schatten von edinburgh

Die Schatten von Edinburgh von Oscar de Muriel (Frey & MacGray #1)

Der viktorianische Krimi, oder die Gothic Mystery, hat mittlerweile eine Vielzahl an Ablegern, so dass man sich wundert, wenn ein neuer Autor für sich beschließt, seine Geschichte ebenfalls in dieser Zeit anzusiedeln. Man fragt sich, ob dieses ganz spezielle historische Setting nicht schon längst überlaufen ist. Meine Antwort darauf ist ein klares Nein, denn auch, wenn es viele Reihen und Romane gibt, die das 19te Jahrhundert aufsuchen, sind wenige davon wirklich herausragend. Es wird wohl kaum möglich sein, die DeQuincey-Trilogie von David Morrell – die wir im Phantastikon bereits besprochen haben – vom Thron zu stoßen, aber auch darunter ist noch eine Menge Platz… für Frey und MacGray.

Das Interessante an Oscar de Muriel, dem Autor der ausgezeichneten Frey und MacGray – Reihe, ist, dass er in Mexico City geboren wurde, also in einem Land, das nicht gerade für sein nebelverhangenes Gaslicht bekannt ist. Er kam ins Vereinigte Königreich, um seinen Doktortitel in Chemie zu machen und arbeitete als Übersetzer, um sich in dieser Zeit über Wasser zu halten. Wer jemals in Großbrittanien war, der weiß, wie einfach es ist, dort die Idee für einen gruseligen Krimi zu bekommen. Während London mittlerweile literarisch überlaufen ist, drängen immer mehr Autoren ins schottische Edinburgh. DeMuriel hat dann auch nicht gezögert, einen Schotten und einen Engländer als Ermittler einzusetzen, deren Gegensätze von Beginn an das raffinierte Hintergrundrauschen bilden, denn es dürfte allgemein bekannt sein, dass hier nicht gerade wenig Konfliktpotenzial vorhanden ist. Sicher kann man behaupten, dass DeMuriel als Ausländer auf Stereotype und Facetten zurückgreift, die Gemeinplätzen ziemlich nahe kommen, aber so einfach sollte man es sich nicht machen, denn man merkt zu keiner Zeit, dass der Autor kein Brite ist. Das allerdings sage ich natürlich selbst als Nicht-Brite.

Was man von einem typischen historischen Roman immer erwarten kann, ist die jeweilige Atmosphäre, die man als Leser genau in der Zeit sucht, in die man sich begibt. Die meisten Leser wissen, was sie wollen, das ist einerseits der Fluch aber auch der Segen der Genres. Es gibt im viktorianischen Krimi zwei definitive Settings: eines gruppiert sich um die Art, wie Sherlock Holmes seine Fälle löste, ein anderes fühlt sich Jack the Ripper verbunden. „Die Schatten von Edinburgh“, das im Original viel passender mit „The Strings of Murder“ tituliert ist, fühlt sich letzterer Figur verbunden, zumindest, was die konkrete Zeittafel betrifft. Es ist 1888 und der Ripper versetzt London in Angst und Schrecken. In Edinburgh allerdings geschieht zur gleichen Zeit ein Mord an einem Geiger und Scotland Yard hat nun die Befürchtung, dass es sich um einen Nachahmungstäter handelt. Da es im CID, dem Crime Investigation Department zu massiven Veränderungen in der Führungsriege kommt, findet sich Inspektor Frey bald als ein Baueropfer wieder. Er hat die Wahl, Scotland Yard zu verlassen, oder den merkwürdigen Fall in Schottland anzunehmen. Er selbst ist aus gutem Hause und hätte es nicht nötig, sich auf Verbrecherjagd zu begeben, aber die Arbeit zum Schutz der Gesellschaft ist die einzige, die ihm etwas bedeutet, und so nimmt er den Fall unter dem vagen Versprechen an, dass er seinen Status als Inspektor in London nach erfolgreicher Mission wiedererlangen könnte.

In Schottland trifft er auf Detective MacGray, in Edinburgh besser bekannt als Nine Nails, weil er nur neun Finger hat, und dessen Sonderabteilung für „Erscheinungen“. Diese Abteilung dient als Deckmantel für die heikleren Fälle, an denen Scotland Yard arbeitet, die nicht selten ins Okkulte abdriften. Es ist zu diesem Zeitpunkt nicht ganz klar, worauf die Geschichte abzielen wird. Frey ist bald genervt von McGrays seltsamen Methoden, seiner Gespensterjagd und der rückständigen Mentalität seiner neuen Kollegen in der Abteilung, aber da sein guter Ruf auf dem Spiel steht, ist er entschlossen, den Fall zu Ende zu bringen und den Schuldigen zu finden. Als jedoch eine Leiche zur nächsten und noch einer weiteren führt, deren Tatorte alle in satanische Umstände getaucht sind, wird Frey klar, dass er vielleicht überfordert ist und McGrays Fachwissen über das Okkulte doch noch braucht.

Trotz der Ernsthaftigkeit des kniffligen Falles ist der Ton des Romans durch den starken Kontrast zwischen dem wohlgeborenen Engländer und den als rückständig dargestellten Schotten, ein beabsichtigt humorvoller, der allerdings gerade deshalb nicht wenig Kritik einstecken musste. Wie ich zu Beginn bereits erwähnt habe, kann DeMuriel natürlich nicht anders, als auf Plattitüden zurückgreifen, die in modernen Zeiten oft absichtlich falsch und negativ verstanden werden, weil kaum mehr jemand den Geist besitzt, zu erkennen, wie gut der Autor den Geist der Zeit eigentlich einfängt und dass ein historisches Setting eben nur dann funktioniert, wenn es dort keine Geschichtsklitterung gibt.

Kein Instrument eignet sich besser für eine teuflische Legende als die Geige. Und die spielt in diesem Roman eine prominente Rolle, vor allem, weil DeMuriel selbst seit Langem Geige spielt. Es fallen Namen wie die der berühmten Geigenbauer Antonio Stradivari und Nicola Amati und natürlich die des großen Virtuosen des Instruments, Niccolò Paganini.  Die Kerngeschichte dreht sich jedoch um Guiseppe Tartini und seine Teufelstrillersonate, die als eine der schwierigsten Kompositionen für die Violine gilt. Tartini hat darüber folgendes geschrieben:

„Eines Nachts im Jahre 1713 hörte ich den Teufel im Traum eine Sonate von derart erlesener Schönheit spielen, dass ich verzückt, hingerissen und verzaubert war; mir stockte der Atem, und ich erwachte. Dann griff ich zu meiner Violine und versuchte die Klänge nachzuvollziehen. Doch vergebens. Das Stück, das ich daraufhin geschrieben habe, mag das Beste sein, das ich je komponiert habe, doch es bleibt weit hinter dem zurück, was mich im Traume so sehr entzückt hatte. Denn wohl hätte ich meine Violine in zwei Teile zerbrochen und die Musik für immer aufgegeben, wenn es mir gelungen wäre, die Freuden jenes Traums tatsächlich aufzuzeichnen.“

Das Geheimnis der Musik und der Virtuosität kokettierte schon immer mit dem Übernatürlichen; und das tut auch dieser Roman. Aber er kippt nie – ähnlich wie die Musik –  in diese Richtung. Die Morde sind raffiniert, der Mörder eine tragische Figur, Frey und MacGray interessant genug, um diese Reihe weiterzuverfolgen.

Das Buch erschien bereits 2017 bei Random House und umfasst derzeit sechs Bände von den geplanten neun.

MEP

MEP

Michael Perkampus wurde am 2. April 1969 im Fichtelgebirge geboren. Als Solitär der deutschen Literatur arbeitet er in seinen Texten mit "Bewusstseinsfragmenten" und "Synkopen", einer "philosophischen Phantastik". Von 2005 - 2010 moderierte er die Schweizer Literatursendung "Seitenwind" in Winterthur. Letzte Erzählungen erschienen im Blitz-Verlag unter "Das Kriegspferd", herausgegeben von Silke Brandt. Im Januar 2015 ging das Phantastikon online, später folgte der gleichnamige Podcast. 2018 gab er die Anthologie "Miskatonic Avenue" heraus, deren Namen jetzt für eine Rubrik im Magazin steht. Wer sich für Metaebenen interessiert, sollte sich den Blog "Crossroads" anschauen: https://crossroads.phantastikon.de

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