Waffenschwestern

Waffenschwestern von Mark Lawrence (Buch der Ahnen #1)

In manchen Genres neigen Leser dazu, den sogenannten „Hollywood-Pitch“ anzuwenden, bei dem ein Werk mit anderen berühmten Werken verglichen wird, die sich in gewisser Weise ähneln. Bei Mark Lawrence und dem Auftakt seiner dritten Trilogie mit dem Titel „Buch der Ahnen“ treffen wir auf die mittlerweile sehr bekannten Zutaten der Akademie, in der hier junge Nonnen unter anderem zu mörderischen Assassininnen ausgebildet werden und einer brutalen Winterwelt, die sich seit Martins „Lied von Eis und Feuer“ etabliert hat.

Die Handlung ist fast schon akademisch, denn die Geschichte von Nona ist weniger eine Richtungsgeschichte als vielmehr eine Geschichte im Stil von Rip Van Winkle von A nach B, in der sich die „Handlung“ nur wenig bewegt, während sie und die anderen Figuren mit sorgfältiger und langsamer Handwerkskunst geformt werden und wachsen. Ich würde es eher als eine von den Charakteren gesteuerte Erzählung bezeichnen, denn als eine von der Handlung. Es beginnt mit einem ausgezeichneten Aufhänger im ersten Absatz des Prologs (der einen Kampf zwischen 1 und Hunderten einleitet) und dem ersten richtigen Kapitel, in dem wir Nona am Ende ihrer Kräfte treffen. Lawrence versteht es meisterhaft, durch subtile Einschübe bewusster Gedanken, durch winzige Details wie Schmerzen und Juckreiz und durch Hell-Dunkel-Kontraste Spannung aufzubauen und eine Atmosphäre zu schaffen. Vor allem aber versteht er es, ein großes emotionales Drama zu erzeugen, indem er über Dutzende von Seiten hinweg Dutzende von wichtigen Puzzleteilen aneinanderreiht.

Während die ersten hundert Seiten erfolgreich Nonas Vergangenheit ausbalancieren, die sie in die mysteriösen, motivierten Arme des Convent of Sweet Mercy (Ausbilderin von Killernonnen) treibt, jongliert er eine Menge Weltenbau in einer kurzen Zeitspanne, was es schwierig macht, ein festes Verständnis dafür zu bekommen, was passiert, was zuverlässige Erzählung ist und wohin die Geschichte geht. Das Buch ist keine leichte Lektüre und konzentriert sich auf düstere Art und Weise so sehr auf die Dunkelheit in der menschlichen Seele, dass man den Optimismus endgültig verliert. Auch wenn es im Moment nicht schwer ist, mit Nona mitzufiebern, wenn sie eine Herausforderung nach der anderen meistert, so ist es doch eine düstere Welt und ein düsterer Charakter, zu dem wir mitfahren. Am Ende des Buches war ich eher erschöpft und ausgelaugt als begeistert, und obwohl ich die Trilogie wahrscheinlich zu Ende lesen werde, habe ich es nicht eilig, das nächste Buch zu lesen.

Das soll nicht heißen, dass Red Sister ein schlechtes Buch ist, es ist gut gemacht für das, was es zu erreichen versucht. Der Schauplatz der Akademie und die einzelnen Handlungsstränge sind lebendig und fesselnd, mit genug persönlichem Drama, um die einzelnen Handlungsstränge und Nonas unmittelbaren Freundeskreis zu unterscheiden, aber nicht genug, um vielen der anderen Schwestern auf höherer oder gleichrangiger Ebene Tiefe zu verleihen. Ich habe den Infodump-Ansatz zum Aufbau der Welt durch Unterricht in Akademie-Romanen ala Harry Potter, Codex Alera und Kingkiller Chronicles, neben zahlreichen anderen, ein wenig satt, aber das ist Geschmackssache. Lawrence‘ Magiesystem ist eine faszinierende Mischung aus genetischen Blutlinien und spirituellem Weltenzapfen und war einer der faszinierendsten Aspekte des Buches. Allerdings hatte ich auch das Gefühl, dass Lawrence mit seinen Regeln und seinem Bedürfnis, Nona zu etwas „Besonderem“ zu machen, um Konsistenz kämpfte. Ich hatte den Eindruck, dass die Rote Schwester sich Mühe gab, Nona im dritten Akt in den Mittelpunkt zu stellen, nachdem sie die Dominosteine in anderen Richtungen umgeworfen hatte. Dies führte dazu, dass der Roman gezwungen und überstürzt wirkte.

Unterm Strich hat Lawrence mit Red Sister einen soliden Auftakt zu Book of the Ancestor geschaffen. Es ist unterhaltsam, hat brillante Dialoge und eine tolle Atmosphäre, lässt einen trotz der Länge und der langsamen akademischen Abschnitte die Seiten umblättern und bildet eine schöne Kulisse für eine viel größere Geschichte. Es ist sicherlich nicht für jeden etwas, es gibt einige erzählerische und charakterliche Entscheidungen, die für mich nicht funktionierten, und es ist keine leichte Lektüre aufgrund der enormen Menge an Details und der emotionalen Belastung für Augen und Geist aufgrund des fehlenden Lichts in der Dunkelheit.

MEP

MEP

Michael Perkampus wurde am 2. April 1969 im Fichtelgebirge geboren. Als Solitär der deutschen Literatur arbeitet er in seinen Texten mit "Bewusstseinsfragmenten" und "Synkopen", einer "philosophischen Phantastik". Von 2005 - 2010 moderierte er die Schweizer Literatursendung "Seitenwind" in Winterthur. Letzte Erzählungen erschienen im Blitz-Verlag unter "Das Kriegspferd", herausgegeben von Silke Brandt. Im Januar 2015 ging das Phantastikon online, später folgte der gleichnamige Podcast. 2018 gab er die Anthologie "Miskatonic Avenue" heraus, deren Namen jetzt für eine Rubrik im Magazin steht. Wer sich für Metaebenen interessiert, sollte sich den Blog "Crossroads" anschauen: https://crossroads.phantastikon.de

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