Der Protagonist als Identifikationsfigur für Träumer und etwas verschrobene Gestalten, die nicht immer einsame Gelehrte sein müssen, um ihren Außenseiterstatus darzustellen; das ist es, was Michael Siefener in seiner 2006 bei Medusenblut erschienenen und jetzt bei Atlantis neu aufgelegten Novelle dem Leser zu bieten weiß.
Es kommt nicht von ungefähr, dass sich die besten Autoren phantastischer Erzählungen in ihren Protagonisten spiegeln, der an ihrer statt merkwürdige Ereignisse durchlebt oder untersucht. Und dann sind es wiederum die Leser, die in diesem Fall tatsächlich Idealleser sind, und die sich mit ähnlichen Träumen nicht nur der Hauptfigur, sondern auch dem Autor nahe fühlen. Durch diese Kommunikation entsteht etwas viel größeres, das über das Geschichtenerzählen hinaus geht und nicht selten einer Haltung entspricht. Phantastische Literatur ist ihrem Wesen nach intim, das Brausen der Welt, die Gegenwart sind hier völlig irrelevant.
Wenn Siefener Albert Moll (der eben genau das Gegenteil von Dur ist, wenn man das ganze musikalisch sehen will) seine Lieblingsautoren aufzählen lässt, festigt sich die Bindung zur Leserschaft allein dadurch, dass all diese Namen bei Liebhabern der Phantastik wohlvertraut sind. Sie stehen alle im Regal, weil keine ernstzunehmende Bibliothek ohne sie auch nur halbwegs vollständig wäre. An anderer Stelle spricht Moll davon, dass die phantastische Literatur bei ihm die Funktion der Religion übernommen habe, nachdem er als junger Mensch die Gedankenflucht, die er damit assoziiert, noch in der Kirche suchte, ohne dass er dem Gemurmel dort irgendeine Bedeutung abgewinnen konnte.
Auch wenn es nicht Teil der Geschichte ist, so liegt in dieser lapidaren und kurzen Aussage die ganze Aussage eines romantischen Geistes, der sich nach Unendlichkeit sehnt. Das Buch ist in Teilen eine Verteidigung des Eskapismus als lebensnotwendiges Prinzip sensibler Geister, und es kommt selten vor, dass dies so vehement vorgetragen wird.
Trotzdem hatte ich enorme Schwierigkeiten, das Buch zu lesen, obwohl ich einer naiven Sprachkunst keineswegs abgeneigt bin.
Der Rechtsanwalt Albert Moll reist mit dem Zug zu einem Klienten nach Fangenburg, um mit dem Grafen Roderick von Blankenstein dessen Testament auszuarbeiten. Der Graf hat nicht den besten Ruf im Dorf, denn er ist ein widerwärtiger Zeitgenosse, was Moll dann auch bald mitbekommen wird. Doch zunächst erfreut er sich an der Reise, die er mit der Lektüre von Stokers Dracula – seinem erklärten Lieblingsbuch – verbringt. Hier beginnen dann auch die Parallelen zu greifen, die in der ganzen Geschichte auftauchen, denn das Namedropping bekannter Autoren und ihrer famosen Geschichten ist kein Zufall, sondern das Prinzip, mit dem Siefener hier zu Werke geht. Das könnte bereits eine Erklärung für die folgenden Geschehnisse andeuten, die nicht selten darauf abzielt, dass Moll wahnsinnig sein könnte und zwischen seinen Fantasien und der Wirklichkeit nicht mehr zu unterscheiden weiß. Allerdings bleibt das nur eine der Möglichkeiten, die am Ende übrig sind, schließlich steht fest, dass er – der mit seinem Bruder die Kanzlei von seinem Vater übernommen hat – einer Intrige aufgesessen ist, die sich im Hintergrund von Wahn und Wirklichkeit abspielt und das eine oder das andere begünstigt.
Moll, der seine Geschäfte mit dem Grafen so schnell wie möglich hinter sich bringen will, wird von Sabine, die sich als Antiquarin vorstellt, dazu verleitet, nach einer „magischen Bibliothek“ im Schloss zu suchen. Sie hat angeblich Hinweise auf sensationelle okkulte Bücher, die dort irgendwo lagern müssen, vergessen von der Welt. Ein unvorstellbarer Wert für jemanden, der in seinen Lieblingsgeschichten immer wieder solche äußerst raren Stücke genannt bekommt.
Es ist zunächst einmal interessant, wie Siefener dem tollpatschigen und verträumten Moll auch eine unbeholfene Sprache zur Verfügung stellt; das beabsichtigte Traumhafte bleibt dadurch aber auf der Strecke. Vor allem die inflationären Selbstbefragungen, brechen den Fluss der Erzählung: „War es nicht nur ein Traum gewesen? Ein schöner Traum? Ein Albtraum? Was war mit Ilse los?“
Denn plötzlich hat es der bei Frauen wohl nicht gerade angesagte Moll mit zwei Damen zu tun, zwischen denen er emotional hin und her eilt. Gerade hat er Sabine noch auf dem Friedhof geküsst, schon ist er bereit, mit Ilse das Lager zu teilen, der Tochter des Wirts, bei dem er im Dorf ein Zimmer hat. Die Übergänge solcher Szenen, von denen es im Buch wimmelt, sind voller technischer Fehler, die Figurenzeichnungen banal. Das muss nicht immer etwas schlechtes sein, macht den Text aber zu einem, dem man ständig Sätze streichen und Anmerkungen zur Verbesserung an die Seite kritzeln möchte. Eigentlich Aufgabe eines Lektorats, das es heutzutage ohnehin nicht mehr zu geben scheint. Andererseits hätte man auch erwarten können, dass der Autor bei einer Neuveröffentlichung noch einmal Hand anlegt. Mit ein wenig investierter Arbeit hätte sich daraus vielleicht kein hervorragendes, so aber zumindest ein brauchbares Buch machen lassen.
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