Es wird Zeit über eine der erfolgreichsten Fantasy-Serien überhaupt zu sprechen. Es gibt nicht wenige Leser, die über all die Jahrzehnte von den tiefgreifenden Auswirkungen sprechen, die das Epos auf sie hatte. Das hört sich natürlich erst einmal ziemlich pathetisch an, aber es ist bei näherem Nachdenken dann doch seltsam passend, über die kapriziösen Wendungen des Schicksals des eigenen Lebens und in diesen Büchern nachzudenken. Tatsächlich kann man nämlich behaupten, dass das Schicksal in der epischen Fantasy eine prominente Stelle besetzt.
Es ist nicht selten das, wonach wir uns in Geschichten sehnen, dieses Gefühl der Mustererkennung. Wir wollen das Signal inmitten des Rauschens finden, die Synchronizität in der Zufälligkeit; wir wollen die Gewissheit, dass (zumindest in der Geschichte) alles etwas zu bedeuten hat.
Und in diesem Sinne liefert Das Auge der Welt mehr als genug. Es wäre nicht zu weit hergeholt zu behaupten, dass dieses Bedürfnis nach Mustererkennung, nach der Existenz des Schicksals, ob man es nun akzeptiert oder dagegen ankämpft, der eigentliche Sinn der gesamten Serie ist.
Und damit begrüße ich euch zu einer Sendung, die sicher nicht die einzige zu diesem Thema bleiben wird.
Das Auge der Welt ist der erste Roman einer Saga, die aus 14 Büchern besteht. Begonnen wurde sie von Robert Jordan im Jahre 1984 – auch wenn das erste Buch erst 1990 erschien -, und beendet von Brandon Sanderson 2013, weil Jordan 2007, nachdem er die ersten 11 Bände geschrieben hatte, an einer Herzmuskelschwäche starb. Sanderson schrieb die endgültigen Fassungen von Sturm der Finsternis, Mitternachtstürme und Das Vermächtnis des Lichts.
Zu den 14 Hauptbänden gibt es noch eine Vorgeschichte mit dem Titel Der Ruf des Frühlings, allgemein auch als Band 0 bezeichnet. Die Bücher sind in einer schönen Aufmachung bei Piper erschienen, gegenwärtig in einer neuen Ausstattung. Eigentlich sollte ich an dieser Stelle noch ein zwei Worte zur jetzt beginnenden Amazon-Verfilmung sagen, aber um ehrlich zu sein, interessiert mich die Adaption nicht besonders. Dass ich gerade zu diesem Zeitpunkt mit den Buchbesprechungen zum Rad der Zeit beginne, ist tatsächlich eher Zufall. Wir leben schließlich in einer Zeit, in der man versucht, alles irgendwie auf den Bildschirm zu bekommen, meist mit einem sehr unglücklichen Ausgang.
Robert Jordans richtiger Name war eigentlich James Oliver Rigney Jr., aber er entschied sich bei der Veröffentlichung seiner Werke für das Pseudonym Robert Jordan. Jordan veröffentlichte auch unter anderen Namen wie Reagan O’Neal, Jackson O’Reilly und Chang Lung.
In der gesamten Serie werden mehrere moderne Konzepte verwendet, die bereits im ersten Buch dieser Reihe angelegt sind. In dieser Hinsicht könnte man sagen, dass Das Auge der Welt ein wenig an die Chroniken von Narnia erinnert. Einige dieser Themen sind im Buddhismus, Hinduismus, Taoismus und Christentum zu verorten. Der Kampf zwischen Gut und Böse oder Dunkelheit und Licht ist ein häufiges Thema, das sich durch den ganzen Roman zieht, ebenso wie das Konzept des Gleichgewichts in der Natur. Tatsächlich erfüllte und veranschaulichte das Auge der Welt bei seinem Erscheinen alle bekannten Fantasy-Tropen so direkt und unverblümt, dass manche schon von einem Rückschritt sprachen. Hier gibt es nichts von der heute üblichen Dekonstruktion der Fantasy, keinen postmodernen Kommentar. Das Rad der Zeit liefert Fantasy der reinsten Form, ohne Umschweife. Mit all den Vorzeichen, Intrigen, Schlachten, Prophezeiungen, Magie, fantastischen Kreaturen, Helden, Schurken, Tausenden von Kämpfern, Gut gegen Böse, dem Schicksal der Welt. Und genau deshalb ist es großartig.
Das Auge der Welt wird von vielen für einige erstaunliche Eigenschaften geliebt, wie z. B. die wunderbar detailreiche Welt, das Magiesystem und die Charaktere. Apropos Charaktere: Davon gibt es eine ganze Menge, nämlich sage und schreibe 258.
Jordans ausgedehnte, von der östlichen Religion inspirierte Hintergrundgeschichte stellt sich die Zeit und die Geschichte als ein riesiges Rad vor. Alle Ereignisse wiederholen sich, wobei zwischen den Epochen eine so große Zeitspanne liegt, dass die Ereignisse der vorangegangenen Ära bequemerweise vergessen wurden, wenn sie wieder auftauchen.
Das Rad der Zeit selbst wird von der Wahren Quelle angetrieben, der „treibenden Kraft des Universums“. Diese Quelle kann nicht aufgebraucht werden, genauso wenig wie ein Fluss durch das Mühlrad aufgebraucht wird. Sie besteht aus einer
männlichen Hälfte (saidin) und einer weiblichen Hälfte (saidar). Nur Männer können magische Energie aus dem saidin schöpfen, nur Frauen aus dem saidar. Zu Beginn der Zeit gab es jedoch einen großen Streit zwischen dem Schöpfer und dem Dunklen. In der Folge wurde das Dunkle gefangen genommen.
Als die Lakaien des Dunklen versuchten, es zu befreien, und die Guten versuchten, es wieder in die Schranken zu weisen, führte der daraus resultierende Krieg zum Zerbrechen der Welt. Dadurch wurde die männliche Hälfte der Wahren Quelle mit dem Bösen befleckt. Seitdem wird jeder Mensch, der nun versucht, Zugang zu saidin zu erhalten, unwiderruflich verrückt. In den darauffolgenden Jahren wurde die Angst vor dem Dunklen durch die Prophezeiung des wiedergeborenen Drachen etwas gemildert, einer heldenhaften Gestalt, die das böse alte Dunkle erneut für immer einsperren wird. Unglücklicherweise wird es einen weiteren Weltuntergang geben, wenn es ihm gelingt.
Robert Jordans „Das Rad der Zeit“ beginnt mit einer ähnlichen Szene wie der Herr der Ringe von Tolkien: Ein schwarzer Reiter folgt dem Protagonisten Rand al’Thor, einem Bauern, der auf dem Weg zu einem kleinen Dorf namens Emondsfelde bei den Zwei Flüssen ist, wo ein Fest stattfindet (ähnlich dem in Tolkiens Auenland und Bilbos 111. Geburtstag)
„Er blickte über die Schulter zurück – und zwinkerte. Nicht weiter als zwanzig Spannen entfernt die Straße hinunter folgte ihnen eine verhüllte Figur auf einem Pferd. Pferd und Reiter wirkten gleich: schwarz, matt, unauffällig.“
Jordans Szene ähnelt zwar der von Tolkien, indem er ein dunkles, bedrohliches Wesen einführt, um die Hauptfigur zu verunsichern, aber Jordan liefert genügend Details, um seine eigene Szene originell zu machen. Von Rands Grübeleien über sein Liebesinteresse, seinen Gesprächen mit seinem Vater Tam bis hin zu dem Gedanken, dass der Reiter selbst nur ein Hirngespinst gewesen ist. Sobald Rand in Emondsfelde angekommen ist, werden uns weitere Charaktere vorgestellt: Egwene (sein Schwarm), seine besten Freunde Matrim Cauthon und Perrin Aybara, und die Dorfheilerin Nynaeve.
Es ist eine Geschichte, die von der Prämisse her fast lächerlich einfach ist: Wie wäre es, wenn das Schicksal dir eines Tages auf die Schulter klopfen und sagen würde: Du darfst der Retter der Welt sein!
Und doch erfährt diese einfache Prämisse in dieser Serie eine erstaunlich komplexe Umsetzung in einer äußerst befriedigend ausgebauten Welt, die in ihrer Tiefe, ihrer Detailgenauigkeit, ihrer inneren Konsistenz und ihrem schieren Umfang offen gesagt atemberaubend ist.
Während für das bevorstehende Fest, auf das sich alle so freuen, alles normal zu sein scheint, kommt ein seltsamer Hausierer in die Stadt und bringt beunruhigende Nachrichten über den Rest der Welt, der einen ungewöhnlich langen Winter erlebt. Inmitten der seltsamen und beunruhigenden Zeiten, in denen sie sich befinden, tauchen auch eine Aes Sedai namens Lady Moiraine und ihr wortkarger Wächter Lan auf und bringen weitere beunruhigende Nachrichten aus den Ländern weit außerhalb der Grenzen. Die Anwesenheit der Aes Sedai fasziniert das kleine Dorf, doch viele sind den Aes Sedai gegenüber misstrauisch, da sie jeden in ihrer Nähe in Gefahr bringen können.
Etwas Beunruhigendes bewegt sich über die Welt und schleicht sich in ihr kleines, abgeschiedenes Dorf. Wölfe greifen ihre Schafherden an, seltsame Vorfälle ereignen sich auf der Straße, und die beunruhigende Sichtung eines schwarzen Reiters durchdringt Rands Gedanken, während er und seine engen Freunde erkennen, dass sie in Emondsfelde vielleicht nicht mehr sicher sind. Denn der Reiter ist auf der Suche nach einem von ihnen, aber nach wem?
Die Magie wird hier zunächst nur angedeutet, vom Ausbruch von Flammen zur Abwehr von Gefahren bis hin zu den Aes Sedai, die einer Schülerin einige ihrer Elemente erklären. Eine interessante Enthüllung ist, dass diejenigen, die diese Fähigkeit besitzen, Probleme bekommen können, wenn sie nicht lernen, sie zu kontrollieren. Robert Jordan hält sich mit Erklärungen hier noch zurück und erklärt nicht alles im Detail. Am Ende des Buches weiß man zwar schon einiges, aber natürlich längst nicht alles. Das ist der Plan: den Leser langsam in seine riesige Welt hineinzuziehen.
Das Auge der Welt nimmt sich Zeit, um seine Charaktere und die Welt als Ganzes vorzustellen. Von der „gefährlichen Zauberin“ der Aes Sedai über unwissende, ängstliche Stadtbewohner bis hin zu einem Gaukler (im Original als Gleeman bezeichnet) und zahllosen anderen Tropen, die in der Serie als Jordans eigene Schöpfung zum Leben erwachen. Und obwohl der Roman eine Weile braucht, um in Gang zu kommen, merkt man das schleppende Tempo nicht, was einmal mehr an Jordans geschicktem Weltenbau liegt. Alles, von den Schindeln auf den Dächern der Dorfhäuser bis hin zu Rands Farm, ist sehr detailliert geschildert.
Wer das nicht mag, wird das Rad der Zeit vielleicht nicht genießen, denn Jordan hat ein Händchen dafür, alles, was er einführt, übermäßig zu beschreiben. Wenn Jordan die Charaktere schließlich auf den Weg bringt, stellt er eine Reihe anderer Städte und Personen vor, während die Hauptdarsteller zumeist mit gelegentlichen Gesprächen am Lagerfeuer oder am Straßenrand in Bewegung bleiben. Natürlich wäre eine Fantasyserie nicht vollständig ohne etwas Action, und davon gibt es in Das Auge der Welt mehr als genug: magische Zaubersprüche, die zur Abschreckung von Feinden eingesetzt werden, angreifende Monster und wilde Verfolgungsjagden (um nur einige zu nennen). Die Welt erwacht unter den Füßen der Figuren wirklich zum Leben, mit interessanten Kulturen wie den zigeunerähnlichen Tuatha’an, die überall Lieder sammeln, wo sie hinkommen, bis hin zu einer Miliz, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, diejenigen aufzuspüren, die mit bösen Wesen im Bunde stehen.
Am Ende des Buches wird man feststellen, dass es sich gelohnt hat, mit dem Lesen zu beginnen. Denn obwohl Jordans erster Teil Elemente von Tolkiens Weltenbau und Dorfbewohnern aufweist, die versuchen, die Probleme der Außenwelt zu ignorieren, entwickelt es sich am Ende zu einer eigenen, einzigartigen Geschichte.
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