Dashiell Hammett gilt als einer der Meister des Kriminalromans, doch seine literarische Karriere war kurz und intensiv. Er begann als Autor von Pulp-Fiction-Geschichten, die er in hohem Tempo und mit großem Geschick verfasste. Zwischen 1922 und 1927 schrieb er mehr als hundert solcher Geschichten für verschiedene Magazine und erfreute seine Fans mit spannenden Plots und scharfsinnigen Dialogen.
Obwohl er vor allem für seine Kurzgeschichten bekannt war, schuf Hammett auch fünf Romane, die zu Klassikern des Genres wurden. Nach seinem letzten Roman im Jahr 1934 hörte er jedoch auf zu schreiben und widmete sich anderen Aktivitäten, wie dem politischen Engagement und dem Verfassen von Drehbüchern. Er starb 1961 ohne weitere nennenswerte literarische Werke hinterlassen zu haben.
Der Malteser Falke ist der bekannteste Roman in dieser Fünfer-Reihe. Der Titel ist bereits bezeichnend: das nebelverhangene San Francisco, die Statuette eines feierlichen schwarzen Vogels mit steifen Flügeln, Schießereien in Hinterhöfen und mysteriöse Pakete, die per Schiff aus Hongkong eintreffen.
Es sollte betont werden, dass Hammett, bevor er zur Feder griff, selbst ein Privatdetektiv wie sein Alter Ego Sam Spade war. Allzu oft wird seine Erfahrung als Pinkerton-Agent von seinen loyalen Fans als Trumpfkarte behandelt, als Beweis dafür, dass Hammetts Werk im Vergleich zu den Krimis der „Amateure“ auf diesem Gebiet authentisch ist.
Trotzdem ist Der Malteser Falke kein realistischer Roman, sondern ein spannender Krimi, der die Leser von Black Mask, dem berühmten Magazin für Detektivgeschichten, begeisterte. Hammett hatte ein besonderes Talent, originell und lebhaft zu schreiben. Raymond Chandler lobte ihn dafür, dass er „Szenen schrieb, die noch nie zuvor geschrieben worden waren“. Deshalb gilt Hammett heute als einer der besten Schriftsteller seines Genres, während viele seiner Kollegen von Black Mask in Vergessenheit geraten sind.
Hammett hatte also Erfahrung als Privatdetektiv und kannte die Realität dieses Berufs. Er wusste, dass man nicht immer auf Gewalt zurückgreifen muss, um an Informationen zu kommen. Er wusste, dass man oft genug alles erfährt, was man wissen muss, wenn man sich einfach hinsetzt und ehrlich redet. Keine Blendgranaten, kein Trommeln auf den Tisch, kein „guter Cop/böser Cop“.
Sam Spade
In San Francisco ermittelt Sam Spade, ein Privatdetektiv, der seinen Glauben an das Gute verloren hat. Er wird von einer Frau kontaktiert, die behauptet, sie brauche seine Hilfe, um einen Mann namens Thursby zu verfolgen, der ihre Schwester entführt habe. Spades Kollege Archer nimmt den Fall an und bezahlt dafür mit seinem Leben. Thursby wird auch ermordet, und Spade gerät in ein Netz aus Intrigen und Lügen, als die Frau ihren Namen mehrmals wechselt, verschiedene zwielichtige Gestalten auftauchen, die alle denken, dass er etwas über eine geheimnisvolle schwarze Vogelstatue weiß, und die Polizei ihn für einen Hauptverdächtigen hält. Spade muss sich mit korrupten Cops, skrupellosen Gangstern und verführerischen Frauen auseinandersetzen, um diesen Fall zu überleben. Er muss auch herausfinden, wem er trauen kann … und wer ihm trauen kann. Und was würden die Leute nicht alles tun, um diesen legendären Falken zu bekommen?
Ein spannender, dramatischer, actionreicher Krimi. Ein harter, fehlerhafter Detektiv. Eine rätselhafte Frau mit mehr Kurven als eine Serpentinenstraße. Das sind die berühmten Zutaten für diesen Meilenstein. Doch es steckt mehr dahinter.
Die Flitcraft-Parabel
Eine berühmte Passage in diesem Roman ist die sogenannte Flitcraft-Parabel, die zwar nie explizit so genannt wird, aber im Laufe der Zeit diesen Namen erhalten hat. Es ist eine kurze Erzählung, die Sam Spade der verführerischen Brigid O’Shaughnessy vorträgt. Spades Erzählung scheint nichts mit dem Fall des Malteser Falken zu tun zu haben, nichts mit den verschiedenen Charakteren, die in San Francisco dem Falken nachjagen, nichts mit der eigentlichen Handlung. Die Erzählung ist ein Rätsel, aber nicht im Sinne einer Auflösung, sondern im Sinne einer Deutung. Warum erzählt Spade diese Geschichte O’Shaughnessy? Was will er damit sagen?
Die Geschichte wird oft als Beispiel für die „existenzielle“ oder „hartgesottene“ Weltsicht von Hammett angeführt.
Flitcraft war ein erfolgreicher Geschäftsmann und glücklicher Familienvater in Tacoma, bis er eines Tages einem tödlichen Unfall entging. Ein schwerer Balken stürzte von einem Gebäude und verfehlte ihn nur knapp. Dieses Erlebnis erschütterte Flitcrafts Weltbild. Er erkannte, dass das Leben chaotisch, unvorhersehbar und sinnlos war und beschloss, seine alte Identität hinter sich zu lassen und ein neues Leben zu beginnen.
Er reiste durch verschiedene Städte, ohne sich lange irgendwo niederzulassen. Er heiratete wieder und gründete eine neue Familie in Spokane. Seine erste Frau beauftragte Spade, ihn zu finden. Er fand ihn schließlich und fragte ihn nach seinen Beweggründen. Flitcraft sagte ihm, dass er nach dem Unfall das Gefühl hatte, dass das Leben keinen Sinn mehr hatte. Er wollte etwas Neues ausprobieren, etwas anderes erleben. Er sagte auch, dass er sich mit der Zeit an die Gefahr gewöhnt hatte und dass sein neues Leben nicht viel anders war als sein altes.
Die Parabel ist aus den Elementen Skandal, Leichtsinn und Untreue aufgebaut, aber als man ob man einen Brotteig knetet, lässt Hammett die klebrige Salzigkeit herausquellen und abfallen. Die drei Figuren – Spade, Flitcraft und seine Frau – fügen sich einfach in das, was geschehen ist, ohne sich zu beschweren oder Aufhebens zu machen.
Der Malteser Falke ist nicht nur ein gewöhnlicher Kriminalroman, sondern eine ungewöhnliche Geschichte, ohne dass man das näher beschreiben müsste. Hammett bietet keinen Helden oder ein Opfer, mit dem man sich identifizieren kann, keinen epiphanischen Moment und keine Moral am Ende.
Spade verwendet die Flitcraft-Parabel als eine Art persönliches Manifest. Er glaubt, dass es eine objektive Wahrheit gibt, die es wert ist, verfolgt zu werden, auch wenn man am Ende vielleicht nichts Neues erfährt. Aber er glaubt auch an den Einfluss des Zufalls, der das Leben unvorhersehbar und spannend macht. Spade ist kein rationaler Detektiv wie Sherlock Holmes. Er betrachtet die Welt nicht als eine logische Maschine, in der eine Tatsache zwangsläufig zu einer anderen führt. Spade ist ein Spieler, der Risiken eingeht, der täuscht und getäuscht wird.
Eines der bemerkenswertesten Merkmale des Romans ist die Erzählperspektive, die Hammett gewählt hat. Der Roman ist in der dritten Person geschrieben, aber aus der Sicht von Spade. Das heißt, wir sehen alles, was Spade sieht, hören alles, was er hört, und erfahren nur das, was er erfährt. Wir bekommen keinen Einblick in seine Gedanken oder Gefühle, sondern müssen sie aus seinem Verhalten und seinen Dialogen erschließen. Das macht den Roman spannend und rätselhaft, denn wir wissen nie genau, was Spade vorhat, was er weiß oder was er fühlt.
Ein gutes Beispiel dafür ist seine Beziehung zu Brigid O’Shaughnessy. Brigid ist eine Lügnerin und eine Mörderin, die Spade mehrmals zu täuschen versucht. Spade scheint sich zu ihr hingezogen zu fühlen, aber er vertraut ihr nicht. Er arbeitet mit ihr zusammen, aber nur, um den Falken zu finden.
Wir können nur spekulieren, was Spade für Brigid empfindet. Das ist das eigentliche Geheimnis von Der Malteser Falke, nicht der Whodunnit, sondern Was weiß Sam Spade, und wann weiß er es? Wenn es um Brigid geht, hat Sam Spade sie ziemlich gut durchschaut, so wie er wusste, dass er Flitcraft finden würde, als er nach Spokane reiste. Spade ist ein Profi, der sich nicht von seinen Emotionen leiten lässt. Er folgt seinem eigenen Ehrenkodex und ist bereit, die Konsequenzen zu tragen.
Hammett schafft es, uns mit seiner knappen und präzisen Sprache in den Bann zu ziehen und uns an der Seite von Spade zu halten. Er lässt uns teilhaben an seinem Abenteuer, aber nicht an seinem Inneren.
Der Roman wurde dreimal verfilmt, am bekanntesten ist die Version von 1941 mit Humphrey Bogart als Spade.
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