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Jörg Kleudgen & Uwe Voehl: Arkheim (Goblin Press)

Jörg Kleudgen, dem die Goblin Press gehört, gab gemeinsam mit Uwe Voehl, einer anderen umtriebigen Größe, 2016 den Roman „Arkheim“ heraus. Nun ist das in unserem Metier mit Romanen so eine Sache, stellt hier aber keines der üblichen Probleme dar, denn man könnte Arkheim auch einfach nur als Kurzroman oder etwas längere Geschichte bezeichnen, die auf drei bereits von Uwe Voehl verfasste Erzählungen zurückgreift, die hier von Jörg Kleudgen einen Rahmen bekamen, wobei ich selbst nicht herausfand, wessen Hand für welche Passage zuständig war. Und so sollte es sein.

Eine mögliche Hürde tut sich auf, wenn man bedenkt, dass natürlich Lovecrafts Version von Salem, die er Arkham genannt hatte, hier die nach Deutschland transportierte Patenschaft andeutet. Im Verlauf der Lektüre wird jedoch schnell klar, dass diese imaginäre Hürde auch wirklich nur imaginär bleibt. Arkheim deutet vor allem auf die beabsichtigte und zu erwartende Atmosphäre hin. Arkheim selbst wird durch eine kleine Historie vorgestellt und bekommt dadurch seinen unabhängigen Charakter. Eine Siedlung namens „Argheym“ wird im elften Jahrhundert erstmals schriftlich erwähnt. Der Name bezog sich auf die Salzsümpfe, welche die Stadt noch heute umgeben. Das trifft genau auf Bad Salzuflen zu. Allerdings ist Bad Salzuflen natürlich nicht identisch mit Arkheim, aber solche Manöver festigen die Darstellungen. Im Hintergrund läuft die Existenz der realen Stadt stets mit, da gibt es nie auch nur einen Zweifel daran. Es ist ungefähr das gleiche Phänomen wie man es von in der Literatur dargestellten Figuren kennt. Als Autor arbeitet man die Biographien und Hintergründe so genau aus wie möglich, am besten anhand ganzer Genealogien. Umso detailreicher man vorgeht, desto lebendiger wird die Figur später sein, auch wenn man die meisten Informationen gar nicht in den Text einarbeitet. Später lesen wir in Semmelbachs Notizen noch mehr darüber. Arkheim = Heim der Arche. Und so werden wir mit einem besonderen Arche-Motiv konfrontiert, und dieses wiederum lässt sich erneut untergliedern:

„Der Duden spricht sogar davon, dass sich in bestimmten Mundarten das Wort Arche für Fischkasten erhalten habe!“

Das sind also die beiden zentralen Motive, und vorliegender Kurzroman ist der Webstuhl.

Und nun: Ist Dr. Lutz Semmelbach verrückt? Zumindest ist er verschwunden, und ob er Arkheim wirklich verlassen hat, bleibt ungeklärt. Spielt das überhaupt eine Rolle? Nein; im Grunde ist das nur der Aufhänger dafür, dass der Erzähler an seiner statt die Praxis auf „unbestimmte Zeit“ übernehmen kann. Er wird hier etwas über sich erfahren, das erschütternd ist und das natürlich mit Lovecrafts kosmischen Grauen liebäugelt, aber trotz der eindeutigen Referenzen alles anders macht.

Der Erzähler lässt uns wissen, dass er während des Glockengeläuts an Silvester um Punkt Mitternacht geboren wurde, und vermutlich deshalb die Gabe besitzt, die Krankheiten seiner Patienten wie ein abstraktes Gemälde zu sehen. Eine schuppige Wucherung an seiner Stirn macht ihn – im Stile Lovecrafts – zum Außenseiter. Die Bedeutung all dessen wird ihm allerdings erst zum Schluss klar.

Der Arzt lernt Arkheim als eine düstere, sterbende Stadt kennen, kaum jemand ist auf der Straße unterwegs, die meisten Geschäfte scheinen ständig geschlossen zu sein. Schleichend nehmen die Seltsamkeiten zu, sind aber zunächst nur unterschwellig bizarr. Das Haus Semmelbachs teilt er mit anderen Mietern, die er nie zu Gesicht bekommt (bis auf einen Herrn Schneck gegen Ende des Romans, wenn sich ohnehin alles fügt), dafür aber in der Nacht umso lauter hantieren hört. Es sind seltsame Geräusche, die allesamt auf Wasser zurückzuführen sind, die durch die Leitungen rauschen, blubbern und gurgeln. Der Connaisseur weiß natürlich, was das und der Fischgeruch zu bedeuten haben.

Eine der kleinen Raffinessen des Romans ist das Einweben eines fiktiven Buches, das die Autoren Alfred Kubin zuschreiben. Der Verfasser der „anderen Seite“ war sein ganzes Leben lang von der Auflösung besessen. Dieses Thema zieht sich bei ihm durch Briefe, Essays und Bilder. Bekanntlich hat er uns nur einen Roman hinterlassen und man mag als Leser kurz ins Stocken geraten, wenn der Erzähler in einem Antiquariat einen zweiten mit dem Titel „Der Fall des N.“ aufstöbert. Er handelt von einem Mann, der Nacht für Nacht von einer düsteren Stadt träumt. Das ist nicht nur äußerst passend in Bezug auf Arkham, sondern greift in die Handlung selbst ein.

Der grundsätzliche Makel des Romans Arkheim mag vielleicht der Protagonist selbst sein, stoisch nimmt er seine bizarren Entdeckungen hin. Der Erzähler dringt nicht so richtig zu uns durch, wirkt selbst kalt wie ein Fisch oder zumindest doch sehr gedämpft. Seine Erlebnisse sind stimmungsvoll, aber sie bewirken sehr wenig, bis zum Ende alles ineinander greift. Möglicherweise wäre das anders, wenn die Geschichte sich nicht in der Ich-Perspektive abrollen würde, wobei ich sagen muss, dass ich gerade diese Erzählhaltung bevorzuge.

Trotzdem ist Arkheim ein schönes Schaustück dafür, wie man Referenzen erweist, aber nicht in Anbetung verfällt, wie so viele Neu-Autoren, die sich eines solchen Stoffes in Ermangelung eigener Fantasie bedienen und damit nur scheitern können. Kleudgen und Voehl funktionieren hier als Duo, über die liebevolle Aufmachung des Buches (mit Stadtplan und zwei Klappbildern) gibt es ohnehin nichts zu meckern. Den Status einer Perle haben die Bücher aus der Goblin Press ohnehin ein jedes Mal.


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