Der falsche Preuße

Uta Seeburg: Der falsche Preuße (Gryszinski #1)

Uta Seeburgs Debüt um den Preußischen Sonderermittler Gryszinski, den es in die Landeshauptstadt Bayerns verschlagen hat, erschien im August 2020 und es war natürlich davon auszugehen, dass die Autorin bald ihrem zweiten Roman dieser überaus genussvollen neuen Reihe vorlegt. Der ist auch schon unter dem Titel „Das wahre Motiv“ erschienen und wir sehen uns auch den bald hier an.

Historische Kulissen sind bei Weitem nichts neues in der Literatur, aber in den letzten zehn Jahren ist das Genre regelrecht explodiert und während angelsächsische Erzähler an ihrem viktorianischen London arbeiten, Franzosen ihr pittoreskes Paris auspacken und auch in der Fantasy immer mehr auf historische Schlachten Bezug genommen wird, können deutschsprachige Autoren natürlich ebenfalls auf eine sehr erlebnisreiche Zeit zurückgreifen. Neben dem offensichtlichen Magneten zwischen den beiden Weltkriegen, hat sich Uta Seeburg für den nahenden fin de siecle entschieden, ein neunzehntes Jahrhundert, das mit reichlichen Innovationen zu Ende geht, die Elektrizität gerade auf dem Vormarsch ist und so eine Epoche des Übergangs markiert.

Natürlich sieht diese Zeit, in der Sherlock Holmes gerade druckfrisch aus England herüberschwappt, in den deutschen Metropolen mit ihrer Volkstümlichkeit noch ganz anders aus. Und darin liegt eine der Stärken des vorliegenden Romans, denn die Autorin ist selbst eine sogenannte Zugereiste, die ihren Weg von Berlin nach München machte. Dass ihre literarische Vorliebe dann auch genau in jener Zeit anzusiedeln ist, die sie da beschreibt, verleugnet der Text zu keiner Zeit. Überhaupt ist das mysteriöse Gebaren um Bayern und Preußen eines, das man sich genauer anschauen sollte, und während man das tut, stößt man auf eine große Lücke in den Veröffentlichungen zu diesem Thema. Uta Seeburg hat sie gefunden und es ist ein Gewinn für jene, die gerne kopfüber die die Vergangenheit springen, um dort eine lebendige und skurrile Erfahrung zu machen, die einer üppigen Geschichte; nicht etwa verschnörkelt und überladen, sondern die eines prallen Lebens in einer Metropole, in der es natürlich sehr um den Genuss geht, der so eigenwillig ist, dass er Weltgeschichte schrieb.

Die Epoche, in der es vor kurioser Figuren nur so wimmelte, vor Entdeckungen, Erfindungen und Abnormitäten wird von der Autorin nicht nur aufgesetzt, sondern so lebendig geschildert, als käme sie selbst aus dieser Zeit; ein ganzes Kuriositätenkabinett kommt hier zusammen. Und so ist dann auch der Mordfall, in dem der Preuße Gryszinski ermittelt, kein gewöhnlicher: Ein Bierbeschauer wird mit weggeschossenem Gesicht und gekleidet in ein Federkostüm an der Isar aufgefunden. Nicht weit von ihm entfernt findet man noch den einzelnen Abdruck eines Elefanten, aber keine weitere Spuren von diesem doch eher ungewöhnlichen Tier. Zur Verfügung stehen dem preußischen Reserve-Offizier zwei Wachtmeister, die er wie Flügelspieler auf seinem unterhaltsamen Weg durch diese spezielle Zeit und ihren speziellen Raum einsetzt.

„Am Ende sind Sie auf jeden Fall der Unpreußischste von uns Preußen. Ein falscher Preuße, wenn man so will,“ wird ihm ein Freund aus militärischen Tagen später erklären, aber das hat sich der Leser schon länger gedacht, denn Gryszinski fühlt sich bei den Bayern doch sichtlich wohl, vor allem die urtümliche Küche hat es ihm derart angetan, dass wir immer wieder Schwärmereien wie diese erleben:

„Der Knödel, mein Minchen […] ist die Signatur der bayerischen Seele. Seine Kugelförmigkeit steht für die Uneindeutigkeit […]“

Uta Seeburg: Der falsche Preuße

Diese Uneindeutigkeit ist ein zentrales Thema des ganzen Romans; ob es nun Gryszinski ist, dessen Gewissenskonflikt auf die Spitze getrieben wird, als er versucht, den Mordfall zu lösen und dabei Eduard Lemke im Visier hat, eine schillernde Figur, ebenfalls aus Preußen, jedoch mit einer völlig obskuren Vergangenheit, mit Geld wie Heu und einer protzigen Villa, die im Verlauf der Geschichte in allen Einzelheiten beschrieben wird und mit seinen labyrinthischen und opulenten Räumen so verwirrend und kurios wirkt, dass sie auch in einer Steampunk-Erzählung Platz finden könnte, oder in einem Abenteuerroman aus dem 19. Jahrhundert, in dem wir uns befinden. Plötzlich fordert die preußische Seite nämlich seine Loyalität in Bezug auf eben jenen Exzentriker, der angeblich für den Tod von 30 Männern einer preußischen Expedition verantwortlich sein soll. Von dieser Sonderermittlung aber soll sein bayerischer Arbeitgeber nichts wissen, und so wird es für unserer falschen Preußen ein Eiertanz, den er aber auf seine spezielle Art und Weise meistert, die der ganzen Geschichte einen wirklichen Eventcharekter beschert, wenn er sich einem Duell stellen muss, sich Attentaten ausgesetzt sieht und sein Geheimnis schweren Herzens verbirgt.

Dieser Roman setzte sich im Erscheinungsjahr 2020 mühelos an die Spitze der historischen Kriminalromane. Wer ohnehin ein Faible für die Zeit der Jahrhundertwende hat, ist hier bestens aufgehoben, wer ein wirklich süffiges Abenteuer sucht, ebenfalls. Und so bleibt zu sagen, dass es sich zwar um einen Krimi handelt, aber eindeutig nicht nur Liebhaber des Genres ansprechen wird. Mit dem Wörtchen „unterhaltsam“ sollte man immer etwas vorsichtig sein, weil man damit automatisch eine mindere Qualität verquickt, die hier gar nicht zur Debatte steht.

MEP

MEP

Michael Perkampus wurde am 2. April 1969 im Fichtelgebirge geboren. Als Solitär der deutschen Literatur arbeitet er in seinen Texten mit "Bewusstseinsfragmenten" und "Synkopen", einer "philosophischen Phantastik". Von 2005 - 2010 moderierte er die Schweizer Literatursendung "Seitenwind" in Winterthur. Letzte Erzählungen erschienen im Blitz-Verlag unter "Das Kriegspferd", herausgegeben von Silke Brandt. Im Januar 2015 ging das Phantastikon online, später folgte der gleichnamige Podcast. 2018 gab er die Anthologie "Miskatonic Avenue" heraus, deren Namen jetzt für eine Rubrik im Magazin steht.

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