Wenn ich heute von der Legende von Sleepy Hollow spreche, dann dreht es sich explizit um die Geschichte von Washington Irving, die ja bereits mehrere Male verfilmt und die direkt von der Sage beeinflusst wurde. Einen Artikel (und Podcast über den kopflosen Reiter gibt es bereits im Phantastikon). Die Unterschiede liegen auf der Hand. Hier wurde ein Stoff fiktionalisiert, der schon lange im Umlauf war.
Die Legende ist sowohl eine charmant-kuriose Geschichte über die Versuche eines unbeholfenen Lehrers, die Tochter eines reichen Gutsbesitzers zu umwerben, als auch eine Charakterisierung des gotischen Schreckens, wie er in Geschichten wie Das Schloss von Otranto, Der Käfer oder Dracula vorkommt.
Die Erzählung beginnt mit einer anschaulichen Schilderung des nahe gelegenen New Yorker Städtchens Tarry und der umliegenden Landschaft. Mit der Einführung von Sleepy Hollow wird man auf angenehme Weise in die Landschaft des 18. Jahrhunderts hineingezaubert, komplett mit gruseligen Ursprungsgeschichten, die die emotionale Ästhetik des Lesers anregen:
„Ein schläfriger, träumerischer Einfluss scheint über dem Land zu liegen und die gesamte Atmosphäre zu durchdringen. Einige sagen, dass der Ort in den frühen Tagen der Besiedlung von einem deutschen Arzt verhext wurde; andere, dass ein alter Indianerhäuptling, der Schamane oder Zauberer seines Stammes, hier seine Hexentreffen abhielt, bevor das Land von Meister Hendrick Hudson entdeckt wurde. Sicher ist, dass der Ort noch immer unter der Herrschaft irgendeiner Hexenkraft steht, die den Geist der guten Menschen in ihren Bann zieht und sie in ständiger Träumerei verharren lässt.“
Ichabod Crane ist ein schillernder, aber unbeholfener Charakter, der bei seinen Bemühungen um Katrina Van Tassel zu scheitern droht. Eigentlich hätte er sich darauf konzentrieren sollen, die örtlichen Schulkinder zu unterrichten, denn obwohl er streng in seinen Lehren war, schien es, dass die Gemeinde ihn wirklich für seine Dienste schätzte. Erst als er sich für Katrina entscheidet, nicht nur wegen ihrer Schönheit, sondern vor allem wegen des schönen Hauses und der großen Ländereien, die im Paket enthalten sind, verlässt er seine Komfortzone und gibt sich der Lächerlichkeit preis.
Denn Ichabod ist kein guter Fang für die holländische Bauerntochter. Ichabods Körperbau lässt sich als „Vogelscheuche, die aus dem Kornfeld entlaufen ist“ zusammenfassen. Und im Vergleich zu seinem Rivalen Brom Van Brunt, der ein geschickter Reiter und von muskulösem Körperbau ist, hat der arme Ichabod keine Chance, Katrinas Hand zu gewinnen.
Irving gelingt es auf wunderbare Weise, den Spagat zwischen der reizvollen Gesellschaft der New Yorker Kleinstädte und dem Schrecken des Unbekannten in der ländlichen Umgebung zu meistern. Sein meisterhafter Sprachgebrauch verstärkt die Vorahnung, die sich im Laufe der Geschichte stetig steigert, von dem Moment an, als Ichabod zum ersten Mal die Geistergeschichte des kopflosen Reiters hört, bis zu seiner schicksalhaften Heimfahrt.
Eine kurze Bemerkung zu seinem Sprachgebrauch: Sprachliebhaber werden sich freuen, einige Wörter zu entdecken, die bis ins 14. Jahrhundert zurückreichen. So taucht zum Beispiel wight, was so viel wie „Person“ bedeutet, sowohl in Irvings Geschichte als auch in Chaucers Canterbury Tales auf, die in Mittelenglisch geschrieben sind.
Die Legende von Sleepy Hollow ist ein Märchen, das ich in den letzten Jahren immer wieder gelesen habe. Im Oktober (oder Dezember) krame ich mein Exemplar von Irvings Gruselgeschichte hervor und versetze mich ins 18. Jahrhundert, in das Jahr 1790, um die emotionale Ästhetik des Erhabenen zu genießen: den Schrecken. Dieser Schrecken wird am besten durch eine stetige Steigerung des Erhabenen veranschaulicht, wenn Ichabod durch die gespenstische Landschaft reitet und sich das auf den Leser überträgt, wenn er versucht, vor dem kopflosen Reiter zu fliehen.
Der beste Teil der Legende ist natürlich die Ankunft des kopflosen Reiters selbst. Wenn der geisterhafte Reiter die Szene betritt, jagt er jedem Leser einen Schauer über den Rücken. Interessant ist, dass Irving die Legende schrieb, während er durch Europa reiste und dabei zweifellos eine Vielzahl von Legenden über den kopflosen Reiter hörte. Wer darüber Genaueres wissen möchte, kann – wie bereits gesagt – die entsprechende Sendung hier im Phantastikon hören.
Um einen weit verbreiteten Glauben zusammenzufassen, wird das Erscheinen des kopflosen Reiters in der Regel von intriganten Abweichlern heimgesucht, die sich in Angelegenheiten einmischen, in die sie sich nicht einmischen sollten. Es wird auch angenommen, dass Ichabods Name von einem Armeekapitän in Sackets Harbor namens Ichabod Bennet Crane gestohlen wurde, und dass das Benehmen der Figur an Jesse Merwin, einen örtlichen Schulmeister in Kinderhook (New York), angelehnt ist. Angeblich war der Namensvetter des törichten Schulmeisters nicht sehr erfreut darüber, dass sein Name einer so lächerlichen Figur verliehen wurde.
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