Boulevard der Dämmerung

Eine genial guter Film: Boulevard der Dämmerung. Nicht mehr taufrisch, aber zeitlos einzigartig für all diejenigen, denen der Blick hinter die Kulissen weltberühmter Träume, Sehnsüchte und Illusionen als ganz großes Kino gilt. Ich liebe diese Geschichte. Joe Gillis, ein junger Drehbuchautor, attraktiv, charmant, ehrgeizig, aber erfolglos und dementsprechend knapp bei Kasse, gerät in die Fänge, gleichwohl den Bannkreis einer älteren Frau, der ehemals sehr berühmten Schauspielerin Norma Desmond, die nicht damit klar kommt, dass niemand sie mehr auf der Leinwand sehen will. Sie war ein Stummfilmstar. Den Ton hatte sie nicht geschafft. Und Aus. Aber nicht für die Desmond. Die inszeniert ihre eigene Wahrheit, Joe spielt die Lüge mit. Nicht uneigennützig. Er gaukelt ihr Liebe, zudem die ersehnte Bewunderung vor, schreibt scheinbar gefällig und eher genervt an ihrem eigenen Drehbuch herum, mit ihr in der Rolle der Salome, bekräftigt sie in ihrer Hoffnung auf ein fantastisches Comeback. Alles geheuchelt. Ein Drama bahnt sich an. Am Ende erschiesst sie ihn und ist komplett dem Wahn verfallen.

Die Geschichte beginnt mit Gillis als Leiche. Er treibt im Pool. Eben ausgerechnet dort, wo er so gern seinen persönlichen Platz an der Sonne genossen hat. Und erzählt, wie es dazu kam. Er erzählt trocken, sarkastisch, keineswegs anklagend, aber verständlicherweise wenig amüsiert über sein unverhofftes Ableben. Er wollte sich trennen. Schluss machen mit der Lady. Ganz einfach. Und unterschätzte komplett ihren irren Narzismus.

Gloria Swanson, Hollywood-Legende der Stummfilmära, spielt die Diva Norma Desmond. Und Norma ist eine, jawohl, Hollywood-Legende der Stummfilmära. Gealtert, (fast) vergessen, isoliert, verblüht. Verstört. Sie lebt trotzig im Gestern. In einem der mittlerweile heruntergekommenen Protzbauten am Sunset Boulevard, die den Stars des Kinos der 1920er Jahre gehörten. Die dann keine Stars mehr waren, weil der Tonfilm sie schluckte und nicht mehr ausspuckte. Kein Wort von ihnen. Nur ungehörte Seufzer.

William Holden und Gloria Swanson; (c) Paramount Pictures

Vom Olymp herunter auf den Boden gestürzt, unheilbar verwundet und gnadenlos verblassend auch als Erinnerung. Traurig, so was. Mary Pickford, Pola Negri, Mae Murray, Louise Brooks, Asta Nielsen, Clara Bow passierte das. Waren mal wirklich ganz Große vor dem Tonfilm. Wie die Swanson eben. Und nun sie nach langer Zeit der Stille in Billy Wilder’s „Boulevard der Dämmerung“ aus dem Jahr 1950 repräsentativ als Norma Desmond. Eine von ihnen.

Vom Olymp herunter ins Vergessen

Besser passt’s nicht. Sollte man meinen. Nun kam Gloria Swanson tatsächlich mit ihrem Karriereaus, das um 1930 erfolgte, recht gut zurecht. Sie spielte Theater, entwarf Kleider, arbeitete für das Radio, hatte sogar eine eigene lokale Fernsehshow und wurde 1948 vom Life-Magazin zur „schönsten Großmutter Amerikas“ gekürt. Da war sie neunundvierzig und hatte noch eine bunte Packung an Jahren vor sich. Gestorben ist sie 1983 als eine, die ihr Leben schlichtweg weiter ordentlich angepackt hat.

Ganz anders Norma Desmond. Die ist eine komplett tragische Figur. Völlig überdreht in ihrer Vorstellung, immer noch die Berühmtheit zu sein, die sie einst war. Arrogant, affektiert, versnobt, Erscheinungsbild eine Femme Fatale aus den 1920ern, die steckengeblieben ist in ihrer Zeit und Welt, ohne mit ihrem Alter und vor allem der Realität vernünftig umgehen zu können. Ihre große Kollegin Greta Garbo hätte auch nie einen Dialog nötig. Behauptet Norma. Ignoriert dabei (oder weiß es gar nicht), dass die Garbo durchaus problemlos den Übergang zumTonfilm gemeistert hatte. Seit 1941 aber trotzdem nie wieder drehte.

Normas Umgang mit dem, was sein sollte und muss, tatsächlich aber anders ist, kommt dem nach oben strebenden Drehbuchautor John Gillis insofern zugute, dass er profitiert von ihrem Wahnwitz.

Er zieht in ihrer Villa ein, wird ihr Liebhaber. Gibt für sie die Frau auf, die tatsächlich für ihn zählt. Die hübsche, scharfsinnige Produktionsassistentin Betty. Denn wahrhaftig gefällt es ihm, in verstaubtem Glamour zu leben. Zumindest eine Weile.

Marlon Brando wollte man (noch!) nicht

Gillis alias William Holden, der ihn spielt, sieht sehr gut aus. Für die Rolle wollte Regisseur Billly Wilder auch einen ausgesprochen anziehenden Schauspieler haben, das liegt bei der Story ja auf der Hand. Dem Publikum bereits bekannt sollte der aber schon sein, deshalb wurde aus dem Vorsprechen eines 24jährigen Vollblutkerls auch nichts, bei dessen Namen (noch!) nichts zündete. Er hieß Marlon Brando. Der wäre, – auch! -, durchaus wirlich nett gewesen. Wilder fasste dann Montgomery Clifft ins Auge. Der lehnte aber ab, wohl auch, weil er sich selbst zu der Zeit in einer Liebesbeziehung mit einer deutlich älteren Schauspielerin befand. Da befürchtete er, dass Parallelen gezogen werden könnten in der Klatsch- und Tratschpresse, zumal die Filmindustrie permanent Moral predigte. Wilder fragte Gene Kelly, der war anderweitig beschäftigt. Dann denn sehr populären Fred MacMurray, dem es aber nicht passte, einen Gigolo spielen zu müssen. Letztendlich entschied man sich für William Holden, der bei Paramount unter Vertrag stand und als vielversprechend galt. Gute Wahl, Treffer.

Die alte Diva: Mondän, schrill, zerfressen

Für die Rolle der Norma waren im Vorfeld auch Mary Pickford (Jahrgang 1892) und Mae West im Gespräck. Die Pickford, zu ihren Glanzzeiten in den 1910ern und 1920ern bestbezahlte Frau in Hollywood, zeigte Allüren und wollte das Drehbuch ändern. Ging gar nicht. Sex-Ikone Mae West fühlte sich mit siebenundfünfzig gefühlt und optisch eindeutig zu jung für die Besetzung mit ihr als gealterter Diva. Und dann fragte Wilder die Swanson, die er eh als Ideal auserkoren hatte. Sich aber nicht so recht getraut hatte, weil sie unerreichbar schien. Siehe da, sie sagte zu. Gern sogar. Gab alles. War komplett die Frau, die sie verkörperte: Mondän, schrill, zerfressen.

Es wurde die Rolle ihres Lebens, weil es eben dieser Film ist, der sie auch für ein späteres Publikum begrifflich machte. 1951 brachte er ihr als Hauptdarstellerin den Golden Globe, den auch Billy Wilder für die Regiearbeit erhielt. Mit 11 (!) Nominierungen ging Boulevard der Dämmerung, im Original Sunset Boulevard, in die Oscar-Verleihung 1951, gewann in den Kategorien Musik, Szenenbild und Originaldrehbuch. Als bester Film hatte damals All about Eve mit der großen Bette Davis die Nase vorn, auch eine Story vom Umgang mit verblassendem Erfolg und Ruhm, die im Theatermilieu spielt. Gleichwohl, Boulevard der Dämmerung erhielt zahlreiche Auszeichungen und gilt bis heute als eines der großartigsten Machwerke der amerikanischen Kinogeschichte.

Die Swanson komisch! Nur Chaplin lacht nicht.

Der Film hat wenig sonnige, etliche dramatische, kaum komische Momente. Wenn Norma sich als Charly Chaplin kostümiert und Joe eine private Show bietet, ist das freilich amüsant. Die Swanson macht das herrlich gut. Fand übrigens nur einer nicht. Chaplin selbst. Der rümpfte die Nase: „Geschmacklos.“

Chaplin gehörte (natürlich!) auch nicht zu der kleinen Garde ehemaliger Stummfilmgrößen, die Wilder als Nebendarsteller gewinnen konnte. Wie den traurigen Clown Buster Keaton, die legendäre Boulevardpresse-Queen Hedda Hopper, die Schauspielerin Anna Q. Nilsson und Regisseur/Schauspieler Erich von Stroheim in einer durchaus tragenden Rolle als Normas Butler, Chauffeur und tatsächlich Ex-Gatte Max von Mayerling. Er ist ihre treue Seele, schreibt Fanpost für sie, damit sie glaubt, da draußen immer noch vergöttert zu werden. Das ist von ihm ansatzweise lieb gemeint, aber völlig falsch. Denn Normas Wahn schürt er. So will Starregisseur Cecil B. DeMille, der sich selbst spielt und sechs Jahre später mit seinem Monumentalhammer Die zehn Gebote einen weltweiten Jahrhunderterfolg feiert, sich für sein neues Leinwandprojekt Samson und Delilah Normas imposanten Oldtimer, einen Isotta Fraschini, ausborgen.

Starauftritt im Rampenlicht der 1920er

Norma lässt sich darauf hin, begleitet von ihrem jungen Galan Joe und gestyled wie für einen glamourösen Starauftritt im Rampenlicht der 1920er, von Mayerling zu den Paramount-Studios fahren in der festen Überzeugung, ihr alter Freund und Wegbegleiter DeMille habe ihr eine Hauptrolle anzubieten. Eben die der Salome in ihrem eigenen Skript. DeMille ist aber nur an ihrem Auto als Filmutensilie interessiert. Die Situation ist peinlich für alle am Set. Nur Norma kriegt Wesentliches gar nicht erst mit. Wieder zurück in ihrer Villa, betreibt sie Schönheitspflege. Volles Programm. Sie will (wieder!) umwerfend ausssehen. Denn im Hollywood-Buisiness zählt die Makellosigkeit. Die Frische. Die Jugend. Und wenn die längst passé ist, zaubert man sie sich mit Cremes, Make-Up, Massagen und Gymnastik zurück. Versucht es zumindest. Norma kennt das Geschäft von der Pike her. Es ist gnadenlos. Es verzeiht das Altern nicht. Es schmeißt einen raus und weg ins Nichts, wenn man nicht mehr ins Schema passt.

Billy Wilder geht schon recht zynisch, zweifellos schonungslos wahr mit der Thematik um. Er zeigt ein unbarmherziges Geschäft, in dem nur gilt, wer der beste Verkäufer ist. Als Schauspieler. Als Drehbuchautor. „Nestbeschmutzer“, schimpfte MGM-Gründer Louis B. Mayer nach Begutachtung des Films über Wilder. Dem Publikum freilich gefiel der „Verrat an Hollywood“ ausgesprochen gut. Mehr als gut.

Und wenn zum Schluß die Swanson die Treppe in ihrer Villa herunter schwebt mit diesem irren Sehnsuchtsglanz in den Augen und denkt, sie sei die Salome, und da unten stände DeMille, – es ist Mayerling – , da unten ständen Fans, – es ist die Polizei – , und die Fotografen wären da für Hochglanzfotos des alten, neuen Stars, dann weiß man, was genial gemacht und gedacht genannt werden darf. Die Presse ist auch tatsächlich für Norma gekommen. Natürlich. Sie ist eine Mörderin. Die nicht mehr realisieren kann, was passiert ist. Wie und warum. Genaues sagen könnte nur Joe. Der freilich ist tot. Von Beginn des Films an ist er tot. Und erzählt, wie alles begann.

Toller Einstieg in eine Geschichte mit viel Film-Noir-Klasse und manchmal auch groteskem Gruselschauer. Pefekter Einstieg? Für Billy Wilder nicht so ganz. In der Ursprungsversion liegt Joe im Leichenschauhaus und spricht mit anderen dort liegenden Verstorbenen über ihre Todesursachen. Und dann legt er los. Die Szenerie fiel durch. Bei der ersten Probeaufführung wurde gelacht, als Joe der Zettel an den großen Zeh geknotet wurde. „Das muss doch kitzeln!“ Allgemeine Heiterkeit schwebte Wilder nun nicht grad vor. Also warf er William Holden ins kalte Wasser. Besser so!

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