Interview

Interview mit Karlheinz Schlögl von Golkonda

Der Golkonda Verlag, mit Sitz in Berlin wurde im Jahre 2010 von Hannes Riffel gegründet. Der Verlagsschwerpunkt liegt auf internationaler Phantastik, aber das Verlagsprogramm zeigt sich erfrischend ungewöhnlich und vielseitig. Grund genug also für PHANTASTIKON, die ein oder andere Frage zu stellen.

PHANTASTIKON

Karlheinz Schlögl zeigt einige Schätze

Lieber Karlheinz Schlögl,
zunächst einmal ein herzliches Dankeschön für die Möglichkeit, ein Interview mit Dir führen zu dürfen. Eigentlich hatte ich ja bei Hannes Riffel als Verlagsleiter angefragt, aber der hat mich dann ganz freundlich an Dich verwiesen, mit dem Hinweis, dass Du mindestens genausoviel über Golkonda zu erzählen hast wie er.

Es mag ja etwas merkwürdig sein, Verleger anstelle der Schriftsteller zu ihren Projekten zu befragen, aber ich denke, heutzutage ist das Verhältnis Verleger/Autor ein völlig anderes als noch vor, sagen wir, 20 Jahren. Bei kleinen Verlagen wie Golkonda spürt man eine familiäre Atmosphäre, die durch das Teilen einer Leidenschaft bestimmt wird. Zumindest sieht das bei euren jährlichen Grillfesten so aus. Ist es denn heutzutage tatsächlich noch eine Freude, in einem Verlag zu arbeiten? Und wie kamst Du denn überhaupt dazu?

K. SCHLÖGL

Warum sollte es denn heutzutage keine Freude sein? Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendwer zu irgendeinem Zeitpunkt sich für das Verlegersein als masochistische Übung entschieden hat. Meines Erachtens ist es wohl immer ein persönliches Bedürfnis, der Literatur so nahe wie möglich zu sein, einen Beitrag zu leisten; und wenn man sich schon nicht zum Schriftsteller berufen fühlt, dann ist dies wohl eine der interessantesten Optionen.
Für mich jedenfalls war es die Liebe zu Büchern und der Wunsch, hierzulande Autoren zugänglich zu machen oder erneut zu verlegen, die ich und mein Partner sehr schätzen, zum Teil selbst im Englischen entdeckt haben, wie Ted Chiang, David Marusek und Kij Johnson, oder Autoren wie Samuel R. Delany und Karl Edgar Wagner, die sehr wohl schon mal erhältlich waren, aber wieder, unserer Ansicht nach zu Unrecht, in Vergessenheit geraten sind.
Im Laufe der Zeit ist dann das Programm immer breiter geworden, was wohl auch daran liegt, dass sich unsere Mitstreiter mit ihren Büchern hier ebenfalls eingebracht haben bzw. man sich auch der einen oder anderen Gelegenheit nicht verschließen konnte.
Was aber alle unsere Bücher vereint, ist der Qualitätsanspruch, den wir an sie stellen. Entsprechend ist es auch jedes mal eine große Freude, sie in Händen zu halten, egal ob in Leder gebunden und mit Fadenheftung oder als broschierte Ausgabe. Und die Qualität beschränkt sich nicht auf Äußerlichkeiten alleine, sondern umfasst genauso auch Übersetzung, Lektorat und Satz.

PHANTASTIKON

Das Programm von Golkonda ist ja durchaus erstaunlich. Da findet sich der Schwerpunkt “Phantastik” im Verbund mit einem Krimi-Programm und einem, durchaus zugehörigen, Sachbuchprogramm. Dann aber trifft man auch auf Ludwig Tieck oder Victor Hugo in der “Klassiker-Abteilung”. Und nicht zuletzt findet man sogar die sogenannten “Pulps” wie Captain Future oder Hellboy. Ist es nicht schwierig, diese große Bandbreite zielgerichtet an das jeweilige Publikum zu bringen? Wie organisiert man das, ohne den Faden zu verlieren?

K. SCHLÖGL

Die phantastische Literatur, die Hannes Riffel und ich als Kategorie sehr umfassend begreifen, stellt wohl die große Klammer für unser Programm da. Alle Bücher haben dazu einen Bezug, wenn er auch manchmal nicht unmittelbar ersichtlich ist. So sind alle unsere Kriminalromane, beispielsweise Jo Waltons Inspector-Carmichael-Trilogie, die in einer Alternativwelt spielt, entweder phantastisch angehaucht oder zumindest von Schriftstellern verfasst, wie Joe R. Lansdale, die in der Phantastik zu Hause sind.
Und mit unseren Klassikern, wollen wir auch einen Bezug zu Grundlagen der Phantastik herstellen. So ist Victor Hugos ‘Der lachende Mann’ wohl ein echter Horror Roman, und nicht ohne Grund hat hierzu wieder Tobias O. Meissner, ein zeitgenössischer Meister der Horrorliteratur, dessen Zyklus Hiobs Spiel bei Golkonda erscheint, dafür ein Vorwort verfasst, in dem er diese Zusammenhänge vorstellt. Und die Pulps sind nun mal ein wichtiges Fundament der phantastischen Genreliteratur, und die Hellboy-Stories, als Crossover zwischen Comic und Buch, passen da genauso hinein.
Aber wem diese Klammer zu künstlich erscheint, der kann sich das Programm noch immer so erklären, dass es wohl Bücher sind, die von den Verlegern und/oder dem Golkonda Team geschätzt werden und allein damit schon ihren Anspruch auf Zugehörigkeit zum Verlagsprogramm gerechtfertigt haben.
Uns ist schon klar, dass wir hier mit all diesen unterschiedlichen Büchern durchaus auch unterschiedliche Leser und Zielgruppen bedienen, und im Sinne einer kommerziellen Optimierung wäre eine Fokussierung auf weniger sicher sinnvoll. Allerdings war dies nie eine Zielsetzung des Verlages, sondern Golkonda ist im Gegenteil auch immer als Experimentierfeld verstanden worden, in dem sich unter dem Strich zwar auch finanziell alles ausgehen muss, aber keine Gewinnoptimierung Einfluss auf die Programmgestaltung haben sollte.

PHANTASTIKON

Gibt es bei euch eine klare Hierarchie, was das Programm angeht, oder kann wirklich jeder mit seinen Ideen kommen, und ihr versucht das dann zu machen?

K. SCHLÖGL

Die Letztentscheidung liegt immer bei Hannes Riffel und bei mir, und klar würden wir keine Bücher herausbringen, die gänzlich unseren Vorstellungen widersprechen, aber der Anstoß, etwas zu veröffentlichen, die Empfehlung für einen Autor oder eine Anthologie, kann durchaus auch von anderen kommen. Und bei einem Projekt wie Golkonda, wo sehr viel ehrenamtliche Arbeit geleistet wird, ist es oft auch nicht ganz unerheblich, welche Beiträge hier für einzelne Bücher angeboten werden, sei es, dass jemand gerne die Übersetzung machen möchte oder sich anderweitig dem Buch verpflichtet fühlt. Und so auf Zuruf, wie das nun klingen mag, ist es ja auch nicht, so gibt es durchaus auch Schwerpunkte, wie zeitgenössische Kurzgeschichten, wo dann die Vorschläge eben diese Filterfunktion erfüllen müssen, oder wo ein Buch, beispielsweise die Sachbücher zur Phantastik, dann eben weitere Bücher zur Abrundung bedingen. Und bei Serien versteht es sich natürlich auch von selbst, dass wir diese gerne möglichst vollumfänglich bringen wollen.

PHANTASTIKON

Warum habt ihr eigentlich die Strugatzki-Auflage auf 222 limitiert? Mir ist schon klar, dass ihr damit dem Fan etwas Wertiges in die Hand geben wollt, aber wäre es gerade bei diesen Autoren nicht sinnvoll, sie über Jahre hinweg auf Lager zu haben? Oder ist das dann doch eher Politik (Heyne gibt ja die Taschenbücher heraus)?

K. SCHLÖGL

Ja, so etwas ist durchaus der Politik geschuldet, und limitierte gebundene Ausgaben sind auch wirklich für Sammler gedacht. Ich denke, alle unsere Strugatzki-Abonnenten haben zuvor schon den Großteil seines Werkes gelesen.

PHANTASTIKON

Welche Bedeutung gebt ihr euren E-Books? Naiv gefragt: Wird es irgendwann keine physischen Bücher mehr geben, oder ist eher das Gegenteil der Fall – und damit das limitierte und hochwertige Angebot gerechtfertigt?

K. SCHLÖGL

Hmm, die Frage wurde mir schon sehr oft gestellt, da zitiere ich mal meine Antwort aus einem anderen Interview in gekürzter Form zu diesem Thema:
Ich habe zwar selbst das E-Book-Programm im Verlag initiiert und auch die ersten E-Books bei Golkonda selbst erstellt und damals über die KDP-Schiene von Amazon zugänglich gemacht, aber für mich als Bücherliebhaber ist das einzig Wahre weiterhin das gedruckte Buch. Entsprechend glaube ich auch, dass der Markt sich künftig zweiteilen wird. Alle Bücher, die man “nur” lesen möchte, die man quasi als Einweg-Bücher bezeichnen könnte, werden durch E-Books ersetzt werden. Aber was es wohl immer geben wird, und egal wie technisch ausgeklügelt die digitalen Bücher in ihrer Darstellung sich dem analogen Buch annähern oder es auch multimedial erweitern, das ist das ästhetisch ansprechende gedruckte Buch.
Dieser Art von Büchern hat sich auch der Golkonda Verlag verschrieben, und es ist unser Glück, dass wir mit unserem Schriftsetzer Hardy Kettlitz und unserer Grafikerin benSwerk auch ein Team haben, das diesen Qualitätsanspruch teilt und meine Erwartungen an schöne Bücher immer wieder übertrifft.

Ungeachtet meiner persönlichen Vorbehalte gegenüber E-Books achten wir darauf, unsere eigenen E-Books so gut, wie es das EPUB-Format eben erlaubt, zu gestalten, und nahezu das ganze Verlagsprogramm ist auch in Form von E-Books erhältlich. 2014 haben die E-Books wohl an die 20% unseres Umsatzes ausgemacht, also einen ganz wesentlichen Beitrag für den Verlag geleistet.

PHANTASTIKON

Der Verlag hat ein besonderes Fable für Joe R. Lansdale, sogar mit gutem persönlichen Kontakt. Warum wurde gerade er der “Hausautor” bei euch? Habt ihr vor, die bei anderen Verlagen verstreut erschienenen Titel auch noch zu euch zu holen? Mir fällt da gerade “Der Teufelkeiler” ein. Das Buch gilt ja als eines der besten von Lansdale und erschien, als es Golkonda noch gar nicht gab, beim Shayol-Verlag.
– Was mich gleich zur nächsten Frage bringt. Wie ist euer Verhältnis zu Shayol? Immerhin steht auf deren Seite zu lesen, daß dort auch Bücher aus dem Haus Golkonda bestellt werden können.

K. SCHLÖGL

Mit dem damaligen Ausstieg von Hannes Riffel beim Shayol Verlag ist ein Teil des Programmes mitgewandert, unter anderem auch Joe R. Lansdale.
Wir sind nun gerade dabei, die Hap & Leonard-Romane bei Golkonda herauszubringen, und so ist nun auch Band 1 ‘Wilder Winter’, der bereits bei Shayol verlegt wurde, auch als Neuausgabe bei Golkonda erhältlich. More to come, und ob da auch mal der von mir ebenfalls sehr geschätzte ‘Der Teufelskeiler’ dabei sein wird, wird sich weisen …

Das Verhältnis zum Shayol-Verlag ist ein sehr freundschaftliches, so wie sich überhaupt die ganze Genre-Verlags-Szene sehr gut verträgt und versucht, gemeinsame Synergien zu finden. So liegt für Besucher unseres Messestands auf der Leipziger Buchmesse auch jedes Jahr der aktuelle Prospekt zum Shayol-Programm auf.

PHANTASTIKON

Wie kommt man eigentlich auf eine indische Stadt als Verlagsnamen?

K. SCHLÖGL

Die Herausgabe der gebundenen Ausgabe der Gesammelten Werke von Arkadi und Boris Strugatzki hat die Gründung des Golkonda Verlages maßgeblich initiert. Der Name Golkonda ist dem Titel des ersten Romanes ‘Atomvulkan Golkonda’ der Brüder Strugatzki geschuldet, der zwischenzeitlich auch als broschierte Ausgabe bei uns erschienen ist. Und die Brüder Strugatzki wiederum haben sich auf das richtige Golkonda in Indien bezogen, der Roman selbst spielt natürlich ganz wo anders …

PHANTASTIKON

Zum Abschluß noch eine persönliche Frage. Mit einem Studium in technischer Mathematik liegen die Lieblingsautoren Delany, Ballard oder Dick ja fast schon auf der Hand (hoffentlich versteht man das jetzt nicht falsch und denkt, diese Herren würden Bücher über mathematische Gleichungen schreiben). Gibt es aber darüber hinaus einen Autor, die völlig aus der Reihe tanzt und den Du, wenn Besuch kommt, schleunigst vom Tisch verschwinden lässt?

K. SCHLÖGL

Wohl einige, wenn sie auch ganz anders ‘aus der Reihe tanzen’ als du jetzt vermutlich erwarten würdest. Ich habe auf der Verlagshomepage bei meiner Kurzbiographie nur meine SF-Lieblingsautoren aufgelistet, aber meine literarischen Vorlieben sind viel, viel breiter gestreut. So schätze ich Denis Johnson, Cormac McCarthy, Michel Houellbecq, Thomas Pynchon und William Gay sehr und habe auch noch meine österreichischen Lieblingsautoren wie Gerhard Roth, Ingeborg Bachmann und Marlene Streeruwitz … und noch viele mehr. Die hier aufgezählten, wohl vor allem letztere, tanzen für den rein im Genre sich bewegenden Leser völlig aus der Reihe, aber ich stehe zu all meinen literarischen Vorlieben, und in meiner Bibliothek stehen sie auch alle, friedlich vereint, Seite an Seite.

PHANTASTIKON

Zum Schluss möchte ich mich nocheinmal bedanken. Wir waren ja jetzt doch einige Stunden ‘zusammengesessen’. Ich wünsche Golkonda für die Zukunft alles Gute und werde wohl das ein oder andere Projekt bei PHANTASTIKON besprechen. Einen herzlichen Gruß möchte ich an euer ganzes Team weiterleiten. Für mich seid ihr ein echter Lichtblick, was Anspruch und Programm betrifft.

MEP

MEP

Michael Perkampus wurde am 2. April 1969 im Fichtelgebirge geboren. Als Solitär der deutschen Literatur arbeitet er in seinen Texten mit "Bewusstseinsfragmenten" und "Synkopen", einer "philosophischen Phantastik". Von 2005 - 2010 moderierte er die Schweizer Literatursendung "Seitenwind" in Winterthur. Letzte Erzählungen erschienen im Blitz-Verlag unter "Das Kriegspferd", herausgegeben von Silke Brandt. Im Januar 2015 ging das Phantastikon online, später folgte der gleichnamige Podcast. 2018 gab er die Anthologie "Miskatonic Avenue" heraus, deren Namen jetzt für eine Rubrik im Magazin steht.

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