Das Geheimnis des Schneemanns (Nicholas Blake)

Spätestens nach dem sensationellen Erfolg des Filmes Knives Out von 2019 war zu erkennen, dass der klassische Kriminalroman gegenwärtig eine Renaissance erlebt. Das schlägt sich zwar in unseren Breitengraden erst langsam nieder, aber auch hier ist das Interesse an der Cosy Mystery und am Whodunit wieder gewachsen. Mit den Übersetzungen klassischer Romane sind wir gegenüber aktuellen Erscheinungen gut aufgestellt, um so verwunderlicher ist es, dass der siebte Band der Nigel-Strangeways-Serie, der als einer der besten Krimis aller Zeiten in mindestens zwei relevanten Büchern zu diesem Thema aufgelistet wird, erst jetzt das Übersetzungslicht der Welt erblickt.

Macht aber nichts, denn jetzt ist er da. Klett-Cotta hat sich dieser Sache erfolgreich angenommen. Dennoch bleibt bei der Nigel-Strangeways-Reihe der bittere Beigeschmack einer Rumpfserie, denn im Gegensatz zu vielen anderen Krimireihen hat der Leser einiges davon, wenn er die Strangeways-Serie der Reihe nach liest. Was eigentlich gar nicht so einfach ist, weil viele Bände völlig willkürlich und durcheinander in unterschiedlichen Verlagen erschienen sind und außerdem längst vergriffen.

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Fantasy ist das Spiel des Geistes

Fantasy verhält sich zur Literatur wie Liebe zum Leben. Anders: Fantasy ist lebensnotwendig. Das sind in der Tat starke Worte; der eine Satz stammt von einem Autor, der andere von einem Psychoanalytiker. Die besten Werke der Phantastischen Literatur wurden in der Sprache der Träume verfasst, sagt George R.R. Martin, und er sagt weiter:

Fantasy ist Silber und Scharlachrot, Indigo und Azurblau, ein Obsidian, durchzogen von Adern aus Gold und Lapislazuli. Realität hingegen ist schlammbraunes Sperrholz, olivfarbenes Plastik. Der Geschmack der Fantasy erinnert an würzigen Pfeffer, an Honig, an Zimt und Nelken, an vorzügliches rotes Fleisch und an Weine, süß wie der Sommer. Realität ist Bohnen und Tofu mit einem Aschegeschmack. Realität ist das Einkaufszentrum von Burbank, die Schornsteine von Cleveland, eine Tiefgarage in Newark. Fantasy steckt in den Türmen von Minas Tirith, in den alten Steinen von Gormenghast, in den Hallen von Camelot. Fantasy fliegt mit den Flügeln des Ikarus, Realität mit Southwest Airlines. Warum sehen unsere Träume so klein aus, wenn sie endlich wahr geworden sind?

Wir lesen Fantasy, um die Farben wiederzufinden, denke ich. Um starke Gewürze zu schmecken, und um die Lieder zu hören, die die Sirenen sangen. Es gibt da etwas altes und wahres innerhalb der Fantasy, das mit etwas, das tief in uns verborgen liegt, kommuniziert; dieses Etwas, das als Kind davon träumte, eines Tages durch die Wälder der Nacht zu jagen, um ein Fest in den Höhlen des Merlin zu feiern, um eine Liebe südlich von Oz zu finden oder nördlich von Shangri La.

Sie können ihren Himmel behalten. Wenn ich sterbe, will ich nach Mittelerde.

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Micky Maus (Die Ikone der Popkultur)

Micky Maus gehört sicherlich zu den bekanntesten popkulturellen Persönlichkeiten der Geschichte. Seit seiner Einführung im Jahre 1928 ist Disneys legendäres Wahrzeichen in ausschließlich allen Medien und Variationen zu haben. Künstler von Saul Steinberg bis Andy Warhol haben ihn gefeiert und kritisiert. Für manche ist die Micky Maus sogar der Comic-Charakter schlechthin. Auch wenn in den vergangenen Jahrzehnten der Stern etwas zu verblassen scheint, wäre es noch untertrieben, hier einfach nur von einer Erfolgsgeschichte zu sprechen.

Vielmehr ist Micky Maus ein Symbol, das über sich hinausragt, der Grundstein für eine einzigartige amerikanische Kunst, die Innovationen in Film, Musik und Malerei vereint (und sogar geschaffen) hat. Micky ist von einer Cartoon-Figur zu einer beeindruckenden Kulturmaschine geworden, die sich auch heute noch mit nichts vergleichen lässt. Diego Rivera bezeichnete Micky als echten Helden der amerikanischen Kunst und Walter Benjamin schrieb, dass sich die Öffentlichkeit bei Micky in seinen Handlungen wiedererkennt.

Die erste Maus war ein Kaninchen

Walt Disney
Walt Disney in Paris

Wären die Dinge in den 1920ern jedoch ein wenig anders gelaufen, wäre die große Ikone der Popkultur vielleicht ein Kaninchen gewesen. Disney war ein noch junger Animator, der eine Serie namens Alice Comedies produzierte, Kurzfilme, die echte Darsteller mit animierten Bildern kombinierten. Aber er war der Serie überdrüssig geworden und wollte komplett zum animierten Film übergehen. 1927 ging dieser Wunsch in Erfüllung und er durfte für Universal eine Cartoon-Serie produzieren. Disney wählte ein Kaninchen, dessen Name bei Universal tatsächlich aus einem Hut gezogen wurde.

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Mord im Gewächshaus / Elizabeth C. Bunce

Wenn man bedenkt, dass ich jeder guten Geschichte hinterher jage, die es verdient, gelesen zu werden, ein Faible für den englischen Krimi habe – für das Englische überhaupt -, und mich am liebsten im Zeitalter der viktorianischen Gaslaternen herumtreibe, dann wird vermutlich klar, warum ich mich auch für die Ermittlungsarbeit der Myrtle Hardcastle interessieren könnte, einer brillanten jungen Dame aus gutem Hause, ins Leben gerufen von der amerikanischen Schriftstellerin Elizabeth C. Bunce.

Natürlich ist Myrtle nicht die erste jugendliche Detektivin, das war „New York Nell“, die in den 1880er Jahren ihre Fälle als Junge verkleidet löste. Es folgte Nancy Drew, die in den 30ern von Edward Stretemeyer erschaffen wurde. 1948 kam dann Trixie Belden hinzu, und nicht vergessen werden darf Enola Holmes, die jüngere Schwester von Sherlock Holmes, die seit 2006 von sich reden macht. (Diese Reihe ist übrigens auch beim Verlag Knesebeck erhältlich). Es gibt noch zahlreiche andere sogenannte Mädchendetektive, wobei mir das Wort nicht gefällt. Es sind Detektivinnen mit einer feinen Spürnase und einer erfrischenden Intelligenz. Tatsächlich sind sie immer die klügsten Personen im Raum, und ihre waghalsigen Heldentaten haben es Mädchen ermöglicht, Identitäten zu erforschen, die im wirklichen Leben kaum erreichbar sind.

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Stephen King Re-Read: Brennen muss Salem

In den agnostischen und sexuell freizügigen 1970er Jahren war der Vampir bereits seiner Mythologie beraubt und zu dem verkommen, was King „die Bedrohung durch das Lächerliche“ nannte. In deutlicher Abkehr von dieser Tradition reduzierte er den sexuellen Aspekt des Vampirs und verlieh dem Archetyp eine völlig neue Bedeutung, indem er seine Anziehungskraft auf den menschlichen Wunsch ausrichtete, seine Identität in der Masse aufzugeben.

Kings wichtigste Neuerung bestand jedoch darin, dass er eine mythische Kleinstadt im Sinne der amerikanischen Schauerliteratur imaginierte und diese Stadt selbst zum Monster machte; die Bevölkerung, normalerweise Opfer des Vampirs, wird hier als hirnlose Masse zur Bedrohung, als Pestwolke oder primitive Horde.

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Stephen King Re-Read: Susannah

Deutlich kürzer als „Wolves of the Calla„, ist „Song of Susannah“ ein rasantes Sammelsurium an Verrücktheiten mit dem Hauptziel, den Höhepunkt der Serie vorzubereiten.

Zusammen mit dem vorherigen ist dieses Buch in einem fast schon irrwitzigen Tempo entstanden. Bis dahin ließ sich King zwischen den einzelnen Teilen sehr lange Zeit, aber zwischen der Veröffentlichung von Glas und Wolfsmond geschah etwas Entscheidendes im Leben des King. Bei einem Spaziergang in der Nähe seines Hauses wurde er von einem Lieferwagen angefahren und so schwer verletzt, dass er das Schreiben aufgeben wollte. Das tat er nicht, er ist einer der wenigen Besessenen, aber er machte sich Sorgen darüber, den Dunklen Turm niemals abschließen zu können, wenn er jetzt nicht dran blieb. Die letzten drei Bücher wurden deshalb in halsbrecherischer Geschwindigkeit geschrieben und veröffentlicht, alle innerhalb von zwei Jahren.

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Robert Galbraith: Der Seidenspinner (Cormoran Strike #2)

Es ist fast unumgänglich, dass nahezu jede Besprechung von Rowlings großartiger Krimireihe, die 2013 mit Der Ruf des Kuckucks ihren mehr als soliden Start markierte, mit Hinweisen auf Harry Potter gespickt ist. Es ist fast zu schade, dass ihr Pseudonym Robert Galbraith so früh schon gelüftet wurde, die Rezensionen sähen anders aus. Und wie man sieht, komme auch ich nicht umhin, ihre berühmten Kinder- und Jugendbücher zu erwähnen.

Dass Rowling eine herausragende Autorin ist, kann nur ein Dummkopf bestreiten. Dass sie einen soliden Krimi schreiben kann, war deshalb keine große Überraschung.

Im ersten Roman folgten wir Cormoran und seiner neuen Sekretärin Robin Ellacott, wie sie den mysteriösen Tod des Models Lula Landry aufklärten. Strike litt noch unter der Trennung von seiner verlobten Charlotte und sein Detektivgeschäft ging gerade den Bach runter. Im „Seidenspinner“ geht es aufwärts: Das Geschäft boomt, es gibt jede Menge Kunden, und Cormoran kann es sich sogar leisten, nicht mehr in seinem Büro wohnen zu müssen.

In „Der Seidenspinner“ begibt sich die Autorin auf ein Terrain, das dunkler und verstörender ist als dieser – bereits gelungene – Auftakt. Rowling hat nicht lange gebraucht, um sich in diesem Genre nicht nur umzusehen, sondern auch gleich ein Spitzenwerk abzuliefern, das viele ihrer langjährigen Kollegen auf die Plätze verweist.

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Colin Dexter: Zuletzt gesehen in Kidlington (Inspector Morse 2)

Zuletzt gesehen in Kidlington

Vor mehr als zwei Jahren verschwand Valerie Taylor, eine siebzehnjährige Schülerin der Roger Bacon School in der Nähe von Oxford, unter mysteriösen Umständen. Inspector Morses Kollegen von der Polizei fanden trotz intensiver Nachforschungen nichts heraus. Warum also den Fall jetzt wieder aufrollen, wo die Spuren längst kalt sind und die Erinnerungen verblassen? Sicherlich laufen jedes Jahr Hunderte von Mädchen von zu Hause weg und machen sich auf den Weg zu den hellen Lichtern der Großstadt. Morse bevorzugte eine Leiche: eine Leiche, die eines unnatürlichen Todes gestorben ist. Und sehr bald bekommt er eine.

Colin Dexters zweiter Roman ist voller roter Heringe, falscher Fährten also, die äußerst unterhaltsam sind, weil Morse sie selbst legt und dann, wenn wir mit ihm in der Sachgasse angekommen sind, wieder verwirft. Morse springt von einer Idee zur nächsten, operiert oft mit ein paar fragwürdigen Fakten und zieht daraus wackelige Schlüsse. Er verzweifelt, nachdem eine Theorie nach der anderen ins Gras beißt, aber am Ende bekommt er doch noch Recht. Es ist eine sehr verschwenderische Art, Detektivarbeit zu leisten, und es steckt nicht viel Logik dahinter; Morse stolpert fast zufällig über die Lösung des Verbrechens. All das macht die Lektüre des Romans zu einer sehr akademischen Übung, und es ist gerade das, was Colin Dexter vom Rest seiner Kollegen abhebt.

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Colin Dexter: Der letzte Bus nach Woodstock (Inspector Morse #1)

Der 2017 verstorbene Norman Colin Dexter formte einen der beliebtesten und berühmtesten Detektive sehr nach seinem eigenen Vorbild. Auch Dexter war ein Liebhaber englischer Kreuzworträtsel (nicht zu verwechseln mit den unsrigen) mit einem blitzschnellen Verstand, ein von Diabetes geplagter Biertrinker und ein Kenner klassischer Musik. Bis zum Schluss kannten die Leser weder den Vornamen des Autors noch den von Morse. Erst später stellte letzterer sich als Endeavour heraus.

Um sich eine Pause von seinen launischen Kindern zu gönnen, begann Dexter 1972, die ersten Absätze eines Kriminalromans zu notieren. Zunächst war es sein einziges Ziel, sich etwas Zerstreuung zu gönnen. Daraus wurden 13 Romane und die beliebteste britische Fernsehserie aller Zeiten mit John Thaw als Inspektor Morse, die bald ein Prequel und ein Sequel bekam. Der letzte Roman der Morse-Reihe wurde 1999 veröffentlicht und beschließt einen Zeitraum von 25 Jahren. Auf der Liste der besten Detektive aller Zeiten rangiert er auf Platz 7, hinter Sam Spade, aber vor Father Brown.

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Robert Galbraith: Der Ruf des Kuckucks (Cormoran Strike #1)

Der Ruf des Kuckucks
Blanvalet

Als „Der Ruf des Kuckucks“ im April 2013 erschien, wurden nur 1500 Exemplare verkauft, was für einen völlig unbekannten Autor dennoch gar kein so schlechtes Ergebnis ist. Als die Sunday Times im Juli des Jahres jedoch verlauten ließ, dass es Hinweise darauf gebe, dass hinter dem neuen Namen Robert Galbraith J. K. Rowling ihr Krimidebüt gegeben hatte, geriet die Welt in einen Kaufrausch und das Buch kletterte ohne Umschweife auf Platz 1 der Amazon-Bestsellerliste.

Natürlich werden da viele Leser, die mit Harry Potter aufgewachsen sind, allein schon aus einer Gewissen Hoffnung auf einen Nostalgie-Effekt zugegriffen haben, auch wenn sie – wie sie schnell bemerkt haben dürften – mit der Krimi-Rowling dann doch nicht besonders warm geworden sind. Das ist keine pure Behauptung; man lese sich nur zum Vergnügen gerne einige negativ bewertete Aussagen zum Buch durch. Da trifft man reihenweise auf enttäuschte Potterheads.

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