und Sklavenhalter. Die Apotheke liegt sogar gegenüber dem einst größten Sklavenauktionshaus des Landes.
Vielleicht liegt es an der bewegten Vergangenheit des Apothekenmuseums und seiner Umgebung, dass Museumsbesucher von Begegnungen mit unruhigen Geistern berichten. Man glaubt zwar nicht, dass der Geist von Dufilho hier spukt, aber der Geist seines Nachfolgers Dr. Joseph Dupas wurde schon gesehen. Lokale Überlieferungen besagen, dass Dufilho seine Apotheke 1857 an Dr. Dupas verkaufte, der seine neue Position prompt dazu nutzte, Voodoo-Rituale und verstörende Experimente an schwangeren Sklavinnen durchzuführen. Heute wandelt sein Geist nachts in einem braunen Anzug durch das Museum, verschiebt Objekte in den Vitrinen und löst die Alarmanlage des Gebäudes aus.
Während die Besucher in der Apotheke dem Geist von Dupas begegnen können, gibt es ein unheimliches Ausstellungsstück nicht mehr: ein Glas mit lebenden Blutegeln. Die zappelnden Würmer wurden nicht aus Angst vor schwachen Herzen entfernt, sondern aus kommerziellen Gründen. Medizinische Einrichtungen bestellen nämlich lebende Blutegel beim Museum.
Hier liegt der makabre Kern des New Orleans Pharmacy Museum: Ja, es ist ein Ort, an dem veraltete medizinische Praktiken und Utensilien uns im Nachhinein über die Vergangenheit schmunzeln lassen. Gleichzeitig macht uns der Nachgeschmack nachdenklich: Wie werden unsere Nachfahren über uns lachen? Wenn man ein Regal mit seltsam beschrifteten antiken Giften betrachtet, spürt man eine selbstgefällige Distanz zur Vergangenheit – so etwas würden wir heute nie in einem Laden um die Ecke verkaufen. Aber nach ein paar Minuten kommt vielleicht die schleichende Erkenntnis, dass sich eines Tages jemand über unser primitives, brutales Leben wundern wird.
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