Laura Purcell ist eine neue Stimme unter den jungen Autorinnen, die sich gerade daran machen, der Gothic Novel wieder neuen Atem einzuhauchen. Man erfährt von dem gegenwärtige Geschehen im Augenblick noch nicht allzu viel, vielleicht gerade deshalb, weil sich die einschlägigen Medien der Sache noch gar nicht angenommen haben und es gibt auch noch keinen spezifischen Verlag, der einen Vorstoß wagt und die New Wave of Gothic Novel ausruft. Alles scheint noch etwas vage beäugt zu werden, aber nach und nach tauchen immer mehr Töchter Jane Austens auf, eine davon jüngst im Festa-Verlag.
Laura Purcell ist eine dieser Anhängerinnen Jane Austens. Dazu muss allerdings gesagt werden, dass es jene gibt, die Jane Austen nur von den höflichen Komödienadaptionen im TV kennen, dadurch aber gerne ausblenden, dass es durchaus eine Seite an Austen gibt, die der Gothic Novel zugerechnet werden kann. Da scheint es fast schon selbstverständlich, dass moderne Autorinnen, die eine düstere Thematik bedienen, hier neben Daphne du Maurier ihren Markstein finden. Namentlich: Northhanger Abbey, das exemplarisch für die schiere Brandbreite der Schauerliteratur steht. Sie kann eine Satire mit Happy End sein, ein Abenteuer, das der Weird Fiction nahe steht, oder einfach nur Horror.
Wenn wir das Wort “Gothic” auf Literatur anwenden, beschreiben wir häufig eine Atmosphäre: etwas Unbehagliches, das unsere Grenzen der Wahrnehmung verwischt. Die Autoren sind dabei immer erfinderischer geworden. Die klassischen Tropen – etwa einer Heldin, die im Nachthemd über neblige Felder rennt – sind längst nicht mehr notwendig, um das Prädikat der Gothic Novel aufrecht zu erhalten. Es ist eine neue Riege von (vornehmlich) Autorinnen, die ihr Werk jetzt neben das von Susan Hill, Sarah Waters, Diane Setterfield und anderen stellt und dem Genre neues Leben einhaucht. Ihre Arbeit fordert die Wahrnehmung der Leser heraus, und lässt sie im Unklaren darüber, was sie glauben sollen. Eine Erzählung, die mit der Idee der Welt jenseits dessen, was wir sehen können, kokettiert, erhöht dann auch die Wahrscheinlichkeit, dass wir es mit einer modernen Gothic Novel zu tun haben.
Die besten Schauergeschichten kommen meist ohne eine der obligatorischen Monster aus; eine perfekte Handhabung von Mythen, Legenden und klassischen Motiven stampft ohnehin jeden Zombie oder Werwolf ein. Das liegt vor allem daran, dass wir Monster zwar interessant finden können, aber wissen, dass die Wahrscheinlichkeit, einem zu begegnen, eher gegen Null tendiert. Anders verhält es sich mit jenseitigen Welten, mit einer destabilen und unsicheren Realität. Eine Geschichte, in der “verhexte” Holzfiguren eine Rolle spielen, hat also ein ganz anderes Gewicht. Purcell gelingt es, ein Gefühl durchdringender Angst heraufzubeschwören, indem sie auf tiefenpsychologisch wirksame Artefakte setzt.
Die Bedrohung durch die stillen Gefährten
Dabei scheint die Prämisse des Romans gar nicht so vielversprechend zu sein:
Wir schreiben das Jahr 1865 im viktorianischen England. Nach einer harten Kindheit, in der sie den Tod ihres Vaters und den Abstieg ihrer Mutter in den Wahnsinn verkraften musste, hat Elsie endlich ihr Glück gefunden und ihre und die Zukunft ihres Bruders gesichert, indem sie den reichen Rupert Bainbridge heiratete, der bald nach der Hochzeit abreist, um ihr Anwesen auf dem Land, genannt The Bridge, für die Ankunft seiner neuen (und gerade schwangeren) Braut einzurichten. Nur wenige Wochen nach der Hochzeit kommt es jedoch zu einer Tragödie, als Rupert kurz nach seiner Ankunft auf The Bridge unter mysteriösen Umständen plötzlich stirbt. Die trauernde, verzweifelte Elsie trifft bald darauf selbst dort ein und muss schnell feststellen, dass die Dienerschaft sie von Anfang an nicht leiden kann und die Dorfbewohner The Bridge gleichermaßen hassen und fürchten.
In der ersten Nacht, in der sie sich in dem alten, verfallenen Herrenhaus einquartiert und nur Ruperts mehr als fade alte Cousine zur Gesellschaft hat, hört Elsie bizarre Kratzgeräusche, die aus einer Kammer über ihr kommen, und als sie der Sache nachgeht, entdeckt sie ein seltsames, großes Stück Holz, das bemalt und in die sehr realistisch aussehende, lebensgroße Figur eines jungen Mädchens geschnitten wurde – eines jungen Mädchens, das Elsie seltsamerweise sehr ähnlich sieht.
Außerdem entdeckt sie ein Tagebuch, das von der Vorbesitzerin des Hauses geschrieben wurde, in dem die Geschichte dieser und weiterer dieser “stillen Gefährten” geschildert wird. Dieser “stille Gefährte” wird schließlich als Verzierung am Fenster im Erdgeschoss neben dem Eingang des Hauses platziert, aber im Laufe der Zeit erkennt Elsie, dass seltsame Dinge passieren; die Figur verschiebt sich oder bewegt sich leicht im Laufe des Tages, ohne dass jemand im Haus zugibt, sie berührt zu haben, oder die Augen der Figur scheinen nicht in der Position zu sein, in der Elsie sie ursprünglich in Erinnerung hatte. Als immer mehr stille Gefährten im Haus auftauchen und einige der Figuren ein geradezu unheimliches Aussehen annehmen, wird Elsie klar, dass sie und ihr Baby in Gefahr sind und dass das, was in der Nacht rumort, in Wirklichkeit Holz sein könnte, das über den Boden schabt und hinter ihr her ist.
Der Roman wechselt nun zwischen den Ereignissen von 1865 und 1635, um eine haarsträubende Geschichte zu offenbaren, hat aber noch einen dritten Erzählstrang, mit dem das Buch in einer Irrenanstalt kurz nach den Ereignissen in The Bridge beginnt.Dort erfahren wir, dass eine schrecklich zugerichtete Elsie auf ihren Prozess wartet, um entweder weggesperrt oder wegen Mordes gehängt zu werden. Es ist gerade jener Erzählstrang, der das wirklich eiskalte Ende beinhaltet und die vorher offenbarte Geschichte noch einmal in einem anderen Licht erscheinen lässt.
Laura Purcell präsentiert in ihrem Debüt eine einzigartige Geistergeschichte mit allem, was dazu gehört: einer unheimlichen Atmosphäre und einem zerfallenden Anwesen. Das einzige Problem sind die Dialoge; sie treffen im Grunde nicht den Ton der Zeit, in der das Buch spielt. Hat man sich erst einmal an die unauthentische Ausdrucksweise gewöhnt, spielt das aber keine große Rolle mehr (und moderne Leser werden es ohnehin kaum merken).
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