Bram Stokers Original: The Jewel of Seven Stars von 1903, das dem Subgenre der Gothic Fiction angehört, genauer: dem Gothic Horror, einer Vermischung der Schauergeschichte mit der Romantik, und vom Bastei Verlag 1981 unter dem Titel Die sieben Finger des Todes verlegt wurde, erschien sechs Jahre nach Veröffentlichung seines heutigen Bestsellerromans Dracula. Wenn auch den Kennern und Liebhabern der Phantastik bekannt, zählt der Roman hierzulande doch zu seinen weniger bekannten Werken. Schon zu seiner Zeit reagierte die englische Leserschaft eher verhalten. Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass das Original unzähligen Verfilmungen als Vorlage oder Inspirationsquelle diente und bis heute noch dient. Bekannteste Adaptionen sind: Seth Holts Blood from the Mummy’s Tomb / Das Grab der blutigen Mumie (1971), Mike Newells The Awakening / Das Erwachen der Sphinx (1980) und Jeffrey Obrows Bram Stoker’s Legend of the Mummy (1997).
Ägyptomanie in England
The Jewel of Seven Stars enthält typische Fin de siècle-Themen wie etwa den Imperialismus, die Erstarkung eines neuen weiblichen Bewusstseins und auch soziale Fragen. Deutlich melodramatische Tendenzen des viktorianischen Theaters sind erkennbar. Bram Stoker, der ein großer Kenner der ägyptischen Mythologie war, hatte am Trinity College Orientalistik studiert und verwendete große Sorgfalt auf die Darstellung der Details. Was nicht verwundert, da das viktorianische England, das sich von der ägyptischen Kultur fasziniert zeigte, ja sogar eine regelrechte Ägyptomanie entwickelte, bereits 1882 mit dem Versuch begann, Ägypten zu kolonisieren. Was natürlich die Überführung der aufsehenerregenden Artefakte dieser Kultur erheblich erleichtern würde. Es wurde zur Mode, Mumien und Särge öffentlich in Bibliotheken und Museen zur Schau zu stellen. Auf sogenannten Mumienpartys wickelte man die Toten sogar aus. In der Literatur der Zeit kam der Plot des Fluchs der Mumie immer mehr zum tragen und erreichte schließlich seinen Höhepunkt in der viktorianischen Erzählung in Form der Erotisierung weiblicher Mumien, die stets als überirdisch schön und geheimnisvoll beschrieben wurden.
Doch woran liegt es, dass eine prominente Riege, bestehend aus solchen wie Frankensteins Monster, Dracula, Dr. Jekyll und Mr. Hyde, ohne Mumie auskommen muss?
Die Antwort ist leider einfach. Es liegt an der Umsetzung und Ausführung des Stoffes. An der wenig Spannung erzeugenden, geradlinigen Erzählstruktur Stokers, der allzu pedantischen Beschreibung und Aufführung der ägyptischen Artefakte und an den teilweise kaum nachvollziehbaren Motiven seiner Figuren. Die Literaturwissenschaftlerin Ruth Perry, die sich ausgiebig mit dem Werk Stokers beschäftigt hat, kommt zu dem Ergebnis, dass er versuchte, den Prosarhythmus von Walt Whitman nachzuahmen.
Warum gerade dieses Werk?
Und das bringt mich zur nächsten Frage. Die da nicht wäre: Warum gerade dieses Werk? Denn: Warum denn nicht?! – Hat Stoker uns doch mit diesem Werk einen wichtigen Beitrag zur Mythologie der Mumie hinterlassen. Was aber war das Ziel derjenigen, die diesen Roman zu einem Hörspiel aufbereiten wollten? Und ist es ihnen gelungen? Denn für diese Review ist es notwendig zu wissen, dass sich die Macher dieses Hörstücks einer zweiten, späteren Fassung von 1912 angenommen haben, die uns ein anderes, alternatives Ende präsentiert. So wurde das Chapter XVI „Powers – Old and New“ zugunsten eines glücklicheren Endes gestrichen. Auch wurde einiges andere verändert. Warum, wieso, weshalb nun diese Fassung, dazu möchte ich später erst kommen. Daher erst einmal zum Hörstück:
Wir schreiben das Jahr 1904. Sind in London. Im Haus des Archäologen Abel Trelawny, einem Liebhaber und Sammler ägyptischer Altertümer, der, es ist gerade Nacht, in ein mysteriöses Koma gefallen ist. Blut und Wunden am linken Handgelenk weisen auf einen Täter hin. Die erste, die ihn vor seinem Tresor liegend findet, ist seine Tochter Margaret, die gerade zu Besuch ist und sogleich den Rechtsanwalt Malcolm Ross durch einen Brief verständigt und zur Hilfe ruft. Auch ein gewisser Sergeant Daw von Scotland Yard ist gerufen worden und bei Eintreffen des jungen Anwalts von Abel Trelawny bereits im Hause.
Interessanterweise hat Margarets Vater, der seit geraumer Zeit Forschungen über die ägyptische Königin Tera anstellt, mit diesem Vorfall gerechnet, wie wir durch einen Brief erfahren, der an seine Tochter gerichtet ist, in dem er verfügt, wie mit ihm weiter verfahren werden soll und welche Vorkehrungen zu treffen sind. Drei Dinge sind zu beachten: Er darf sein Arbeitszimmer nicht verlassen. Ebenso darf keine der ägyptischen Raritäten von ihrem Platz genommen werden. Alles soll so bleiben wie es ist. Und er selbst muss immer von zwei Personen bewacht werden. Ross, der in Margaret verliebt ist, freut sich mit ihr die erste Nacht bei ihrem Vater verbringen zu dürfen. Doch es kommt anders, da Margaret den ganzen Tag nicht von seiner Seite gewichen war und somit am Abend zu müde ist die erste Nachtwache zu halten. So muss Malcolm mit Schwester Kennedy vorliebnehmen. Die Wache ist jedoch nur von kurzer Dauer, denn sowohl Malcolm, der in einen tranceähnlichen Zustand fällt, in dem er jene weibliche Stimme vernimmt, die ihn an Margaret erinnert, die Abel Trelawny schon hörte, die ihn ebenso auffordert:
„Vollzieh‘ das Ritual! Befreie mich! Bring‘ mich zurück! Du kannst es. Tu es! Ich will leben. Leben!!!“
— als auch Schwester Kennedy, die nun ebenso wie Abel in einem komatösen Zustand gefangen ist, schaffen es nicht, den Archäologen zu beschützen und des Rätsels Lösung zu offenbaren. Denn auch er ist erneut angegriffen worden, liegt wieder am Boden vor seinem Tresor. Alle Anwesenden versammeln sich und überlegen erneut was zu tun ist. Sergeant Daw äußert Ross gegenüber sogar Zweifel an Margarets Unschuld, da sie immer als erste am Tatort erscheint. Auch ihr Perserkater Silvio, der auf Kriegsfuß bzw. Kriegspfote mit ihrem Vater steht, der, nähert er sich dem Sarkophag von Tera und ihrer ebenso mumifizierten Tigerkatze, immer furchtbar zu fauchen beginnt, rückt, nach der Begutachtung des Opfers Trelawny von Dr. Winchester, in den kleinen Kreis der Verdächtigen. Die Schnitt- bzw. Kratzwunden am linken Handgelenk des Archäologen sprechen dafür. Zumal er an diesem ein Armband mit einem Schlüssel trägt, der zum Tresor gehört, der zusätzlich von einem Kombinationsschloss mit sieben Buchstaben gesichert wird. Jemand versucht also ins Innere des Tresors zu kommen.
Dr. Corbeck, ein alter Archäologenfreund von Abel Trelawny, mit dem er damals gemeinsam das Grab von Tera aufgesucht hatte, betritt das Haus. Beide stützten sich damals auf Nicholas van Huyn, der 1650 in Amsterdam ein Dokument verfasste, in dem er das ‚Tal des Magiers‘ beschrieb, eine geheime Begräbnisstätte der alten Ägypter, und in dem auch Teras Grabkammer Erwähnung findet. Mehr und mehr bringt Corbeck Licht ins Dunkel der Geschichte. Er erzählt von den sieben antiken Leuchten, die er auf einer seiner Expeditionen, die Trelawny in Auftrag gegeben hatte, entdeckte. Sieben Leuchten. Stammend aus der Grabkammer der Königin, die in die sieben Vertiefungen des Kästchens passen, dass die beiden in der Nähe ihres Sarkophags gefunden hatten, die ihm jedoch erst kürzlich aus seinem Hotelzimmer gestohlen wurden. Als die Dienerin Mrs. Grant diese wiederum im Wäscheschrank von Trelawnys Tochter findet, erhärtet sich der Verdacht gegen sie weiter. Wir erfahren von Corbeck überdies, dass Tera eine mächtige, in schwarzer Magie versierte Frau war, die von ihrem Vater sehr früh in ihr Amt als Königin eingeführt wurde. Und wie ihr Vater es vorausgesehen hatte, trachteten ihr feindlich gesinnte Priester danach, sie zu stürzen, da sie die Macht des Königstums auf sich übertragen wollten. So kam es, dass man ihren Namen aus der Geschichtsschreibung strich, allenfalls als die Namenlose findet sie noch Erwähnung, denn man glaubte, so hören wir:
„Wen die Götter nicht beim Namen rufen können, dem bleibt die Auferstehung auf ewig verwehrt.“
Tera war zudem im Besitz eines Rubinsteins in der Form eines Skarabäus, der so geschliffen wurde, dass das Licht sich in sieben Richtungen bricht, der ihr auch große Macht über die Götter verlieh. Und diesen Stein, den die beiden in ihrem Grab fanden – sie hielt ihn mit beiden Händen geschützt auf ihrer Brust über dem Herzen liegend – verwahrt Trelawny, der bis zum Schluss an der Entzifferung der Hieroglyphen in ihrem Sarkophag arbeitete, in seinem Tresor. Doch Tera hatte vorgesorgt, sich lebendig einbalsamieren und mumifizieren lassen. Sie plante ihre Auferstehung in einem anderen Land, zu einer anderen Zeit, im Norden, unter dem Sternbild des Großen Wagens, das sich in der Anordnung der Vertiefungen des Kästchens wiederholt. Und Abel Trelawny war und ist, einem Diener gleich, gewillt ihrem Willen nachzukommen, ihr wieder ins Leben zu verhelfen.
Die wichtigste Information aber, die Dr. Corbeck den Anwesenden zu geben weiß, ist diese: Abel Trelawny öffnete das Grab Teras genau zur Zeit von Margarets Geburt in London, die seine Frau nicht überlebte.
Trelawny erwacht wieder und gibt selbst an, dass es die Tigerkatze war, die ihn angegriffen hat. Tera habe sie mit übernatürlichen Kräften ausgestattet, um an das Amulett im Tresor zu kommen. Und da sich auch die Gestirne in der richtigen Position zur Erde befinden, nimmt die Geschichte ihren vorhersehbaren Lauf: Margaret spricht mehr und mehr in Worten Teras, was auch Malcolm bemerkt, der sich nicht mehr sicher ist, ob es noch ihre Augen sind, die er sieht, oder die einer anderen Frau. Die Mumie wird von ihren Binden befreit: Tera hat die Zeit offenbar gut überdauert. Zudem findet sich auf ihr liegend ein weißes Hochzeitsgewand. Die Leuchten werden in die Vertiefungen des Kästchens gesteckt, Zedernöl wird in sie eingefüllt, und auch das Amulett der sieben Sterne wird ihr wieder auf die Brust gelegt …
„Bring‘ mich ins Leben zurück! Vollzieh‘ das Ritual! Tu es! Jetzt! Es ist die Zeit.“
Margaret stöhnt, schreit, zittert. Alles taucht in einen dichten Nebel. Keiner sieht was eigentlich vor sich geht. Und als es sich wieder lichtet, findet sich überall Staub. Doch von Tera … : keine Spur. Einzig ihr Hochzeitskleid liegt zurückgeschlagen da, als ob ihr Körper, der darunter lag, aufgestanden wäre. Trelawny und Dr. Corbeck sind enttäuscht. Nur Margaret und Silvio wirken auf den Hörer durchaus in ihrem Wesen verändert.
Und so blieb, erzählt Ross, das Verschwinden der Königin ein Geheimnis. War sie wirklich nur zu Staub zerfallen?
Ross, der ebenso traurig darüber ist, dass Tera nicht zu einem neuen Leben, in einer neuen besseren Welt erwacht sei, in der ihr Herz schlagen dürfe, wird von Margaret mit folgender Antwort getröstet:
„Sei ihretwegen nicht traurig, Malcolm. Wer weiß, ob sie nicht doch fand, was sie suchte. Vielleicht übersteigt ihre Art der Auferstehung bloß unser bescheidenes Vorstellungsvermögen. Sie träumte ihren Traum und ich fühle, dass sie nun zufrieden und endlich zur Ruhe gekommen ist.“
Wie schon erwähnt, arbeitet Titania Medien hier mit der Fassung von 1912, einer, die ein glücklicheres Ende entwirft als das Original, das im Bastei Verlag unter dem Titel Die sieben Finger des Todes erschienen ist. Das mag daran liegen, dass Stokers Leser schon zu seiner Zeit, aufgrund der diffusen Story, verwirrt reagierten. Sie konnten nicht begreifen, blieben perplex zurück, auch weil sie ein Happy-Ending seiner Romane gewohnt waren. Denn im Original überlebt keiner außer Malcolm Ross, der am Ende der Auferstehungszeremonie im Nebel über einen Körper stolpert, von dem er glaubt, es sei Margarets. Die Treppe hinauf im Dunkeln, birgt er ihn in einer Halle. Geht jedoch noch einmal zurück, um Streichhölzer zu suchen, da es im ganzen Haus dunkel ist. Als er zurückkommt, findet er nur noch das Hochzeitskleid am Boden liegend, auf dem nun auf Herzhöhe der Ring funkelt, den die Klaue an einem der sieben Finger trug. Die Klaue, die ihre Opfer traktierte. Nicht etwa der verdächtige Perserkater Silvio oder, wie wir später in der alternativen Fassung erfahren, die Tigerkatze der Königin.
Eine Londoner Zeitung, The Saturday Review, schrieb:
„This book is not one to be read in a cemetery at midnight … but it does not quite thrill the reader as does the best work in this genre … It is due to Mr. Stoker to say that his wild romance is not ridiculous even if it fails to impress.“
Die Klaue muss weichen
Warum um Himmelswillen ist man nicht bei der Klaue geblieben? Zu abstrus und unfreiwillig komisch erscheint mir der Versuch einer Magierin, eine Katze dazu zu bewegen, einen ausgewachsenen Mann vor einen Tresor zu zerren, der den Schlüssel für diesen an seinem Handgelenk trägt. Wohlgemerkt: Mit Pfoten einen Schlüssel verwenden! Selbst dann, wenn es eine Tigerkatze ist. Das hätte mit einer Klaue doch viel besser funktioniert! Auch der kurze Hinweis auf die sieben Buchstaben des Kombinationsschlosses, die keiner kennt, führt ins Leere. Sieben Buchstaben. – O.k.. Denn mit der Zahl 7 können wir etwas anfangen. Aber was für Buchstaben? Das wird nie geklärt. Und auch überhaupt nicht weiter darauf eingegangen. Und welche Motivation hat eine Königin, die ihre Zeit, die von einem Patriarchat geprägt wurde, das sie zu unterdrücken versuchte, floh, ihre Lider in einem viktorianischen England – nicht gerade eine HochZeit für Frauen – wieder aufzuschlagen, um einen Anwalt zu heiraten, den sie gar nicht kennt? Denn – wir erinnern uns – all das wurde von ihr sorgfältig geplant. Ihr neues Leben unter dem Gestirn des Großen Wagens.
Was ist sie nun? Auferstanden? Oder ist es doch eine Art von Wiedergeburt, eine Reinkarnation, da ihre Graböffnung zeitlich mit der Geburt Margarets vonstatten lief? Wir wissen es nicht genau. Und darauf kommt es in diesem Fall ja auch nicht an. Genaues Wissen. Aber allzu Abstruses …?
Warum Warum Warum …
Warum hat Stoker?
Warum hat Titania Medien?
Offengestanden, ich kann es Ihnen nicht beantworten. Kann nur mutmaßen, dass man auf ein Happyend gesetzt hat (denn eines stand ja zur Auswahl), versucht hat die Atmosphäre der damaligen Ägyptomanie einzufangen. Und ich muss sagen: Ja, das ist gelungen! So funktionierte es für mich die ersten 15 Minuten. Dann aber hängt sich die Geschichte leider an ihrem Verlauf auf. Darüber kann Titania Medien mich nicht hinweg hören lassen. Ein wenig schade ist es, und doch Stoker in die Schuhe zu schieben, dass er mit seiner Tera, eine in ihrer Anlage doch starke Figur, die sehr in ihren Zügen an die historische Hatschepsut erinnert, nicht mehr anfangen konnte: Das gilt für beide Fassungen gleichermaßen, egal ob Stoker von Verlegern genötigt wurde, eine neue aufzusetzen, obwohl ich selbst doch die originale präferiere. Die mit der Siebenfingerklaue.
Ach ja, etwas kann ich Ihnen aber doch noch anbieten als alte Anagrammiertante:
Tera (grch. téras: Ungeheuer) kommt im Namen Margaret vor. In den letzten vier Buchstaben. Von rechts nach links gelesen.
Ob das nun ein Zufall ist oder eine Spinnerei meinerseits, …
… wer weiß das schon!
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