Wenn das Grauen spricht

In den knisternden Schatten der amerikanischen Nachkriegszeit, als Fernsehgeräte wie neue Hausaltäre in den Wohnzimmern flimmerten und das Comicregal noch der subversivste Ort eines Kiosks war, erhob sich eine Stimme aus der Gruft. Tales from the Crypt – dieser Name allein ließ Kinderherzen schneller schlagen, Eltern besorgt die Stirn runzeln und Politiker nach dem Zensurstempel greifen. Die Geschichten aus der Gruft waren nicht einfach nur Horrorcomics. Sie waren ein Tor in eine düstere Parallelwelt, in der Moral und das Makabere ein tückisches Tänzchen aufführten.
Entstanden Anfang der 1950er Jahre bei EC Comics unter der Federführung von William Gaines, war Tales from the Crypt mehr als ein simpler Titel. Es war ein Flaggschiff in einer Welle von sogenannten „Horror-Anthologie-Comics“, die dem amerikanischen Traum den Sargdeckel zeigten. Die Geschichten – makaber, blutig, oft mit einer ironischen Pointe – wurden von Erzählern wie dem Crypt-Keeper, dem Vault-Keeper und der Old Witch präsentiert, Figuren, die gleichzeitig Gaukler, Richter und Galgenvögel waren.
Es war eine Zeit, in der Comics noch wild und ungezähmt waren. Wo Zeichner wie Jack Davis, Graham Ingels oder Al Feldstein mit spitzem Stift den Albträumen der Leser eine Form gaben. Ihre Panels trieften förmlich vor Atmosphäre – neblige Friedhöfe, schiefe Herrenhäuser, aufgerissene Gräber. Kein Detail war zu morbide, kein Ende zu grausam. Die Erzählungen waren kleine moralische Opern, in denen Ehebrecher, Gierhälse und Betrüger ihr verdientes Ende fanden – meist mit einem schaurigen Grinsen serviert.

Doch je größer die Fangemeinde, desto lauter wurden auch die Stimmen der Gegner. Der Psychiater Fredric Wertham beschuldigte Comics in seinem berüchtigten Buch Seduction of the Innocent (1954), für Jugendkriminalität verantwortlich zu sein. Tales from the Crypt war dabei das Lieblingsfeindbild. Die Bilder seien zu brutal, die Inhalte verderblich. Die öffentliche Empörung mündete in Anhörungen vor dem Senat und schließlich in der Einführung des Comics Code – ein Zensurkodex, der ECs Horrormärchen faktisch das Genick brach. Gaines’ Verlag überlebte nur, weil er auf das harmlose Mad Magazine umsattelte.

Doch das Grauen ließ sich nicht begraben. In den 1980ern und 90ern kam Tales from the Crypt wie ein Zombie aus dem Grab zurück. Zuerst in Form von Nachdrucken, dann als TV-Serie, produziert von niemand Geringerem als Hollywood-Größen wie Richard Donner und Robert Zemeckis. Die HBO-Serie bewahrte sich den zynischen Humor und die freche Atmosphäre der Comics, gab dem Crypt-Keeper ein latexenes Gesicht und eine krächzende Stimme – halb Stand-Up-Komiker, halb Leichenfledderer.
Heute haftet Tales from the Crypt ein nostalgischer Glanz an, der wie Staub auf einem alten Buchdeckel liegt. Man schlägt die vergilbten Seiten auf, sieht die krummen Zähne des Sensenmanns blitzen – und spürt ein wohliges Frösteln. Es war eine Zeit, in der Comics rebellisch, unbequem und gefährlich waren. Und wer als Kind heimlich mit der Taschenlampe unter der Decke las, der weiß: Der wahre Schrecken kommt nicht aus dem Dunkel. Er kommt von einem guten Geschichtenerzähler.
Und der wohnt – so heißt es – immer noch irgendwo dort unten in der Gruft.
Die Schatten hinter der Gruft

Wer einmal den schmierigen Blick des Crypt-Keepers erwidert hat, vergisst ihn nie. Sein grinsendes Totengesicht, halb Mumie, halb unheimlicher Hofnarr, war mehr als nur ein Maskottchen – er war das groteske Gesicht einer Subkultur, die sich genüsslich an der dunklen Seite der menschlichen Natur labte. Doch Tales from the Crypt war nie bloß Effekthascherei oder Grusel zur bloßen Unterhaltung. Die Geschichten waren fein gesponnene Spiegelbilder gesellschaftlicher Ängste, verpackt in Schauerromantik und satirischer Bissigkeit.
Hinter dem Glanz des Grauens standen Künstler mit Namen, die heute Legendenstatus genießen – Graham Ingels, von Fans als „Ghastly“ gefeiert, war berühmt für seine schwitzenden, fast lebendig wirkenden Untoten. Seine Panels wirkten, als wären sie mit Leichenwasser getränkt. Jack Davis hingegen brachte Geschwindigkeit und Cartoon-Dynamik in die Kadaver. Und Al Feldstein, der Redakteur und oft auch Autor, hatte ein untrügliches Gespür für den moralischen Bumerang – kein Verbrechen blieb ungesühnt, keine Untat unkommentiert. Sie alle schufen ein visuelles Gruselkabinett, das seine Leser nicht einfach erschreckte, sondern verführte.
Im Rückblick wirken die 1950er-Ausgaben von Tales from the Crypt wie morbide Zeitkapseln. Man erkennt darin die Paranoia des Kalten Krieges, die versteckten Ängste vor Entfremdung, Technik, dem Fremden allgemein – alles überdeckt von Blut, Spinnweben und schwarzem Humor. Das Übernatürliche war aber immer nur der Vorwand; die eigentlichen Monster waren meist menschlich.
Dass diese Geschichten ein Comeback feierten, ist kein Wunder – es lag förmlich in ihrer DNA. In den späten 1980ern, als sich das Fernsehen zunehmend traute, moralisch schlüpfrige Inhalte zu zeigen, wurde die TV-Adaption von Tales from the Crypt zu einem popkulturellen Ereignis. In satten Farben, mit glitzerndem Kunstblut und Stars wie Demi Moore, Arnold Schwarzenegger oder Tom Hanks (der sogar Regie führte), kam der EC-Geist auf neue Weise zurück. Erwachsene, die einst heimlich die Comics gelesen hatten, sahen sie nun mit einem Glas Wein auf HBO – noch immer mit einem Schauder, aber diesmal mit einem Augenzwinkern.

Was Tales from the Crypt so unsterblich macht, ist vielleicht genau dieses Spiel mit den Erwartungen. Keine Geschichte endete gut – zumindest nicht für die Figuren. Aber für die Leser oder Zuschauer lag darin ein perverses Vergnügen. Man konnte sicher sein: Wer sich schlecht verhielt, bekam die gerechte Strafe. Auf eine verdrehte, überzeichnete, groteske Art und Weise, ja – aber in einer Welt voller moralischer Grauzonen hatte Tales from the Crypt einen erschreckend klaren Kompass.
Heute ist die Reihe längst ein Teil des kollektiven Horrorgedächtnisses. Sie lebt weiter in Hommagen von Filmemachern wie Sam Raimi oder Guillermo del Toro, in modernen Comics, die sich dem Schauer verschreiben, und in der ikonischen Lache des Crypt-Keepers, die irgendwo im Hinterkopf kichert, wenn man nachts das Licht ausschaltet.
Denn eines hat uns Tales from the Crypt beigebracht: Man kann das Grauen unterdrücken, verbieten, zensieren – aber es findet immer einen Weg zurück. Und manchmal erzählt es dir noch eine Geschichte, bevor du einschläfst.
Die Geschichten, die unter die Haut kriechen: Legendäre Albträume aus der Gruft
Man erinnert sich selten an die genauen Panelverläufe oder Seitennummern – aber bestimmte Szenen, bestimmte Wendungen aus Tales from the Crypt brennen sich ins Gedächtnis wie der Schrei aus einem dunklen Keller. Sie sind moderne Moritaten, urbane Legenden in gezeichneter Form. Und einige von ihnen haben über Jahrzehnte hinweg nichts von ihrer Gänsehautwirkung verloren.
Da ist etwa die Geschichte „And All Through the House“ – ein Weihnachtsalptraum sondergleichen. Eine Frau erschlägt ihren Ehemann mit einem Schürhaken, während draußen ein verrückter Serienkiller im Santa-Kostüm entflohen ist. Während sie versucht, die Leiche ihres Mannes verschwinden zu lassen, klopft der blutige Nikolaus an die Tür – und ihre kleine Tochter lässt ihn arglos herein. Ironie, Blut und schwarzer Humor in Reinkultur. Diese Geschichte war so stark, dass sie gleich zweimal für die Leinwand adaptiert wurde: zuerst im Film Tales from the Crypt (1972), dann als Episode der HBO-Serie – beide Male ein Fest für Freunde des bitterbösen Twists.
Unvergessen auch „Reflection of Death“ – ein Mann verlässt seine Familie, um mit seiner Geliebten durchzubrennen. Auf der Flucht haben sie einen Autounfall, und als der Mann aufwacht, erkennt ihn niemand. Menschen schreien, wenn sie ihn sehen. Am Ende blickt er in einen Spiegel – und sieht einen halbverwesten Leichnam. Es war kein Traum. Er ist tot, ein wandelnder Kadaver, der nicht bemerkt hat, dass er längst gestorben ist. Ein meisterhafter Einsatz der Ich-Perspektive und ein Schockmoment, der Hitchcock stolz gemacht hätte.

Dann gibt es da noch „Poetic Justice“, vielleicht eine der menschlichsten – und grausamsten – Geschichten aus dem EC-Kanon. Zwei reiche Snobs wollen ihren alten, verwahrlosten Nachbarn, einen freundlichen Tierliebhaber und Ex-Bestatter, aus dem Viertel vertreiben. Sie greifen zu Intrigen, sorgen für den Verlust seiner Hunde und beschuldigen ihn fälschlich. Der Mann erhängt sich aus Trauer. Ein Jahr später kehrt er zurück – und bringt dem Sohn der Snobs zum Valentinstag sein noch pochendes Herz. Die Botschaft: Wer Böses sät, erntet poetische Gerechtigkeit. Diese Story war eine der bewegendsten und wurde mit Sir Peter Cushing in der 1972er-Verfilmung brillant interpretiert.
Diese Geschichten waren oft kurz, auf acht Seiten begrenzt, und doch gelang es den Autoren, mit wenigen Panels komplexe Emotionen zu erzeugen: Ekel, Angst, Schadenfreude – und Mitgefühl. In der knappen Struktur lag die Kunst: Jede Szene musste sitzen, jede Pointe traf wie ein Schuss aus dem Schatten.
Was sie alle verbindet, ist das moralische Rückgrat, das EC Comics – anders als ihre Kritiker behaupteten – durchaus hatten. In Tales from the Crypt wurde niemand grundlos ermordet. Fast immer waren es die Gierigen, die Grausamen, die Ungerechten, die am Ende dem Spatenstich der Gerechtigkeit begegneten. Nicht selten mit einem Reim vom Crypt-Keeper garniert – wie ein viktorianischer Totentanz.
Die Geschichten waren grausam, ja – aber auch ehrlich. Sie sprachen unbequeme Wahrheiten aus, verpackt in Gespenstergewand: Dass Reichtum nicht vor der Strafe schützt. Dass man seine Sünden nicht begraben kann. Dass das Gewissen manchmal der schlimmste aller Geister ist.