Entenhausen

Wo liegt Entenhausen?

Es kommt für jeden einmal die Stunde, da er sich die Frage stellt, wo Entenhausen denn eigentlich liegt. Das mag heute weniger zutreffen als noch zu meiner Zeit, als man quasi mit der Micky Maus als Magazin heranwuchs, während man  sich – langsam von der Brust entwöhnt – den ersten Brei einverleiben ließ.

Nun ist die Frage nach dem Wo naturgemäß nicht so leicht zu beantworten, was man allein daran erkennen kann, dass es darüber unterschiedliche Meinungen gibt. Über eine Stadt wie München muss man nicht diskutieren, sie verändert ihren Standort nicht.

Verändert denn Entenhausen seinen Standort?

Nun, das hat es tatsächlich schon einmal gegeben, nämlich als Erika Fuchs – die ja den Namen überhaupt erst erfunden hat – für sich beschloss, dass Entenhausen in Deutschland liegt, genauer: in Oberfranken, und noch genauer: in Schwarzenbach an der Saale. Dort nämlich, wo sie lebte,  als sie als erste Chefredakteurin und Übersetzerin der Micky Maus die erste Generation deutscher Disney-Fans mit ihrem Sprachwitz prägte. Von da her ist es folgerichtig, Entenhausen in Deutschland zu verorten – und die Donaldisten haben das dann auch getan. Carl Barks war natürlich der Urheber jenes Duckburg, das Erika Fuchs erst zu Entenhausen machte, und hier haben wir das erste Problem vor uns, denn eigentlich ist Entenhausen nicht einfach nur eine Übersetzung von Duckburg, auch wenn wir heute ein und dieselbe Stadt darunter verorten.

Und damit begrüße ich euch zu einer neuen Themen-Ausgabe im Phantastikon. Heute gehen wir der Frage nach, wo sich Entenhausen befindet. Es gibt da einen interessanten Stadtplan Entenhausens, den der Donaldist Jürgen Wollina der Welt nach 13jähriger Arbeit im Jahre 2008  vorgestellt hat.  Er kann bei der donald.org bestellt werden.

Entenhausen – Der Stadtplan

Ein Stadtplan gibt natürlich noch keine Auskunft, wo sich eine Stadt überhaupt befindet, und um das zu klären, muss man zwei Dinge wissen. Erstens: Woher kam Carl Barks, und zweitens: Was ist Entenhausen (im Sinne von Duckburg) überhaupt.

Die Allgemeinheit geht davon aus, es handle sich bei Entenhausen um einen fiktiven Ort, der sich nirgendwo befinde, weil er ja eben fiktiv sei, bloße Erfindung. So einfach ist es aber nicht. Ich nämlich behaupte: Entenhausen existiert. Reisen wir nicht andauernd dorthin, um mitzuerleben, was sich dort so tut? Und selbst wenn das noch nicht genügen würde – seit Jahrzehnten schicken Zeichner, Texter und Leser gewaltige Energien aus, um Entenhausen zu erschaffen und weiterzuentwickeln. Wir können nur nicht körperlich anwesend sein, weil Entenhausen in einer anderen Dimension liegt, so wie Träume (die ja ebenfalls existieren). Die wissenschaftliche Disziplin des Donaldismus geht etwas anders vor, sie stützt sich überhaupt erst auf die Prämisse, dass sich Barks die Geschichten nicht einfach ausgedacht hat, sondern dass sie wahr sind. Also auch keine Traumreisen, keine Literatur oder Fantasie, sondern absolut wahr. Und das führt wiederum zu dem Problem, dass auch nur Carl Barks aus Entenhausen berichten konnte. Tatsächlich wird man diese wunderbare Stadt zunächst einmal in Barks eigener Erinnerung finden, denn nichts entsteht im luftleeren Raum. Ob andere Zeichner Entenhausen dann woanders hin verfrachteten, muss erst untersucht werden.

Calisota

Beachtet man alle Hinweise, kann es keinen Zweifel geben, dass Entenhausen alias Duckburg in Nordamerika liegt. In einigen Fällen gibt es sogar Entfernungshinweise. So ist zB. Puget Sound (eine Meeresbucht im Norden der USA) 1000 Meilen entfernt, Burbank wird als in der Nähe liegend erwähnt. Aber all die Hinweise werden uns Entenhausen natürlich nicht finden lassen, weil es aus einer Zusammensetzung besteht. Barks hat lange in Hemet, Kalifornien gelebt und von dieser Erfahrung viel in seine Arbeit integriert. Allerdings ist Hemet keine Küstenstadt, Entenhausen aber schon. Und Barks hatte viel übrig für Schneelandschaften. Aber auch da konnte er auf seine Erinnerungen zurückgreifen, denn aufgewachsen ist der Meister in Oregon und lebte in den 30ern in Minnesota, also ganz im kalten Norden, an der Grenze zu Kanada. Duckburg stellt nun genau diese Kombination her. Dass Entenhausen in einem erträumten und zusammengesetzten Staat liegt, erwähnt Barks selbst. In der Geschichte “Gilded Man” (dt. “Jagd nach der roten Magenta”) von 1952 (Deutscher Erstdruck im Micky Maus Sonderheft 16) gibt es folgenden Hinweis: “She floated away in 1901. Said forward her mail to 45 Mallard Avenue, Duckburg, Calisota”. In der deutschen Übersetzung findet sich das allerdings nicht, wie überhaupt die (sicher zu recht) hochgelobte Erika Fuchs in ihren Übersetzungen auch viel Schaden anrichtete. Calisota ist nun also diese Verbindung aus Kalifornien – dem Sommer, das Meer, die Palmen, die Wüste) und Minnesota (Berge, Winter, Flüsse). Nur wenn man diese erinnerten Verbindungen und präzisen Beobachtungen Barks kennt, wird man Entenhausen finden.

Stella Anatium

Die Ducks sind keine Enten, sie sehen nur so aus. Warum wir einen Teil der Bewohner Entenhausens als Tiere sehen, ist bisher noch nicht eindeutig geklärt, hat aber etwas damit zu tun, wo Entenhausen überhaupt liegt. Weiter oben habe ich ein paar geographische Daten herbeigezogen. Die sind allerdings nur halbwegs plausibel, wenn man davon ausgeht, Entenhausen sei auf unserer Erde zu finden. Es gibt da unterschiedliche Theorien.

Wir selbst sind im Grunde Affen, bezeichnen uns aber genauso als Menschen wie die Bewohner Entenhausens. Tatsächlich erscheinen uns neben Enten Mäuse, Hunde, Schweine, Wölfe, usw. Aus einem bestimmten Grund glaube ich, dass es etwas mit der Charakterbildung zu tun haben könnte. Wir selbst geben uns Tiernamen. Schweine, Ratten, Hunde, Vögel oder Füchse sind bei uns ebenfalls zu finden; Frauen sind Katzen, Hühner, Kühe oder Hasen. Es gibt in Entenhausen freilich auch Menschen, die tatsächlich so aussehen. Das ist sogar die Mehrheit, eine undefinierbare Masse – wie auch bei uns. Sie sind meist unspektakulär, reines Requisit. Und trotzdem sehen die Entenhausener Menschen nicht wirklich so aus wie die Menschen auf der Erde. Wir erkennen sie nur, weil sie sich ganz eindeutig von all jenen unterscheiden, die animalid aussehen.

Es gibt Donaldisten, die behaupten, Entenhausen wäre eine längst vergangene Epoche, läge also in der Vergangenheit; und es gibt Donaldisten, die sagen, Entenhausen läge in der Zukunft (Atomtheorie). Das ist jene Strömung, die Entenhausen auf unserem Planeten verortet. Das Problem daran ist, dass wir bisher auf keinen einzigen Hinweis gestoßen sind, der uns Entenhausen in der Vergangenheit glaubhaft machen könnte. Das gleiche lässt sich über die Zukunft sagen, wenn auch mit einer etwas anderen Argumentation. Es ist nämlich höchst unwahrscheinlich, dass es noch einmal zu einem Goldrausch am Klondike kommen wird, oder dass jemand wie Dagobert Duck in einem Menschenleben sowohl den Goldrausch als auch die Eroberung des Weltraums erlebt. Denkbar schon, aber unwahrscheinlich. Das wichtigste Gegenargument ist aber – wie auch schon bei der Theorie über die Vergangenheit – das nicht vorhandene Interieur unseres Planeten. Bedenkt man, was wir unseren künftigen Generationen alles hinterlassen, ist es doch wenig glaubhaft, dass die Entenhausener ihrerseits nichts von unseren Hinterlassenschaften je entdeckt haben.

Die interessanteren beiden Theorien gehen so: Entenhausen befindet sich auf einem anderen Planeten; und: Entenhausen befindet sich in einem Paralleluniversum. Diese beiden Theorien gehen meistens Hand in Hand, es ist die berühmte “Stella Anatium” – Theorie, und diese ist, meines Erachtens, die richtige. Allerdings glaube ich dabei nicht direkt an einen anderen Planeten, sondern tatsächlich an ein Paralleluniversum. Schließlich ist die Erde Entenhausens auch als Erde erkennbar und wird in den Comics nicht anders genannt. Auch die historischen Ereignisse gleichen sich auf verblüffende Weise. Nimmt man alle Ähnlichkeiten mit unserem Planeten zusammen, könnte es sich – sieht man einmal von manchen sonderbaren naturwissenschaftlichen Problemen ab – eben auch um unsere Erde handeln. Es ist ja gerade diese Ähnlichkeit, die manche Donaldisten zu ihrer Terra-Theorie veranlasste.

Es gibt noch weitere Theorien, aber die lassen sich alle in die genannten eingliedern. So geht die Chrononen-Theorie ebenfalls von einem Paralleluniversum aus, erklärt die Verzahnung mit unserer Welt nur etwas anders, indem es den Zeitbegriff modifiziert.

Das Erika-Fuchs-Haus

D.O.N.A.L.D.org (Donaldisten)

Carl Barks

MEP

MEP

Michael Perkampus wurde am 2. April 1969 im Fichtelgebirge geboren. Als Solitär der deutschen Literatur arbeitet er in seinen Texten mit "Bewusstseinsfragmenten" und "Synkopen", einer "philosophischen Phantastik". Von 2005 - 2010 moderierte er die Schweizer Literatursendung "Seitenwind" in Winterthur. Letzte Erzählungen erschienen im Blitz-Verlag unter "Das Kriegspferd", herausgegeben von Silke Brandt. Im Januar 2015 ging das Phantastikon online, später folgte der gleichnamige Podcast. 2018 gab er die Anthologie "Miskatonic Avenue" heraus, deren Namen jetzt für eine Rubrik im Magazin steht. Wer sich für Metaebenen interessiert, sollte sich den Blog "Crossroads" anschauen: https://crossroads.phantastikon.de

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