Wenn sich düstere Gassen im Nebel verlieren, Gangster mit mysteriöser Vergangenheit auf übernatürliche Mächte treffen und ein Raubzug zur Reise ins Herz einer verkommenen Stadt wird, dann ist man in Smoke City angekommen. Das zweiteilige Comicwerk mit dem gleichen Titel stammt von dem französischen Duo Mathieu Mariolle (Autor) und Benjamin Carré (Zeichner) und ist ein stilistisch wie erzählerisch markantes Werk des frankobelgischen Comics der späten 2000er Jahre.
Ein Coup mit doppeltem Boden

Die Geschichte beginnt wie ein klassischer Heist-Thriller: Die schöne und gefährliche Carmen, die inzwischen als Diebin gesucht wird, trommelt ihre alte Crew zusammen. Ihr Ziel ist ein spektakulärer Raub: Im Auftrag eines anonymen Kunstsammlers soll eine antike, geheimnisvolle Mumie aus einem schwer bewachten Museum gestohlen werden. Der Plan scheint zunächst wie ein Routinejob für Profis. Doch schnell wird deutlich, dass dieser Raub nur ein Teil eines größeren, unheimlicheren Spiels ist. Die Übergabe eskaliert und mündet in einem tödlichen Showdown. Die Wahrheit über den Auftraggeber, einen Mann namens Mr. Law, offenbart sich erst, als es für viele bereits zu spät ist.
Im Zentrum steht Cole, ein desillusionierter Ex-Gangster und Erzähler der Geschichte. Er fungiert als moralisches Gegengewicht zu Carmens kompromissloser Zielstrebigkeit und ermöglicht den Lesern einen introspektiven Zugang zur Geschichte.
Atmosphäre zwischen Rauch, Schuld und Schatten

Was „Smoke City” besonders macht, ist weniger die Krimihandlung als vielmehr die düstere, intensive Atmosphäre. Die titelgebende Stadt ist ein urbanes Labyrinth voller Dampf, Schatten und Halbweltgestalten – ein fiktiver Moloch, der irgendwo zwischen dem Chicago der Prohibitionszeit und einem cyberpunkartigen Noir-Schauplatz angesiedelt ist. Diese Stadt atmet Verfall, Korruption und Verlorenheit.
Benjamin Carré nutzt einen ungewöhnlichen visuellen Stil, der klassische Zeichnungen mit digitalen Techniken und Fotocollagen verbindet. Das Ergebnis ist ein überaus cineastisches Erlebnis: Weitwinkel, weiche Unschärfen, harte Lichtkontraste und realistisch wirkende Figuren verleihen dem Comic eine visuelle Schwere, die sich perfekt mit dem melancholisch-düsteren Tonfall der Geschichte ergänzt. Deutlich erkennbar ist Carrés Herkunft aus der Welt der Videospiele (u. a. Alone in the Dark IV): Das Storyboardhafte seiner Panels erinnert mehr an Filmszenen als an klassische Comics.
Zwischen Genre und Grenzgang
Obwohl der erste Band von „Smoke City” als konventionelle Kriminalgeschichte beginnt, sprengt der zweite Teil zunehmend die Grenzen des Genres. Der mysteriöse Mr. Law, der sich letztlich als sinistre, beinahe übermenschliche Figur entpuppt, verschiebt das Geschehen ins Fantastische. Die Realität beginnt zu bröckeln, Vergangenheit und Gegenwart verschwimmen und Schuld wird zu einer metaphysischen Währung. Die Stadt wird zum Spiegel der inneren Hölle ihrer Bewohner.

Damit positioniert sich „Smoke City” zwischen Werken wie „Sin City” von Frank Miller, „The Fade Out” von Ed Brubaker und stilistisch sogar „Blade Runner”. Der Comic verbindet klassische Noir-Motive – Femme fatale, gebrochene Männer, moralischer Verfall – mit übernatürlichen Elementen und einer gesellschaftlichen Dystopie.
Mathieu Mariolle, der bereits mit Serien wie Pixie und De Sang Froid auffiel, beweist mit Smoke City sein Gespür für Genre und Spannung. Die Dialoge sind knapp, lakonisch, oft zynisch – wie es sich für echte Noir-Literatur gehört. Gleichzeitig lässt er viel Raum für visuelles Erzählen.

Carrés Zeichnungen wurden von Kritikern einhellig gelobt – besonders in Comic-Hochburgen wie Frankreich und Spanien. Die französische Comicseite Planète BD bezeichnete die Bildsprache als „hypnotisch“, während die spanische Plattform Zona Negativa seine Arbeit als „schockierend kraftvoll und stilistisch einzigartig“ beschreibt.
Smoke City ist kein einfacher Comic – er fordert Aufmerksamkeit, gerade wegen seiner visuellen Komplexität und doppelbödigen Handlung. Doch wer sich auf das düstere Universum einlässt, wird mit einem ebenso stilistisch ambitionierten wie erzählerisch intensiven Werk belohnt. Es ist ein Comic, der seine Leser nicht nur unterhalten, sondern auch verstören will – und darin liegt seine Stärke.