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Interview mit Thomas Ligotti

Interview geführt von Matt Cardin, Juli 2006, Erschienen in The Teeming Brain und in The New York Review of Science Fiction, Issue 218, Vol. 19, No. 2 (October 2006). Gedruckt erschienen in Matt Cardin: Born to Fear (Interviews mit Thomas Ligotti)

Übersetzt von Michael Perkampus, mit freundlicher Genehmigung von Matt Cardin.

Anmerkung: Dieses Interview übersetzte ich im Dezember 2014, als ich begann, unter einer ähnlichen Problematik zu leiden wie Thomas Ligotti. Im Grunde war es für mich eine Art Trostpflaster. Daraus resultierte dann das Magazin PHANTASTIKON.

MC: Vielen Dank, dass du dir Zeit genommen hast, Tom. Fangen wir doch mit ein paar Fragen zu deinen Schreibgewohnheiten an. Das ist ein Thema, das mich schon immer interessiert hat.

Du schreibst jetzt seit drei Jahrzehnten. Ich weiß, dass der Prozess des Schreibens für dich immer anstrengend, schmerzhaft oder beides war. Du hast mehrfach gesagt, dass du zu den Schriftstellern gehörst, die das Ergebnis mehr schätzen als das Schreiben selbst. Mehr als einmal wolltest du aufhören, nur um etwas zu haben, zu dem du zurückkehren konntest. Was genau ist das? Was ist es, dem du dich nicht entziehen kannst, wenn sich ein neues Projekt ankündigt? Natürlich interessiert mich auch, wie sich dein Schreibprozess im Laufe der Jahre verändert hat.

TL: Das wird eine langweilige Antwort, weil ich dazu nichts Literarisches zu sagen habe. Es ist alles eine Frage meiner persönlichen Erkrankung. In den späten siebziger und achtziger Jahren fiel mir das Schreiben nicht schwer. Es gab eine Zeit, von 1975 bis 1979, in der ich zusätzlich zu meiner Panik- und Angststörung schwer depressiv war. Jeder Tag war grau. Jeder einzelne Tag. Ich dachte, mein Leben sei zu Ende. Aber ich war jung, und in dieser Phase begann ich ernsthaft zu schreiben. Die Jahre vergingen und ich schrieb eine schlechte Geschichte nach der anderen. Dann schrieb ich „The Last Feast of Herlequin“. Der Protagonist dieser Geschichte ist depressiv. Sie war wirklich sehr schlecht, aber nicht so schlecht, dass ich sie vernichten wollte. Ich legte sie in eine alte Bierkiste, die ich zum Archivieren meiner Schriften benutze. Jedes Mal, wenn ich sie überflog, überlegte ich, wie ich das Gute vom Schlechten trennen könnte.

In der Zwischenzeit begann ich, Geschichten zu schreiben, die in Zeitschriften mit geringer Auflage veröffentlicht wurden. Es dauerte mehr als zehn Jahre, nachdem ich „Last Feast“ geschrieben hatte, bis ich endlich in der Lage war, diese eine Geschichte zu überarbeiten. Etwa zu dieser Zeit entwickelte ich aufgrund des Stresses, unter dem ich stand, ein Reizdarmsyndrom. Ich wälzte mich unter Darmkrämpfen auf dem Boden der Notaufnahme. Wer das lustig findet, der sollte mal seinen Arzt danach fragen.

Dies und meine fortschreitende Panikstörung in Verbindung mit dem Älterwerden machten meine Arbeit zu einem echten Kampf. So entstand der Zyklus „Teatro Grottesco“. Ich hatte noch andere Geschichten, die ich schreiben wollte, also schrieb ich sie. Aber jedes Mal, wenn ich schrieb, endete es in einem Zustand extremer Erregung und meine Eingeweide waren kurz davor, mich umzubringen. 1991 beschloss ich, mit dem Schreiben aufzuhören. Irgendwas musste ich aber tun, also begann ich Gitarre zu spielen: Sachen aus meiner Jugend, Sachen aus den 70ern. Ich dachte, das wäre viel weniger anstrengend.

Ich wurde ein richtiger Streber, stellte aber fest, dass es eben doch nicht leichter war als zu schreiben.

Es war etwa 1993, als das Unternehmen, für das ich arbeitete, eine Umstrukturierung durchmachte. Ich erinnere mich an diese Jahre als eine Zeit, in der die Menschen, die in Büros arbeiteten, ihr Potenzial als Arschlöcher entdeckten. Diese Umstrukturierung mit ihren eklatanten Dummheiten und ihrer „Körperfresser-Mentalität“ (hier im Original: Pod-People-Mentalität, zurückgehend auf „Invasion of the Body Snatchers“) störte mich so sehr, dass ich die Geschichte „The Nightmare Network“ schrieb. Ich begann wieder zu schreiben und spielte obendrein weiter Gitarre.

Aber die Arbeitssituation blieb angespannt.
Also habe ich mit „I Have A Special Plan For This World“ eine weitere Wirtschaftshorrorgeschichte geschrieben.

Meine Mitarbeiter befürchteten schon, ich würde durchdrehen und Amok laufen. Aber so weit war ich noch nicht, jedenfalls nicht vor dem Jahr 2000. Aber dann wurde ich von Gewaltfantasien beherrscht. Das war der Auslöser für „My Work Is Not Yet Done“. Ich versuchte, den Geschichten etwas mehr Bedeutung zu geben als nur Rache, worüber es sich nicht zu schreiben lohnt. Ich habe dann noch zwei weitere Wirtschaftshorrorgeschichten geschrieben. Meine Geschichten als solche zu bezeichnen, ist meine Art, die Wahrnehmung meiner Leser auf einen Punkt zu fokussieren, und ich hoffe, dass sie mehr sind als nur Horrorgeschichten aus dem Arbeitsleben.

„I Have A Special Plan For This World“ spielt zwar im Wirtschaftsmilieu, aber wie bei meinen anderen Wirtschaftshorrorgeschichten hatte ich eine breitere Perspektive im Sinn, vor allem in Bezug auf Dinge, die mir wichtig sind: Vor allem das Fiasko und der Alptraum der menschlichen Existenz. Das Gefühl, Marionetten von Kräften zu sein, die man nicht verstehen kann, und so weiter. Diese Themen treten natürlich dann in den Vordergrund, wenn ich selbst intensive und unangenehme Episoden durchlebe. Der Schmerz ist meine Muse, könnte man sagen.

Bis 2001 war mein psychischer Zustand der einer bipolaren Depression. Im Jahr 2002 wurde sie für einen Monat von einer hypomanischen Phase unterbrochen.

In dieser Zeit schrieb ich zwei weitere Geschichten: „Purity“ und „The Town Manager“, die aus meiner Wut über die sozialen und politischen Entwicklungen in Amerika zu dieser Zeit entstanden. Die wenigen Sachen, die ich seitdem geschrieben habe, sind in so einer hypomanischen Phase entstanden, gegen die ich jetzt Medikamente nehme, zusätzlich zu dem anderen Zeug, das ich sowieso schon schlucke. Ich glaube also, es gibt ein nachvollziehbares Muster, das mich zum Schreiben treibt, nämlich Hass und Schmerz. Beides dient als Sprungbrett für die Themen meiner Geschichten. Ich hoffe, dass es mir auf diese Weise gelingt, meine momentane Existenz zu transzendieren und meine Einstellung dazu mitzuteilen. Das mag den Leser interessieren oder auch nicht, aber es ist der eigentliche Grund, warum ich schreibe.

MC: Hat dir das Schreiben jemals Spaß gemacht? Du hast mal gesagt, als du angefangen hast, hat es dich high gemacht, wie die Drogen, die du genommen hast, nur ohne die negativen Nebenwirkungen. Ist das immer noch so? Oder ist es heute eher ein Ventil für negativen inneren Druck? Oder vielleicht beides?

TL: Das Schreiben hat mir immer mehr Befriedigung als Freude bereitet. Die Planung einer Geschichte hat mir immer mehr Spaß gemacht als das Schreiben selbst. Wenn eine Geschichte noch nicht geschrieben ist, gibt es unendlich viele Möglichkeiten. Ich versuche, die Elemente nicht zu schnell auszuarbeiten, denn jede fixe Idee, jede Figur, jede Einstellung usw. zerstört nach und nach diese Möglichkeiten. Weil es diesen Effekt gibt, habe ich die Figuren in „My Work Is Not Yet Done“ zunächst anders skizziert, als sie später in der Geschichte agieren.

MC: Viele moderne Pop-Autoren wiederholen immer wieder die alte Leier, dass zuerst die Geschichte kommt. Ich glaube, Stephen King hat das sehr oft gesagt. Viele Schriftsteller stimmen dem zu. „Für mich“, hat Bernard Malamud einmal gesagt, „zählt die Geschichte, die Geschichte, und nichts als die Geschichte“.

Ich erinnere mich, dass du in der Vergangenheit, wenn du auf das fast völlige Fehlen von Handlung in deinen Geschichten angesprochen wurdest, geantwortet hast, dass du nie verstanden hättest, wovon deine Leser sprechen; du hast immer gedacht, dass in deinen Geschichten genauso viel Handlung steckt wie in allen anderen. Wenn ich an deine vielen kurzen impressionistischen – oder auch offen experimentellen – Stücke denke, wie zum Beispiel „Notes on the Writing of Horror“, aber auch „Ghost Stories For The Dead“, in denen eine beängstigende philosophische Spekulation im Vordergrund steht und die eigentliche Geschichte – oder der Plot – fast unterschwellig daherkommt, dann verstehe ich persönlich schon, welche Fragen sich deine vielen Leser stellen. Und ich glaube nicht, dass es ein Nachteil ist, wenn die Handlung zweitrangig ist. Ich glaube, dass all diese Schriftsteller, die eine universelle Lösung anbieten, die auf „die Geschichte zuerst“ basiert, von ihren persönlichen Vorlieben sprechen. Wahrscheinlich sind sie selbst diese Art von Lesern, die in Geschichten schwelgen, und wenn sie dann ihre eigenen schreiben, ist das ihre Herangehensweise. Wie denkst du darüber?

Dem stimme ich zu. Es scheint mir natürlich, dass Leute, die Geschichten mögen, wenn sie Schriftsteller sind, auch Geschichten schreiben. Was mich betrifft, so interessieren mich Geschichten, die nur Geschichten sind, nicht. Ihnen fehlt etwas. Was mir fehlt, ist die Anwesenheit des Autors, oder genauer gesagt, das Bewusstsein des Autors. In den meisten Romanen befindet sich der Autor in einem Raum zwischen den Figuren und dem Schauplatz, aber ich möchte, dass der Autor im Vordergrund steht und alles andere im Hintergrund bleibt.

Abgesehen von den Geschichten, die du erwähnt hast, glaube ich, dass meine Erzählungen Geschichten im Überfluss enthalten. Aber das sind nur Vorwände, Garderoben, an die ich das hänge, was mir wirklich wichtig ist, und das ist meine eigene Sensibilität. Das ist alles.

Die meisten Autoren beobachten gerne andere Menschen und sind zufrieden mit dem Leben, das sie vorfinden. Dann machen sie daraus eine Geschichte. Sie interessieren sich wirklich für die Welt um sie herum. Das kann ich nicht. Mich interessiert nicht, wie die Leute ticken, oder wie Sherlock Holmes sagte: Ich sehe es, aber ich beachte es nicht. Es erscheint mir trivial und sinnlos, auf solche Dinge aufmerksam zu machen. Das physische Universum interessiert mich nicht mehr. Die rhetorische Verzückung der Wissenschaftler beeindruckt mich nicht im Geringsten. Ich verstehe nicht, warum sich jemand dafür interessieren sollte, wie das Universum begann, wie es funktioniert und wie es enden wird. Das ist so trivial und nutzlos. Im Gegensatz dazu bewundere ich Schriftsteller, die ihre Geschichten gut erzählen können, oder Menschen, die eine Fremdsprache beherrschen oder ein Instrument wirklich virtuos spielen. Aber das heißt nicht, dass ich ihre Geschichten lesen, ihre Musik hören oder ihre Musik machen will. Wie Morrissey in dem Smiths-Song „Panic“ sagt: „Weil die Musik, die sie die ganze Zeit laufen lassen, mir nichts über mein Leben erzählt“.

Die Werke von Schriftstellern wie Malamud, Wiliam Styron, Saul Below sagen mir nicht nur nichts über mein Leben, sie sagen mir auch nichts über das, was ich selbst erlebt habe, oder über meine Gedanken über das Leben. Dagegen sagen mir Schriftsteller wie Jorge Luis Borges, H. P. Lovecraft und Thomas Bernhard sehr viel über mich und das Leben im Allgemeinen, wie ich es auch erfahren habe. Ich kann an ihrem Werk teilhaben, weil sie genauso gedacht und gefühlt haben müssen wie ich. William Burroughs hat einmal gesagt, die Arbeit eines Schriftstellers bestehe darin, dem Leser zu zeigen, was er weiß, aber nicht weiß, dass er es weiß. Aber um das zu tun, müssen sie dem Wissen sehr nahe sein, sonst wollen sie es nicht wissen, auch wenn sie es sehen.

MC: Wie wichtig ist dir die poetische Qualität deiner Prosa? Ich meine den Rhythmus der Sätze, den Klang und all das. Ich erinnere mich an Raymond Carver, der sich an seine Zeit als Schüler von John Gardner erinnerte. Gardner hatte seine Prosa mühsam Zeile für Zeile analysiert und Wert darauf gelegt, dass er sie wie ein Gedicht skandieren konnte. Hast auch du ein Auge und ein Ohr dafür, solche Effekte durch kunstvolle Sprachtechniken zu erzeugen? Oder kommt es dir mehr auf die Grundstimmung an?

TL: Sofern ich nicht den Stil eines Schriftstellers wie Bruno Schulz oder Thomas Bernard imitiere, folge ich dem Ton, den ich im Kopf habe. Er gibt mir den Rhythmus und die Geschwindigkeit vor, die ich haben möchte, und bereitet die Geschichte für die Aufnahme aller Elemente vor, die ich verwenden möchte, hauptsächlich Metaphern.

Ich kann mir nicht vorstellen, einen anderen Schriftsteller auf diese Weise zu studieren, aber Gardner war ein Gelehrter der mittelenglischen Literatur. Für Carver, der eine Art Blankvers geschrieben hat, war das wahrscheinlich sinnvoll. Das Problem, wenn man zu sehr darauf achtet, wie das Werk im Englischen klingt, ist, dass man keinen Einfluss darauf hat, wie es in der Übersetzung klingt. Es mag sich exzentrisch anhören, aber in einer frühen Phase meines Schreibens wurde mir klar, dass bestimmte Wortspiele in einer anderen Sprache nicht funktionieren würden. Das habe ich aus meiner Begeisterung für Vladimir Nabokov gelernt. Also habe ich aufgehört, zu viele dieser Wortspiele zu verwenden. Das ist schwierig, weil mir Wortspiele ganz natürlich in den Sinn kommen.

Das Problem ist: Wenn ein Wortspiel den Leser nicht erreicht, ist es Zeitverschwendung. Ich habe die Doppeldeutigkeiten und vielsprachigen Wortspiele in vielen von Nabokovs Büchern analysiert, und es ist nicht das, was ihn als Schriftsteller auszeichnet. Was ihn interessant macht, ist seine eigenwillige Persönlichkeit, seine Besessenheit vom Tod, vom Bösen, vom Verlust und von all den üblen Dingen, die das Wesen der Literatur ausmachen, die aber bei Nabokov besonders ausgeprägt sind.

MC: Ich erinnere mich aus früheren Interviews, dass du durch Shirley Jackson, Edgar Allan Poe, Arthur Machen und H. P. Lovecraft zur Horrorliteratur gekommen bist. Glaubst du, dass diese ersten Leseerfahrungen einen Einfluss darauf hatten, was du später schreiben wolltest? Ich meine nicht so sehr den Inhalt, sondern den auktorialen Ansatz. Ich weiß, dass dein Zusammenbruch mit 17 die emotionale und philosophische Grundlage für deine Erzählungen bildet. Aber im Zusammenhang mit der Frage nach Handlung und Plot weiter oben frage ich mich, ob du glaubst, dass dein stilistischer Ansatz durch deine Leseerfahrungen beeinflusst wurde.

TL: Shirley Jackson gehört nicht dazu. Ich habe „The Haunting Of Hill House“ gelesen, weil ich den Film mochte. Das war zu einer Zeit, als man Filme nicht immer sehen konnte, wann man wollte. Also las ich den Roman, als ich zufällig darauf stieß und nichts Besseres zu tun hatte. Das hat mich nicht dazu gebracht, über ähnliche Dinge zu schreiben, aber es hat in mir den Wunsch geweckt, andere Werke der Horrorliteratur kennen zu lernen, obwohl ich damals nicht einmal wusste, dass es sie gab. Das einzige, was ich damals las, waren die Geschichten von Sherlock Holmes. Ich mochte sie, weil ich mich mit Holmes‘ Neurosen identifizieren konnte, und natürlich auch, weil er Drogen nahm. Der nächste Horrorautor, den ich las, war Arthur Machen, der über ein ganz ähnliches Milieu schrieb wie Conan Doyle: neblige Londoner Straßen, unheimliche Landschaften. Dann las ich zum ersten Mal Poe und Lovecraft und fand in ihren Texten etwas, das ich gar nicht zu suchen gedachte: Autoren, die sich auf jeder Seite ihres Werks offenbarten, die einerseits wie persönliche Essayisten und andererseits wie lyrische Dichter schrieben. Alle Schriftsteller, die ich bewunderte, schrieben so. Ich sage „schrieben“, weil sie heute alle tot sind. Für mich gibt es keine andere Art von Schriftsteller.

MC: Bist du beim Schreiben schon einmal in einer Geschichte stecken geblieben? So dass du nicht mehr wusstest, wie es weitergehen soll?

TL: Nein, ich bin noch nie stecken geblieben. Ich weiß immer genug über die Geschichte, die ich schreiben will, und habe den nötigen Enthusiasmus, um mit dem Schreiben zu beginnen. Ich denke darüber nach, mache mir viele Notizen, frage mich, ob etwas fehlt oder ob etwas zu viel ist. Ich zermartere mir das Hirn, um die Idee der Geschichte so weit wie möglich voranzutreiben. Während des Schreibens kommen mir meistens bessere Ideen als ursprünglich geplant. Wäre das nicht der Fall, wären die Geschichten wahrscheinlich nur mittelmäßig, so wie einige meiner Geschichten sind. Es ist nicht möglich, alles im Voraus zu planen. Ich vertraue auf meine Fähigkeiten, und das hat bisher immer funktioniert.+

MC: Das bringt mich zu einer anderen, aber verwandten Frage: Hattest du schon einmal eine Schreibblockade? Damit meine ich nicht, einfach mittendrin stecken zu bleiben. Was ich meine, beschreibt Thom Gunn am besten: „Es gibt Zeiten, da bist du unfruchtbar, das heißt, die Worte bedeuten gar nichts. Die Worte sind da, die Dinge der Welt sind da, du bist an ihnen interessiert wie immer, und theoretisch könntest du sie zum Thema deiner Gedichte machen, aber du kannst einfach nicht schreiben. Du kannst dich hinsetzen, eine gute Idee für ein Gedicht haben, aber es kommt nichts dabei heraus. Es ist, als ob der Welt das Licht fehlt. Es ist eine Welt ohne Worte und irgendwie eine leere und ziemlich sterile Welt. Ich weiß nicht, woran das liegt, aber es ist sehr schmerzhaft.

TL: Wann immer ich etwas schreiben wollte, habe ich es getan. Das Problem für mich ist nicht die Fähigkeit zu schreiben, sondern dass ich mich nicht darum kümmere, zu schreiben … oder überhaupt etwas zu schreiben. Im Zustand der Anhedonie (Zustand der Freudlosigkeit, ähnlich der Depression) offenbart alles seine „wahre“ Sinnlosigkeit und Nichtigkeit. Wir könnten uns über das Wort „wahr“ streiten, aber dann könnten wir uns auch über spirituelle Traditionen streiten, wie den Buddhismus, der auch zu nichts taugt, schon gar nicht zum Schreiben von Kurzgeschichten. Der Buddhismus ist nicht mein Ausgangspunkt, aber ich befinde mich an einem ähnlichen Ort. Ich bin losgelöst von allem um mich herum. Irgendetwas zu tun, scheint einfach dumm zu sein, was es meiner Meinung nach auch ist. Das ist die Lehre der Anhedonie, ein Zustand extremer Rationalität. In dem Moment, in dem du dich entscheidest, etwas zu tun, bist du in einem Stadium der Irrationalität. Ohne diese Irrationalität besteht das Leben nur aus Zahlen: wie lange, wie viel, wie weit. Emotionen geben unserem Leben einen illusorischen Sinn. Dieser Sinn ist ein Motivator, der uns glauben lässt, dass etwas wichtig ist, auch wenn es das nicht ist. Emotionen sind der Motor, um ein sinnloses Leben zu leben.

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Emotionen sind der Motor, um ein sinnloses Leben zu leben.

Aber ich habe nicht das Gefühl, dass Anhedonie so schmerzhaft ist, wie Thom Gunn es von einer Schreibblockade sagt. Das heißt, ich werde nicht dadurch gequält, dass ich schreiben will und nicht kann. Anhedonie ist auch als „melancholische Depression“ bekannt und als solche durchaus schmerzhaft, aber dieser Schmerz hat nichts mit der Unfähigkeit zu tun, auf etwas Emotionales zu reagieren. Der Anhedone kann nicht einmal verstehen, dass er seine Gefühle zurückhaben will, denn auch das erscheint ihm dumm, leer und sinnlos. Er will nur den Schmerz beenden. Aber auch Selbstmord erscheint sinnlos. Dazu müsste man die emotionale Energie aufbringen zu glauben, dass es auf der anderen Seite etwas Besseres gibt. Nur dann könnte man sich den Selbstmord als Erlösung vorstellen. Ich weiß, dass das alles für Nicht-Anhedoniker schwer zu verstehen ist. Ich kann nur sagen, es ist wie blind, taub, stumm und völlig gelähmt zu sein, aber diese Vergleiche führen zu nichts, wenn man es nicht erleben kann. So schlimm eine Anhedonie auch sein mag, sie ist nichts im Vergleich zu einer Panikstörung. So, genug gejammert über meine Krankheiten. Jeder hat sein Päckchen zu tragen.

Dann kommen wir zu anderen Fragen. Lass mich dazu nur sagen, dass Du das Thema Angststörung in Deinen Arbeiten wunderbar umgesetzt hast, indem Du diesen schrecklichen Zustand, diese erschreckende Sicht auf die Realität zu charakterisieren vermochtest.

Aber fahren wir fort: Seit gut einem Jahr arbeitest du an deinem Opus magnum, „The Conspiracy Against the Human Race“.

Ich erinnere mich an einige Ideen, die du in dem ausgezeichneten Interview, das Neddal Ayad letztes Jahr mit dir für „Fantastic Metroloplis“ geführt hat, erläutert hast. Du wurdest von einigen Leuten auf Internetplattformen dafür kritisiert, dass du deine persönlichen Ansichten, die angeblich Pauschalurteilen gleichkommen, in den Vordergrund stellst.

Um es genauer zu sagen: Kritisiert wurde dein Vergleich zwischen Lovecraft und Shakespeare – und dass du Lovecraft für den besseren der beiden hältst. Du hast nämlich gesagt: „Für Lovecraft, im Gegensatz zu Shakespeare, besteht die Offenbarung des Lebens darin, dass es die Erzählung eines Idioten ist. Es ist nicht nur ein Lippenbekenntnis, wenn er dies als eine offensichtliche Tatsache des Lebens darstellt. Das ist der Kern seiner Arbeit.

Du hast mir auch erzählt, dass ein Bekannter von dir, der den Entwurf von „Die Verschwörung“ gelesen hat, mit der düsteren und hoffnungslosen Diagnose, die du dem Leben stellst, nicht zurechtgekommen ist. Über die Art und Weise, wie du über die Welt sprichst, wie sie ist, wie sie sein sollte, als wäre das die objektive Wahrheit.

Würdest du dazu etwas sagen, vielleicht um das Bild zurechtzurücken?

TL: Nun, ich habe nie behauptet, dass Lovecraft ein besserer Schriftsteller war als die „Honigzunge“ Shakespeare, wie ihn ein Zeitgenosse nannte. Aber Shakespeare war ein Dramatiker. Heute wäre er einer jener Autoren, von denen ich vorhin gesprochen habe. Seine Figuren sagen Dinge, die mir gefallen, und sie drücken sich gut aus, aber es ist nicht Shakespeares Stimme. Das düstere Geschwätz Hamlets ist Girolamo Cardanos „De Consolatione“ entnommen, das auch als „Hamlets Buch“ bekannt ist. Ich weiß nicht, wer Shakespeare war, und ich kann nichts über sein Werk sagen. Aber bei Lovecraft kann man an seinen Ideen erkennen, wer er war, deshalb fühle ich mich ihm näher. Den meisten Lesern wird das egal sein, sie wollen nur aus ihrer eigenen Welt entfliehen und wollen, dass diese Romanwelt die ihre ist. Sie wollen über Dinge lesen, die sie verstehen. Shakespeare hat nichts geschrieben, was nicht auch der Phantasieloseste verstehen könnte. Es sind Seifenopern und romantische Komödien. Das ist genau das, was die Leute heute mögen. Lovecraft hat nicht für dieses Publikum geschrieben. Er schrieb für die wenigen Aufgeschlossenen, nicht für die fröhliche Masse.

Was mein im Unabomber-Stil verfasstes Essay „The Conspiracy“ betrifft, ist es weder ein philosophisches Werk noch mein Opus Magnum.

(Anmerkung des Übersetzers: Der ‚Unabomber-Stil‘ bezieht sich auf das Unabomber Manifsto von Ted Kaczynski, einem amerikanischen Mathematiker, der mehrere Menschen anhand von Briefbomben tötete. Das FBI nutze den Begriff UNAMBOMB als Kürzel für UNiversity & Airline BOMBer. Der Text des Manifests richtet sich hauptsächlich gegen die Industrialisierung und Technisierung der Welt und wurde in einer philosophischen Sprache verfasst. Es gibt hierzu einen hervorragenden Bericht von Lutz Dammbeck.)

Das Buch ist vielmehr ein Zusammenspiel von Ideen, die ich mein ganzes Leben lang verfolgt habe, mit Ideen, die andere hatten und die sich mit meinen decken. Der Widerspruch, den manche darin sehen wollen, zwischen dem, was ich denke, und dem, wie ich es ausdrücke, rührt daher, dass sie es nicht wissen können. Für mich gibt es diesen Widerspruch nicht. Ich könnte wahrscheinlich nicht über etwas schreiben, das nicht meine tiefe Abneigung gegen alles, was existiert, widerspiegelt, und das lege ich meinen Figuren in den Mund. Als ob das, was für mich wahr ist, auch wirklich wahr wäre. Das ist ein häufig verwendetes Mittel in privaten Essays. Wenn ich nicht glauben würde, dass meine Gedanken richtig sind, würde ich so lange suchen, bis ich von ihrer Richtigkeit überzeugt bin. Selbst manche Wissenschaftler, denen man schlüssig nachweisen kann, dass sie sich geirrt haben, halten an ihrer falschen Sichtweise fest. Das ist eines der Hauptthemen von „Die Verschwörung“. Die Wahrheit funktioniert in einem sehr kleinen, immer selbstreflektierenden Rahmen. Drei Dinge von etwas sind immer mehr als zwei Dinge von etwas. Manche Menschen glauben, dass Gott existiert, weil es in einem Buch steht. Sie glauben, dass das Buch die Wahrheit sagt, weil viele Leute glauben, dass es Gottes Wort ist. Und sie mögen, was in dem Buch steht. Das ist das Wichtigste. Wenn es ihnen nicht gefallen würde, würden sie nicht daran glauben. Ich denke, das ist das Problem mit „Die Verschwörung“. Den Lesern gefiel nicht alles, was drin stand. Und sie mochten die Vorstellung nicht, dass jemand, den sie mögen, so ein Buch schreibt. Das ist ungefähr so beunruhigend, als würde man herausfinden, dass sein bester Freund ein Serienmörder ist, der mit Vorliebe die Gehirne kleiner Kinder isst.

In diesem Essay geht es vor allem um die Unfähigkeit der Menschen, mit unangenehmen Wahrheiten umzugehen – und welche Wahrheiten das sind. Wir neigen dazu, nicht darüber nachzudenken, wie diese Dinge unser Leben beeinflussen. Aber genau das macht mich aus. Wenn ich das nicht täte, wäre ich in einem noch schlechteren Zustand, als ich ohnehin schon bin. Ohne Zweifel würde ich dieses Interview nicht geben. Ich hätte auch nicht „The Conspiracy“ geschrieben. Wenn mir jemand sagt, ich sei dumm und auf dem Holzweg, habe ich nichts zu antworten, außer vielleicht: „Das bin ich nicht“. Es ist wirklich eine Qual, in einer Welt zu leben, in der es Leute gibt, mich eingeschlossen, die nicht aufhören können zu denken.

MC: Dann vielleicht etwas leichtere Kost, wenn das in Ordnung ist. Kürzlich gab es Gerüchte über eine geplante Comic-Serie, die auf „Nightmare Factory“ basiert. Das war eine schöne Überraschung. Kannst du etwas dazu sagen?

TL: Nein, kann ich nicht. Ich weiß nicht mehr als jeder andere, der die Werbung gelesen hat. Fox Atomic, das Filmstudio, das diese Comics in Zusammenarbeit mit Harper-Collins macht, hat mich nicht in das Projekt einbezogen, das auf The Nightmare Factory basiert.

MC: Während wir hier sprechen, befindet sich der Kurzfilm zu deiner Geschichte „The Frolic“ in der Postproduktion. Ich habe gehört, dass du sehr zufrieden bist mit dem, was du gesehen hast. Kannst du uns mehr darüber erzählen?

TL: Das letzte, was ich von der Produzentin Jane Kosek gehört habe, ist, dass sie den Hauptverantwortlichen von Fox Atomic kontaktiert hat. Er will den Kurzfilm zusammen mit dem Drehbuch für einen Spielfilm von mir und Brandon Trenz (Anm.: Brandon Trenz arbeitet als Drehbuchautor) sehen. Wir sollten in einem Monat so weit sein.

(Anmerkung: „The Frolic“ wurde 2007 von Jane Kosek produziert, die unter anderem an „A Beautiful Mind“ mitgearbeitet hat. Der Film ist 24 Minuten lang und wurde zusammen mit dem Buch (das die Kurzgeschichte enthält) in einer auf 1000 Exemplare limitierten und teilweise signierten Sonderausgabe veröffentlicht).

MC: Kannst du uns etwas über die Entwicklung des Drehbuchs zu „Last Feast Of Herlequin“ erzählen?

TL: Das Drehbuch wurde an viele Produzenten geschickt und einige Firmen zeigten Interesse. Brandon Trenz ist sogar extra nach Hollywood gereist, aber aus den Treffen ist nichts geworden. Offiziell ist das Projekt gestorben.

MC: Das ist natürlich enttäuschend. Was ist mit deinen aktuellen Schreibprojekten? Arbeitest du an etwas? Und wenn ja, wann können wir mit einer Veröffentlichung rechnen?

TL: Ich weiß noch nicht einmal, wann „The Conspiracy“ erscheinen wird.

MC: Welche Bücher und Autoren liest du zur Zeit? Du hast vor einiger Zeit mal gesagt, dass du mit dem Lesen an sich größtenteils fertig bist, weil du das meiste von dem, was dich interessiert, schon gelesen hast. Wie sieht das im Augenblick aus?

TL: Wenn ich überhaupt etwas lese, dann Sachbücher. Ich lese auch regelmäßig alles von M. E. Cioran wieder. Das dauert eine Weile. Einige Arbeiten über Bewusstseinsforschung und natürlich über psychische Krankheiten. Das ist ziemlich fachspezifisch, also suche ich im Internet nach Videos, Hörbüchern oder Interviews mit den Autoren. Letztes Jahr habe ich „On Suicide: A Discourse on Voluntary Death“ von Jean Améry und „Persuationand Rhetoric“ von Carlo Michelstaedter gelesen. Beide Autoren haben Selbstmord begangen, aber ihre Bücher wären auch ohne Selbstmord interessant. Ich lese immer noch Bücher über den Buddhismus.

MC: Ich finde deine Hinwendung zum Sachbuch aus persönlichen Gründen faszinierend, denn ich habe mich vor einigen Jahren selbst in diese Richtung bewegt, wenn auch nicht freiwillig. Ich merkte einfach, dass ich die meiste Zeit nicht mehr in der Lage war, der erzählenden Literatur zu folgen. Es war, als ob etwas in mir meine Aufnahmefähigkeit abgeschaltet hätte. Ich stieß auf einen mentalen Nebel, eine Art kognitive Leere, wenn ich versuchte, den Sinn der Erzählung zu erfassen. Diese Art von Literatur erschien mir sinnlos. Kommt dir das bekannt vor?

TL: Ja, das kommt mir bekannt vor. Ich kann mich emotional nicht mehr auf Erzählungen oder Poesie einlassen. Deshalb lese ich Sachbücher, vor allem intellektuell anspruchsvolle Sachbücher.

Man reagiert auf diese Literatur ganz anders, weil sie hauptsächlich für den Kopf ist und nicht die Gefühlsebene oder die Vorstellungskraft anspricht. Seltsamerweise ist das die gleiche Erfahrung, die ich mit Filmen oder Fernsehsendungen mache. Sie erfordern weder Einfühlungsvermögen noch Vorstellungskraft, um unterhaltsam zu sein. Mein Zustand kann sich buchstäblich in einer Sekunde ändern, und ich möchte das nicht noch einmal erleben. Das ist in den letzten fünf Jahren weniger geworden. In den Zeiten, von denen ich vorhin sprach, hatte ich hypomanische Zustände, in denen ich alles Mögliche tun wollte und auch den Elan dazu hatte. Aber das dauerte nur ein paar Wochen oder vielleicht einen Monat. Dann kam die Depression zurück, heftiger als zuvor. Ich nehme ein Medikament namens Lamictal (Anm.: Lamotrigin). Das ist ein Antiepileptikum, das Psychiater anstelle von Lithium bei bipolaren Störungen oder bei therapieresistenten Depressionen einsetzen. Im Idealfall wirkt das Medikament so, dass man nicht ins Bodenlose fällt, sich aber auch nicht unendlich gut fühlt. In dieser Mitte bewege ich mich jetzt. Der einzige Grund, warum ich so ins Detail gehe, ist, damit jemand, der das liest, weiß, wovon ich spreche, und sich vielleicht dafür interessiert. Bei allen anderen muss ich mich entschuldigen.

MC: Was ist mit Filmen? Hast du in letzter Zeit welche gemocht? Oder hast du welche gehasst?

TL: Einige erwähnenswerte Filme, die ich in letzter Zeit schrecklich fand, waren „München“ von Steven Spielberg und „Match Point“ von Woody Allen. Auch „Mission Impossible 3“. Zu dieser Liste kann man noch den französischen Film „Caché“ hinzufügen, das ist der schlechteste Film, den ich je gesehen habe. Ich habe „Das Mädchen aus dem Wasser“ nicht gesehen, aber ich weiß, dass er schlecht ist, weil die Leute, die ihn gemacht haben, einfach nicht gut sind. Das beste Beispiel ist „The Sixth Sense“ – ein Schwindel von Anfang bis Ende.

Normalerweise sind die Filme, die ich mag, Scheiße oder werden ignoriert, wie „Mann unter Feuer“ mit Denzel Washington oder „Sag kein Wort“ mit Michael Douglas. Kürzlich habe ich mir Filme ausgeliehen, die ich schon tausendmal gesehen habe.

Horrorfilme: „Wolf Creek“, scheiße; „Hostel“, scheiße; „The Devil’s Reject“, sehr lustig und clever; das Remake von „The Hills Have Eyes“, scheiße. Es mag sich für manche Horrorfilm-Freaks idiotisch anhören, aber ich habe wirklich eine gute Meinung von den beiden „Final Destination“ – Filmen. Ich lieh mir also den dritten Teil aus, und was soll ich sagen: echt mies. Ich bevorzuge Filme, in denen es um verlorene Existenzen geht. Das ist der Grund, warum ich Romeros Zombie-Filme so reizvoll finde. Von Anfang an ist dort alles hoffnungslos.


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