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Review / Grimscribe / Thomas Ligotti

Es gibt in unserer heutigen Zeit viele, die glauben, sie verstünden sich auf den echten „Horror“, aber ob sie unter dieser Flagge schreiben oder lesen: sie täuschen sich. Täuschen sich dann, wenn sie Ligotti entweder gar nicht kennen, oder keinen Zugang zu ihm finden. In der von „Handlung“ ausgehenden Welt der modernen Veröffentlichungsfabriken hat Spannung den Schrecken als primäre Komponente des modernen Horrors abgelöst. Poe und Lovecraft zeigen in ihren besten Arbeiten, was Schrecken, was wirklicher Horror bedeutet. Thomas Ligotti und sein „pure horror“ ist der dritte im Bunde, der einzige Autor, der neben den beiden anderen Giganten Platz nehmen darf. In „Grimscribe – Sein Leben und Werk“ dürfen wir den Nervenkitzel des reinen, unverdünnten Schreckens noch einmal erleben. Allerdings ist es oft die literarische und philosophische Unkenntnis einiger Rezensenten, die Ligotti nach wie vor mit dem Lovecraft-Kosmos verbinden. Thomas Ligottis stilistische Bandbreite ist bemerkenswert und übertrifft bei weitem den limitierten Klang Lovecrafts (ohne dessen Einfluss schmälern zu wollen, der gerade in Ligottis Anfängen exorbitant vorhanden war). Was beide Autoren tatsächlich miteinander verbindet, sind die Weltanschauungen. Dazu gehört die Überzeugung vom Untergang der abendländischen Kultur (und in dieser Phase befinden wir uns gegenwärtig, wie leicht zu erkennen ist). Lovecraft als auch Ligotti sehen die Menschheit in einem sinnlosen Universum treiben, manipuliert von Mächten, die weder zu begreifen noch in irgendeiner Form zu nutzen sind. Wo Lovecraft jedoch trivial wird, unterstreicht Ligotti seinen intellektuellen Rang, was nicht zuletzt seiner gewaltigen philosophischen und literarischen Bildung zu verdanken ist (man denke nur, dass etwa „Cioran“ zu seinen gedanklichen Haupteinflüssen zählt).

Robert M. Price (u.a. Herausgeber von „The New Lovecraft Circle“) nennt Ligotti gar einen Gnostiker, was die intellektuell-philosophische Linie sogar noch unterstreicht.

Wieder einmal ist es Frank Festa zu verdanken, dass wir eines der wichtigsten Werke der modernen Horror-Literatur nun auch in deutscher Sprache vorliegen haben. All jene, die des Englischen nicht mächtig sind, sollten ihm auf Knien danken.

„Grimscribe“ ist der Name, den Ligotti seiner Stimme gibt, die Quelle seiner wunderbaren Prosa. Es handelt sich dabei nicht notwendigerweise um eine einzelne Person, sondern um eine bestimmte Art des Sehens, um eine Verbindung zwischen den dunklen, süßen Orten der Seele und der gedruckten Seite.

„Ich erkenne seine Stimme, wenn ich sie höre, denn stets spricht sie von schrecklichen Geheimnissen. Sie spricht von den bizarrsten Mysterien und Erlebnissen, manchmal mit Verzweiflung, manchmal mit Freude, und manchmal mit einer Laune, die sich jeder Beschreibung entzieht“,

erklärt er uns in der Einleitung; und zum Schluss: „Unser Name lautet GRIMSCRIBE. Das ist unsere Stimme.“

Das macht Grimscribe mehr zu einer Reihe von unheimlichen Chören als zu einer Sammlung miteinander verbundener Geschichten.

Es sind dies subtile Variationen über Finsternis, Verfall, Tod, und den Schrecken des Unbekannten.

Anders als die meisten der heutigen Horror-Autoren, die einen anatomischen Ansatz verwenden, hebt Ligotti seine Vorstellungen über Tod und Verfall auf die Ebene des Abstrakten, Akademischen und hüllt sie in eine delikate, elegante Sprache. Im Einklang mit dem hohen literarischen Ton seiner Prosa führt er die Grundideen der Stories in Richtung des leicht Anekdotischen, aber Ligottis Talent für den Wechsel des Ausdrucks sorgt dafür, dass diese Wechsel ebenso fesselnd wie elegisch sind.
In „Nethescurial“ erhält der Erzähler einen Brief von einem Freund, der auf ein beunruhigendes Manuskript gestoßen ist.

„Stellen Sie sich die gesamte Schöpfung als eine bloße Maske für das größtmögliche Böse vor, ein absolut Böses, dessen Realität allein durch unsere Blindheit ihm gegenüber gemildert wird, ein Übel im Herzen der Dinge … natürlich … wir müssen Distanz wahren zu solchen Gespenstern wie Nethesurical, aber das ist in der Regel durch das Medium der Worte schon gewährleistet … und doch scheint das Manuskript in dieser Hinsicht nur eine schwache Barriere zu bilden.“

Der Erzähler träumt sich in einen kafkaesken Bibliotheks-Alptraum, in dem er zu folgender Erkenntnis gelangt:

„Ich konnte auch sehen, was sich unter jeder Oberfläche windet, mein Blick durchdringt die übliche Rüstung der Objekte und erkennt in ihnen allen das gleiche heraussprudelnde Zeug, wo immer ich auch hinsehe …“

Ligotti erreicht seine Größe als Horror-Schriftsteller nicht zuletzt dadurch, wie er mit Bedacht auswählt, was er dem Leser zeigen möchte. Seine Prosa erreicht nahezu Perfektion und stärkste emotionale Kraft, wenn er ein Bild des Schreckens zeichnet, den Leser darauf hindeutet, dass es da etwas gibt, das er vielleicht nicht vollständig wahrgenommen hat.

Zu Grimscribe sagte der Meister selbst folgendes:

„Ich muss anmerken, dass ich mit Grimscribe begann, mich weiter und tiefer in symbolische Erzählungen und Landschaften zu wagen, während ich mich trotzdem an die für eine Horrorgeschichte typische „Realität“ halte. Ich möchte darauf hinweisen, dass ich Das letzte Fest des Harlekin und Träumen in Nortown bereits geschrieben hatte, bevor meine erste Sammlung erschien.“

Das war 2011, als Grimscribe bei Subterranean Press erneut erschien, überarbeitet und mit Variationen versehen im Gegensatz zur 1991 bei Carroll & Graf erschienenen Urform.

Trotz der kultischen Verehrung, die Ligotti genießt, wird es noch dreißig oder vierzig Jahre dauern, bis man vollumfänglich zu schätzen weiß, wie Ligotti die Horrorliteratur um eine neuartige Dimension bereichert hat.


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