Durst

Durst – Ein Vampirfilm ohne Klischees

Als Park Chan-Wook seinen Vampirfilm “Durst” drehte, wollte er die Knoblauchzehen, Opernumhänge, Holzpfähle und andere schimmelige Genre-Stereotypen weglassen. Er beabsichtigte auch nicht, der gegenwärtigen Flut an Blutsauger-Fabeln mit ihren pubertierenden Helden und Heldinnen, wie etwa “Twilight” oder “True Blood”, noch ein weiteres Kapitel hinzuzufügen. “Im Westen gibt es diese große Ansammlung von Klischees in Vampirfilmen”, sagte der südkoreanische Autor und Regisseur.

“Ich dachte, mir könnte etwas Einzigartiges einfallen, indem ich diese Klischees wegließ.”

Aus diesem Grund sollte “Durst” als scheinbar erster Vampirstreifen in Erinnerung bleiben, in dem der Protagonist ein asiatischer römisch-katholischer Priester ist, der sich wegen seiner bisherigen Hilflosigkeit schuldig fühlt. Dieser bescheidene Mann des Glaubens, der vom führenden koreanischen Schauspieler Song Kang-Ho gespielt wird, wird aus Versehen zu einem sinnlichen nächtlichen Raubtier, als er freiwillig an einem Impfstoff-Experiment teilnimmt, das einen tödlichen Virus bekämpfen soll. Stattdessen erhält er eine ansteckende Transfusion, die ihn zum Vampir macht.

In seinen früheren Filmen, darunter die koreanischen Megaerfolge “Joint Security Area” und “Old Boy”, der den Grand Prix beim Festival in Cannes 2004 gewann, hat Park eine technische Finesse bewiesen, die einige Kritiker zu Vergleichen mit David Fincher verleiteten, sowie eine Fähigkeit, unverbrauchte Bilder und metaphorische Bedeutung aus westlichen Filmgenres und Erzählkonventionen zu gewinnen. Kurioserweise wurde “Durst” teilweise durch den Roman “Thérèse Raquin – Du sollst nicht ehebrechen” (1867) des französischen Schriftstellers Émile Zola inspiriert, in dem es um eine junge Frau in einer fiebrigen Affäre geht. Sie entflieht darin einer seelenlosen Ehe und einer erstickenden Häuslichkeit. In “Durst” spielt die Schauspielerin Kim Ok-Vin eine ähnlich gefangene junge Frau, deren Charme einen priesterlichen Blutsauger anzieht.

Dorst Filmposter ©MFA Filmdistribution
Filmplakat „Durst“; ©MFA Filmdistribution

Park sagte, er bewundere die Art und Weise, wie Zolas Roman “sich mit Liebe nicht nur als Begriff befasst”, sondern als alltägliche Realität von erdgebundener, fleischlicher Anziehungskraft. Mit “Durst” wollte Park in ähnlicher Weise etwas von der transsilvanischen Mystik abstreifen und “Vampirismus als etwas fast Biologisches behandeln, oder es als Krankheit zeigen”. Die eher düstere Kulisse von Krankenhäusern, einsamen Straßen und trostlosen Häusern – im Gegensatz zu der glamourösen, gotischen Inszenierung so vieler westlicher Vampirfilme – verleiht “Durst” auch eine naturalistische Qualität, die gespickt mit surrealen Happenings alarmierend und manchmal auch humorvoll daherkommt (z.B. als der wütender Vampir lässig auf einen Laternenpfahl schlägt, der dann in zwei Hälften zerbricht).

Obwohl niemand in “Durst” als Vampirabwehr ein Kreuz dabei hat, ist der katholische spirituelle Subtext des Films kein Zufall. Als Sohn akademischer Eltern wuchs Park als Katholik auf, bis er in der Pubertät zu dem Schluss kam, dass “es keine Grundlage gab, an die Existenz Gottes zu glauben”.

Obwohl seine religiöse Erziehung dabei half, sein jugendliches Weltbild zu formen, sagte Park:

“Wenn jemand behaupten würde, dass der Katholizismus einen ebenso großen Einfluss auf mich ausübte wie Martin Scorsese, wäre das eine riesige Übertreibung.”

Was ihm am meisten anhängt, sei die katholische Vorstellung von der Erbsünde, die unerschütterliche Schuld und die schillernd verzierten Traditionen der katholischen religiösen Kunst.

In “Durst”, sagte er, wollte er den Katholizismus und Vampirismus als grundsätzlich westliche Konzepte betrachten, die in die koreanische Kultur importiert wurden wie fremde Gegenstände, die in einen menschlichen Körper eingeführt werden. “Der Film handelt also von externen Elementen, die sich in einer neuen Umgebung wiederfinden.” Spannung baut sich in “Durst” unabhängig davon auf, ob diese externen Elemente letztlich akzeptiert oder abgelehnt werden, ob sie assimiliert werden oder am Ende ihre Wirte zerstören.

Der Regisseur schlug ein Sinnbild vor, wie er die Film- und Erzählkonventionen infiltriert und sie mit neuen Variationen und Ideen infiziert: “Man könnte fast sagen, ich bin der Keim, der in das Genre gelangt ist und alles vermasselt”, sagte er.

Nur wenige Regisseure sind einladendere Ziele für Fanboy-Verehrung und den Spott von Filmkritikern als jene, die Pulp-Genre-Filme mit höheren philosophischen Bestrebungen mischen. Doch Parks metaphysische Neigung (er studierte Ästhetik und Philosophie ) sollte für sorgfältige Betrachter seiner Filme keine Überraschung sein.

Seine Vorliebe für Blut, gepaart mit einer Handvoll Hochspannungssequenzen (einschließlich der berüchtigten “Old Boy”-Szene, in der die Hauptfigur, nachdem sie aus dem Gefängnis entlassen wurde, in ein Restaurant geht und seine Zähne in einem lebenden Tintenfisch versenkt), haben einige Rezensenten dazu verleitet, ihn als Exploitationautor zu brandmarken, zu einem stilvollen, aber grausamen Tarantino-Möchtegern.

Bei näherer Betrachtung von Parks Werk zeigt sich aber nicht nur, dass er nicht nur wunderschön komponierte Bilder ästhetisierter Gewalt wie Sam Peckinpah komponiert, sondern auch moralische Anliegen anbietet, die sich mit Fragen des freien Willens, der Rache und der Selbstbeherrschung beschäftigen. Wie eine Reihe von Figuren in den Filmen von Alfred Hitchcock, dessen Meisterwerk “Vertigo” entscheidend dazu beigetragen hat, dass Park von seiner geplanten Karriere als Kunstkritiker abwich, sind Parks Charaktere eher orientierungslose Menschen, die in extremen Umständen gefangen sind, für die sie nicht selbst verantwortlich sind, die sich dann zu nichtumkehrbaren Handlungen gezwungen sehen, die ihre eigene Zerstörung herbeizuführen drohen.

In “Old Boy” (2003), der zweite Teil von Parks so genannter Vengeance-Trilogie, wird der Protagonist aus Gründen, die er nicht kennt, aus dem Gefängnis entlassen, nachdem er dort 15 Jahre lang festgehalten wurde. Diese Kafka-artige Prämisse trägt eine Geschichte von Rache und psychologischer Manipulation vor, die auch als Allegorie der Beziehung zwischen einem gottähnlichen Regisseur und seinen langmütigen Schauspielern gedeutet werden könnte.

Park sagte, dass seine Vorliebe für klaustrophobische, gefängnisähnliche Situationen in seinen Filmen von der Fähigkeit herrührt, die Ideen, mit denen er es dadurch zu tun bekommt, zu reinigen und zu verschlanken. Indem er seine Filme auf eine begrenzte Anzahl von Variablen reduziere, könne er Mikrokosmen konstruieren, darin enthaltene Universen, in denen menschliches Verhalten intensiviert wird.

Und wenn dieses Verhalten oft beunruhigend ist und die Umstände seiner Charaktere nervenaufreibend sind, dann meint Park, dass das so ist, weil sie gar nicht so ungewöhnlich sind, wie wir vielleicht glauben möchten. Er beschreibt den inhaftierten Charakter in “Old Boy”, der nicht weiß, warum er festgehalten wird oder wann (wenn überhaupt) er freigelassen wird, als “Metapher für einen fundamentalen menschlichen Zustand”.

MEP

MEP

Michael Perkampus wurde am 2. April 1969 im Fichtelgebirge geboren. Als Solitär der deutschen Literatur arbeitet er in seinen Texten mit "Bewusstseinsfragmenten" und "Synkopen", einer "philosophischen Phantastik". Von 2005 - 2010 moderierte er die Schweizer Literatursendung "Seitenwind" in Winterthur. Letzte Erzählungen erschienen im Blitz-Verlag unter "Das Kriegspferd", herausgegeben von Silke Brandt. Im Januar 2015 ging das Phantastikon online, später folgte der gleichnamige Podcast. 2018 gab er die Anthologie "Miskatonic Avenue" heraus, deren Namen jetzt für eine Rubrik im Magazin steht. Wer sich für Metaebenen interessiert, sollte sich den Blog "Crossroads" anschauen: https://crossroads.phantastikon.de

Alle Beiträge ansehen von MEP →

Bleibt bitte freundlich beim Kommentieren.

Das geht hier nicht.

Entdecke mehr von Phantastikon

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen