Die dreizehnte Geschichte

Die dreizehnte Geschichte von Diane Setterfield

Im Jahre 2006 war Diane Setterfield eine der meistdiskutierten Autorinnen der Welt, da war ihr Debütroman noch nicht einmal erschienen. Der Grund, warum diese englische Akademikerin für so viel Aufregung sorgte lag an einem Bieterwettstreit, den man sich auf beiden Seiten des großen Teiches zehn Tage lang lieferte, denn jeder wollte “Die dreizehnte Geschichte” unbedingt als erster haben, nachdem das Manuskript bei einem Schreibseminar, bei dem es eigentlich um die Frage ging, wie man es schafft, ein Buch zu veröffentlichen, von dem Autor Jim Crace entdeckt wurde. Dadurch wurden einige Verleger aufmerksam. Schließlich ging das Manuskript für unglaubliche 800.000 Pfund in Großbritannien und für 1 Million Dollar in den USA an die jeweiligen Gewinner. Mehrere Übersetzungsverträge wurden gleich mit unterschrieben und von Anfang an standen die Filmemacher Spalier. Das waren Dimensionen, die man bis dahin nur von Stephen King kannte (einige werden an JK Rowling denken, aber die hatte einen ganz anderen Weg zu gehen).

Natürlich war das für Setterfield, Lehrerin für französische Literatur und Sprache ein enormer Erfolg, denn bis dahin hatte sie nur einige Artikel zur Literaturtheorie in Magazinen veröffentlicht. Allerdings wurde es schnell auch wieder still um die Autorin, die erst sieben Jahre später dem an Poe angelehnten Roman “Aufstieg und Fall des William Bellman” von sich hören ließ. Am 1. Oktober (2020) erscheint mit deutlicher Verzögerung nun ihr dritter Roman von 2018 auch in deutscher Sprache – woran sich das verhaltene Interesse durchaus messen lässt. Das aber liegt nicht an Setterfiled sondern an der schnelllebigen Zeit, in der so viel Müll alle Kanäle verstopft und immer schneller dem Neuen nachgejagt wird, das in den meisten Fällen ohnehin von minderer Qualität ist. So viele großartige Veröffentlichungen wie man vielleicht glauben mag, wenn man die Veröffentlichungsfluten sieht, gibt es nämlich gar nicht. Ganz im Gegenteil nimmt die Masse zwar beständig zu, die Qualität aber seit Jahrzehnten beständig ab. Und die meisten Leser sind schlechte Leser – und werden immer schlechter.

Was das Buch anbelangt, das all diese verrückte Aufmerksamkeit erregt hat, so liefert Setterfield mit der Geschichte von Margaret Lea einen der faszinierendsten Romane, die in diesem Jahrzehnt herausgebracht wurden. Die zurückgezogene, schlichte Margaret verbringt ihre Tage damit, in der Buchhandlung ihres Vaters zu arbeiten, wo sie ihre Faszination für berühmte Schriftsteller entfacht. Geprägt von der Entdeckung, dass sie mit einem Zwilling an ihrer Seite geboren wurde, dessen Tod ihr das Überleben ermöglichte, lebt sie ruhig und beschaulich, liest unersättlich und schreibt zum Vergnügen gelegentlich an kleinen Biografien.

Als sie einen Brief von der legendären Vida Winter erhält – einer Romanschriftstellerin, die dafür berüchtigt ist, mit Journalisten zu spielen und ihre eigene Lebensgeschichte immer wieder neu zu erfinden -, steckt darin ein höchst faszinierendes Angebot.

Da Vida altert und kränkelt, möchte sie endlich mit ihrer Vergangenheit ins Reine kommen und Margaret ihre wahre Geschichte erzählen. Was folgt, ist ein labyrinthischer Abstieg in die seltsame und erschreckende Geschichte von Vidas Vergangenheit und ihrer bizarren Familiengeschichte. Kritiker haben “Die dreizehnte Geschichte” an die Seite so großer literarischer Koryphäen wie Charlotte Brontë und Daphne du Maurier gestellt und Setterfields anmutige Erzählstimme herausgestellt. Und natürlich ist dieser Roman eine klug konzipierte Hommage an den klassischen Mystery-Stil und die romantische Gothic Novel. Jane Eyre ist dann auch das Buch, das Setterfield in die Handlungs-Substanz einwebt und dessen gotische Elemente gekonnt in eine eigentümliche Erzählung von Wahnsinn, Mord, Inzest und dunklen Geheimnissen einfließen.

Margaret ist entmutigt, aber Miss Winter, eine bizarre Kombination aus Miss Havisham und Norma Desmond, lockt sie mit einer unwiderstehlichen Geschichte an. “Es war einmal”, sagt sie, “Es war einmal ein Spukhaus… eine Bibliothek… “Es waren einmal Zwillinge.” Margaret ist ist augenblicklich gebannt. Und ein guter Leser ist es ebenfalls.

So beginnt also die unglaubliche Geschichte von Angelfield House, der Ruine, in der der Schriftsteller aufgewachsen ist. Wir begegnen den seltsamen Kindern Charlie und Isabelle, deren sadomasochistische Bindung inmitten von Elend und Verwahrlosung aufblühen darf. Noch merkwürdiger sind Isabelles Nachkommen, die wilden rothaarigen Zwillinge Adeline und Emmeline, die Amok laufen und sich in einer ganz eigenen Zwillingssprache verständigen.

Alle Elemente sind an Ort und Stelle: das fremdartige Haus, der Formschnittgarten, die alte Bibliothek, treue alte Gefolgsleute und die ständige vage Möglichkeit des Übernatürlichen. Dabei ist der Roman nicht gänzlich ohne Schwächen. Am Ende geht es vielleicht ein wenig aufgesetzt darum, all die losen Enden miteinander zu verbinden. Nichtsdestotrotz ist dieser Roman ein Buch über die Freude an Büchern, ein fesselndes, vielschichtiges Mysterium, das sich dreht und wendet und über den größten Teil seinen recht magischen Zauber entfaltet.

Das Buch gibt es bei Random House.

Pulp Matters

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Hat sich in Studien durch die Weltliteratur arbeiten müssen, fand schließlich mehr Essenz in allem, was mit Krimi und Horror zu tun hat.

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