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Die Augen der Heather Grace / David Pirie

Wir sind nie in den Genuss der bemerkenswerten Krimis gekommen, die David Pirie anfangs der 2000 für die BBC produzierte. Die zweiteilige Geschichte „Murder Rooms: The Dark Beginnings of Sherlock Holmes“ wird auf der Insel zu den besten Präsentationen gezählt, die das Fernsehen auf diesem Sektor je geschaffen hat. Allerdings muss man dazusagen, dass es zu dieser Zeit die Sherlock-Serie noch nicht gab, die erst 2010 ausgestrahlt wurde.

Insgesamt sollte es die Serie, die an die frühen Hammer-Filme und den amerikanischen Film Noir der 1940er Jahre erinnert, auf sechs Filme bringen. Dass sie trotz des Erfolges eingestellt wurde, ist nach wie vor eines der großen Rätsel, hat aber wohl mit BBC-Interna zu tun. Sie kam viele Jahre zu früh und würde heute ganz anders behandelt werden.

Die Informationen, die Pirie für die Filme als auch für die Bücher verwendet hat, und die eine der Grundlagen für die Entwicklung der Figuren Holmes und Watson (hier Bell und Doyle) bilden, basieren zum Teil auf den Briefen und Schriften des Dr. Joseph Bell, der Doyles Lehrer und Mentor war, als der junge Autor als Medizinstudent an der Universität Edinburgh eingeschrieben war.

Dr. Joseph Bell wird die Geburtsstunde der forensischen Wissenschaft zugeschrieben, da er bei seiner Arbeit wissenschaftliche Beobachtungstechniken einsetzte und diesen Aspekt erstmals in die Verbrechensbekämpfung einbrachte.

Es wird berichtet, dass Dr. Bell an einer Reihe von kriminalpolizeilichen Ermittlungen beteiligt war, indem er der Polizei durch seine Beobachtungen Informationen über das Opfer eines Verbrechens, den Tatort und den möglichen Täter lieferte.

Einigen Berichten zufolge war er sogar an den Ermittlungen bei der Jagd nach Jack the Ripper im Jahr 1888 in London beteiligt. Gerüchten zufolge untersuchte Dr. Joseph Bell die Tatorte der Ripper-Morde und nutzte seine Beobachtungen, um den Namen eines Verdächtigen herauszufinden, der in einem Umschlag versiegelt wurde. Allerdings wurde über diesen Verdächtigen nichts weiter bekannt.

Es ist zwar seit etwa 1890 allgemein bekannt, dass Dr. Bell das Vorbild für Sherlock Holmes war, wobei gesagt werden muss, dass Joseph Bell eben nicht Sherlock Holmes ist. Einen ganz erheblichen Einfluss hatte nämlich Edgar Poe mit seinem Auguste Dupin, ohne den Doyle die Feder vermutlich gar nicht in die Hand genommen hätte.

Für die drei Romane, die den jungen Arzt Conan Doyle als Erzähler auftreten lassen, kann man als Sherlock-Holmes-Fan nicht dankbar genug sein. Es steht zwar zu vermuten, dass jene Leser, die ihren Fokus nicht so sehr auf dem Viktorianischen oder Holmes haben, nicht ganz so begeistert reagieren – vor allem, weil sie die zahlreichen Hinweise gar nicht genießen können -, aber dennoch ist das hier ein außerordentlicher Beitrag zum Genre, der n einigen Stellen ganz bewusst auch an die damals sehr beliebten Penny Dreadfuls erinnert, die auf den viktorianischen Geschmack des Makabren ausgerichtet waren, denn bei aller Etikette waren die Leser des vereinten Königreichs zu dieser Zeit sehr an der Sensation interessiert.

Dass die drei Bücher etwas stiefmütterlich behandelt wurden, liegt wohl gerade daran, dass man der Vermischung von Film und Literatur allgemein skeptisch gegenüber steht und das natürlich auch zurecht. Wenn ein Buch verfilmt wird, kann man wie selbstverständlich davon ausgehen, dass der Film hier den Kürzeren zieht, wenn aber ein Buch erst nach der filmischen Umsetzung geschrieben wird, wittert man – in den meisten Fällen völlig zurecht – ein absolut minderwertiges Produkt. Mit Piries Die Augen der Heather Grace haben wir es allerdings nicht mit einem Buch zum Film zu tun, sondern mit einem brillanten Krimidebüt, das zwar Elemente übernimmt, die auch in der Serie vorkommen, aber sich dennoch völlig davon unterscheidet. Das ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass Pirie in erster Linie ein Autor ist, der sich intensiv mit der Schauerliteratur als auch mit dem frühen Horror-Kino auseinandergesetzt hat.

Als Drehbuchautor hat sich Pirie einen Ruf für seine originellen Noir-Thriller, Klassikeradaptionen und zeitgenössischen Gothic-Stoffe erworben. Er wurde für seine Verfilmung des Romans „Die Frau in Weiß“ von Wilkie Collins hoch gelobt.

Der junge Dr. Doyle, der nach einem tragischen Verlust versucht, einen Neuanfang zu machen, verstrickt sich in die Angelegenheiten einer Patientin mit ungewöhnlichen Augen, Miss Heather Grace. Die künftige Erbin, die den Angriff eines Verrückten überlebt hat, der ihre Eltern ermordet hat, wird nun von einer alptraumhaften Gestalt terrorisiert, die ihr auf dem Weg zu und von ihrem neuen Zuhause folgt. Die Handlung leiht sich Elemente aus mehreren Holmes-Geschichten („Das gefleckte Band“, „Der einsame Radfahrer“ und „Wisteria Lodge“), die angeblich nur „fiktionalisierte“ Versionen des realen Rätsels sind, mit dem sich Bell und Doyle auseinandersetzen. Dass sich Doyle in seine Patientin verliebt, verkompliziert seine und Bells Ermittlungen in mehreren Mordfällen. Zu den Verdächtigen gehören der furchteinflößende Onkel der jungen Frau, der eine große Sammlung giftiger Kreaturen unterhält, ihr ewig lächelnder Verlobter und ein skrupelloser Arzt. Pirie versteht es meisterhaft, Spannung zu erzeugen, und einige Passagen sind wirklich schauerlich. Doyle, eine schmerzhaft menschliche und sympathische Figur, deren Schwächen die Handlung vorantreiben, und Bell, ein sehr glaubwürdiger Holmes-Ersatz, sind ihrem subtilen und gerissenen Antagonisten ebenbürtig. Die beunruhigende Auflösung ist ein perfektes Ende für diesen schwer fesselnden und atmosphärisch dichten Thriller.


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