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Fear and Loathing in Las Vegas

Fear and Loathing
(c) Universal Pictures Germany GmbH

Der amerikanische Journalist Hunter S Thompson ist eine mythische Figur. Seine Legende hat er teilweise selbst lanciert, in anderen Fällen hat sie sich gegen seinen Willen verselbständigt. Norman Mailer nannte ihn „eine Legende, wenn es darum geht, sich selbst zu zerstören“. Sein Biograph Jean Carroll berichtet von seinem strikten Arbeitstag, der täglich um 15 Uhr begann. Während des Schreibens konsumierte er Chivas Regal, Dunhills, Kokain, Orangensaft, Marihuana, Bier, LSD, große Mengen an Lebensmitteln, Chartreuse, Gewürznelken, die er in Zigaretten steckte, Gin und Pornofilme. Danach verbrachte er ein bisschen Zeit am Swimming-Pool mit Champagner und Eiscreme. Das war ganz im Sinne der Drogensammlung Raoul Dukes, dem Ich-Erzähler in Fear and Loathing in Las Vegas:

„Wir hatten zwei Beutel Gras, fünfundsiebzig Kügelchen Mescalin, fünf Löschblattbögen extrastarkes Acid, ’nen Salzstreuer halbvoll mit Kokain und ein ganzes Spektrum vielfarbiger Uppers, Downers, Heuler, Lacher … sowie ’nen Liter Tequila, ’ne Flasche Rum, ’ne Kiste Bier, ’nen halben Liter Ether und zwei Dutzend Poppers. Nicht, dass wir das alles für unseren Trip brauchten, aber wenn man sich erst mal vorgenommen hat, ’ne ernsthafte Drogensammlung anzulegen, dann neigt man dazu, extrem zu werden.“

Die Parallelen zwischen Duke und Thompsons eigenem Leben lassen die beiden miteinander verschmelzen. Das ergibt sich zum Teil aus dem Ansatz, der Thompson berühmt gemacht hatte: dem Gonzo Journalismus.

Gonzo Journalismus

Weit davon entfernt, sich um Objektivität zu bemühen, nimmt der Gonzo-Journalismus an der Aktion teil und berichtet subjektiv über das Ereignis. Thompson ging weiter: oft genug war er der Provokateur und der Auslöser dessen, worüber er dann schrieb. In Fear and Loathing in Las Vegas werden zwei Reisen geschildert, die Thompson mit seinem Freund Oscar Zeta Acosta von Los Angeles nach Las Vegas unternahm. Die Aufzeichnungen wurden 1971 im Rolling Stone Magazine unter dem Namen Raoul Duke abgedruckt, Thompson tauchte darin aber dennoch auf einem Bild auf, das Duke präsentierte, der ihn eine „schändliche, verrückte Person“ nannte.

Anstatt sich als Chronist der Szene auszugeben, inszenierte sich Thompson über Duke ebenfalls als Figur. Das Ziel des Gonzo und anderer Arten des Neuen Journalismus war es, sachliche Berichte so zu schreiben, als handle es sich um Fiktion. In Thompsons Fall war die Wahrheit stets unverschämt und deutlich, und dann wurde sie mit phantastischen Elementen und Halluzinationen verschönert.

Angst und Schrecken

Der Nachgeschmack von Terry Gilliams wild-visuell inszeniertem Film hängt nach dem Abspann wie ein böser Kater im Raum. Man durfte in diesem filmtechnischen Meisterwerk gerade verfolgen, wie viel unterschiedliche Drogen Menschen konsumieren können, ohne sich damit selbst zu töten. Auf der Grundlage von Thompsons durchgeknallten Roman über die Reise zu einem Cross-Motorradrennen in der Wüste von Nevada und dem Kongress der Bezirksstaatsanwälte zum Thema Drogen. Dabei steckt mehr unter der Oberfläche als die persönliche Dysfunktion von Duke und seinem Reisebegleiter, dem Rechtsanwalt Acosta. Der Film bietet einen Weitwinkel-Schnappschuss über die große amerikanische Dystopie vor dem Hintergrund Vietnams und dem sozialen Wandel, der im Jahre 1971 seinen Höhepunkt erreichte.

Die Kamera wird hier neben den beiden Hauptfiguren der dritte Teilnehmer an den Ausschweifungen von Duke und Acosta, die sich taumelnd und verzerrt gebärden, während der chemische Wirbel sie verschluckt – und uns tiefer in ihren veränderten Zustand eintauchen lässt. Alle paar Minuten springt förmlich etwas aus der grellen Leinwand heraus, ob es Dukes allgegenwärtige Zigarrettenspitze ist, die aus seinem Gesicht ragt, oder der schlaffe Kopf eines toten Hirsches auf der Motorhaube eines Jeeps. Es gibt keinen nüchternen, vom Geschehen getrennten Standpunkt, von wo aus man die Inszenierung in relativer Sicherheit beobachten kann. Das führt zu dem paradoxen Effekt, daß der Film, wie ein vorbeirasender Zug, schwer zu sehen, aber dennoch wie unter einem Zwang zu beobachten ist.

Del Toro (der für diese Rolle extra 20 Kilo zugenommen hatte) ist in der Rolle des aufgedunsenen, drogensüchtigen Anwalts fantastisch. Seine Freundschaft mit Duke besteht (wie bei Laurel und Hardy) hauptsächlich darin, dass sie sich mit Waffen, Jagdmessern und Duschvorhangstangen gegenseitig bedrohen. Aber der stärkste Magnet in diesem psychedelischen Morast ist Johnny Depp, der als possenreißerischer, ekelhafter und bestechender geistiger Führer der Geschichte der Blickfang ist. Mit seinem zur „hohen Stirn“ rasierten Kopf und seiner monotonen, abgehackten Stimme scheint es, als wäre die Seele Hunter S Thompsons in ihn gefahren. Nicola Pecorinis hervorragende Kameraarbeit bringt uns die Geschichte von innen und von außen des mehr und mehr aufweichenden Gehirns, das in diesem rasierten Schädel sitzt, nahe.

Was den Film von einer bloßen Drogenchronik abhebt, hat auch schon das Buch in den literarischen Olymp katapultiert. Es ist die Tatsache, dass Regisseur Gilliam, wie Thompson, sein Medium jederzeit beherrscht, während er sich den völlig unberechenbaren Kräften, auf die er keinen Einfluss hat, überlässt. Gilliam lässt das Publikum, ohne plump zu werden, die Welt außerhalb des halluzinatorischen Wunderlandes von Las Vegas erahnen, um uns daran zu erinnern, wie hysterisch und schrecklich unsere lange, seltsame Reise an der Schwelle des 21. Jahrhunderts gewesen ist.


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