Eine Geschichte: Quasimodo und die Monsterbraut

In diesen gewissen Momenten, die dem Gewesenen gehören müssen, stöbere ich auf dem Dachboden der Traumfabrik. Unter den dicken Staubschichten, hinter den von eisgrauen Spinnen mit magischer Sorgfalt gewobenen Netzen befinden sich manchmal unerwartete Kostbarkeiten. Geschichten, die besonders sind.  

Von einigen weiß ich, andere erahne ich. Manche sind noch unentdeckt. Von mir. Und  bleiben ein seltsamer Spuk, mal schaurig, mal schön, romantisch oder grausam, lustig oder traurig, wahr, gelogen oder gut erdacht. Manche finde ich, um sie erzählen zu können. Wie diese  Liebesgeschichte. Im  klassischen Sinn ist sie wohl keine. Vielleicht aber doch.

Auf jeden Fall ist sie außerordentlich. Als Regisseur würde ich sie gern verfilmen. Mit Naomi Watts und Brandon Fraser in den Hauptrollen. Das wäre passend. Irgendwie.

Alte Namen, vom Wind gehaucht

Elsa Lanchester
Elsa Lanchester

Die Geschichte handelt von einer weltberühmten Monsterbraut und einem ebenso berühmten buckligen Glöckner. Elsa Lanchester und Charles Laughton im echten Leben. Schauspieler. Sehr wohl Legenden als solche. Kinder der vorletzten Jahrhundertwende. Tiefstes Hollywood-Gestern.  Alte Namen, wie in morsches Holz geritzt. Vom Wind ehrfurchtsvoll gehaucht. Nie gehört? Sei es darum. Wir kennen die Bilder.

Sie, die weibliche Kreatur, 1935 für das ganz große Kino erschaffen: Silberne, zackige Strähnen in den dichten schwarzen, steif nach hinten frisierten Locken, herzförmiges weißes Gesicht, wie eigens kreiert für die spätere Popkultur, roboterartige Bewegungen, auffällig dunkel geschminkter Kussmund, die großen Puppenaugen, so entsetzt im Angesicht ihres Bräutigams. Frankenstein’s Monster.

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Kompromisslos unselig

Selig die Unwissenden. Oder kompromisslos unselig. Das käme wohl auf die Perspektive an. Manchmal komm ich mir so verflucht scheinheilig vor. Ich schreibe, spüre, sehe Horror. Ich denke ihn. Und liebe ihn, weil ich ihn schmecken und fressen und ohne Magenschmerzen wieder ausspucken kann. Er fügt mir, dir, euch keinen Schaden zu, er unterhält. Hält Luft an. Lockt. Lauert. Lacht. Schreit. Schweigt. Inspiriert. Vielleicht auch das, es bleibt im Kopf und auf dem Papier. Soweit ist das gut. Es ist richtig. Was ich nicht und niemals mache: Horror zu atmen und zu leben. Er ist furchtbar. Ich wäre furchtbar. Viel zu human. Viel zu böse.

Die Menschen müssen begreifen, dass sie das gefährlichste Ungeziefer sind, das je die Erde bevölkert hat.“ (Friedrich Hundertwasser)

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Pan Tau (Der Mann mit der Zaubermelone)

Pan Tau war der nette Mann, der tänzelte, lächelte, zauberte und nicht sprach. Pan Tau war gestern. Wie der Bleistift für den Bandsalat im Kassettenrecorder. Wie Harolds Liebe zu Maude, Flokatis, Hot Pants, Mama Loo, Waterloo und mindestens zwei Kaugummiautomaten auf dem Schulweg. Pan Tau trug Melone zum Stresemann-Anzug, Stockschirm und Nelke im Knopfloch. Er hat sich in unseren Poesiealben eingetragen, das wissen wir noch genau, aber wir blättern das vergilbte Papier durch und finden ihn so recht nicht mehr.

Pan Tau
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Wes Craven: „Blut. Da schreien die Leute!“

Schauergenie Wes Craven verkündete der Gemeinde: „Als Horrorfilm-Macher sage ich: Ich werde euch die absolute Wahrheit zeigen, und sie ist blutig und scheußlich und gefährlich.“

Und genau nach der, so wusste die Regie-Legende, fiebert die hungrige Meute.

Blut. Es ist immer Blut. Da schreien die Leute.“

Wes Craven

Folgerichtig wurde bei ihm zerhackt, zerlegt, zerfetzt, zerschlitzt, gepeinigt, gefoltert und gefressen, im Regelfall immer hübsch blutig. Reines hohles Gemetzel freilich war das nie, die Story ist vorhanden, es wird (auch) erzählt. Und: Der Großmeister finsterer Absichten, der privat keine Horrorfilme mochte (er ängstigte sich), konnte auch durchaus leisere Töne anschlagen. Craven, der vor seinem Sprung ins Haifischbecken Hollywood als Dozent für Philosophie und „Writing“ an der Clarkson University in Potsdam, New York, die Brötchen verdient hatte, drehte 1999 mit der begnadeten Meryl Streep das Melodram „Music of the Heart“. Einfühlsam. Schön. Die Streep wurde für den Oscar und den Golden Globe nomiert. Craven war völlig zu Recht stolz auf seine Arbeit der etwas anderen Art, – Scream 2, ein starkes Genrestück, war zwei Jahre zuvor erschienen -, seine gewaltige Fan-Schar freilich bangte etwas, einige befürchteten Schlimmstes: Dass ein Horror-Maestro sein Gelübde ad acta legen könnte, um fortan mehr an die Psyche und weniger an unappetitlich Eingemachtes zu gehen.

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Femme Fatale (2): Unmoralisch, skrupellos, atemberaubend

Schöne Frauen verwelken, der ganze große Rest wird einfach nur alt. Und die Femme Fatale bleibt ein Bild. Ein Blick. Eine Ewigkeit. Unsterblich, weil sie nicht nur diesen einen speziellen Namen hat. Sie heißt Isabelle. Ava. Rita. Greta. Sharon. Pola. Lauren. Gloria. Manchmal auch Lolita. „Wir sind viele“, raunt sie. Faucht, weil sie einzigartig sein will, zieht an der Zigarette, fährt sich durchs Haar, schmeckt den Whisky, träumt sich in die Nacht und malt ihre Lippen an. Und kokettiert mit ihrem Böse-Mädchen-Image, wenn sie sagt:

Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte, würde ich die gleichen Fehler machen. Aber ein bisschen früher, damit ich mehr davon habe. (Marlene Dietrich)

Marlene Dietrich

Die Femme Fatale definiert eine gewisse Unanständigkeit, auch Skrupellosigkeit als notwendiges Muss, wenn man nicht nur überleben, sondern grundsätzlich besser leben will. Sie verfolgt eigennützig ihre Ziele, schreckt nicht vor Täuschung und Betrug zurück. Sie ist Eva. Delila. Pandora. Helena. Circe. Aggrippina. Die Loreley. Sie stilisiert sich selbst zu einer Göttin. Oder lässt sich stilisieren.

Alma Mahler-Werfel (1879, Wien, – 1964, New York), verheiratet in Reihenfolge mit dem Komponisten Gustav Mahler, dem Architekten Walter Gropius und dem Dichter Franz Werfel, Geliebte des Malers Oskar Kokoschka und weiterer berühmter Männer, die sich um sie in der Wiener und New Yorker Künstlerszene versammelten, nannte sich selbst die „schöpferische Muse“ jener begnadeten Geister. Unzweifelhaft bewegte sie sich als vielleicht für jene Zeit typische Femme Fatale auf blankem Parkett so stilsicher wie im abgedunkelten Hinterzimmer, von sich selbst überzeugt und besessen, auf den einen bestimmten Nenner gebracht von ihrer Freundin Marietta Torberg:

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Gundel Gaukeley (Die sexy Hexe aus Entenhausen)

Sie hat nichts Gutes im Sinn. Stiftet Unruhe, ist eine hinterlistige Diebin und macht richtig Ärger. Gundel Gaukeley ist eine Hexe. Aber nicht irgendeine finstersten Kalibers, die nur gründlich böse zu sein hat, um für Unbehagen zu sorgen. Sie gar ernsthaft fürchten zu müssen. Oder sie schlichtweg nicht leiden zu können. Denn so wirklich konsequent unsympathisch und gefährlich kann selbst die böseste Hexe nicht sein, wenn sie dem Disney-Kosmos entstammt. Zumal, wenn sie eine derart aparte Erscheinung ist: Glattes glänzendes schwarzes Haar, Kleid auf Figur, chice Pumps, ellenlange Wimpern, die Augen mit grünem Lidschatten geschminkt.

Morticia Addams im Visier

Morticia
Morticia; (c) kristenhurkes

Gundel Gaukeley ist schon ein Hingucker. Sollte sie auch sein. Der legendäre Carl Barks (1901 – 2000) hat sie 1961 kreiert und dabei einen bestimmten Typus Vamp aus Hollywoods Horror-Parade im Kopf gehabt: Die gruselig anziehende Matriarchin Morticia aus der Addams Family, schwarze Zauber-Lady par excellence, geheimnisvoll und unantastbar von der Norm in ihren höchst seltsamen Gepflogenheiten.

Ganz so mysteriös und magisch entrückt wie Morticia ist Gundel zwar nicht, aber primär ging es Barks schließlich auch darum, kein typisch hässliches Hexenweib zu erschaffen, dessen Bosheit man schon an seinen Schrumpeln, Warzen und Lumpen erkennt. Gundel sollte auch keineswegs so (relativ) harmlos und doch recht wundersam nett wie Hicksie (eng.: Witch Hazel) sein, die seit 1952 auf ihrem lebenden Besen Urian mit typisch hohem Hexenhut auf der grauen Zottelmähne durch die Comics fliegt.

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Soylent Green: Menschenfleisch

Das Hauptnahrungsmittel der zukünftigen Normalbevölkerung ist eine Mogelpackung. Darauf steht Plankton, darin ist Menschenfleisch.

Soylent
(c) id-iom

So läuft das in in Soylent Green, und damit wäre Wesentliches gesagt für diejenigen, die diesen wahrlich betagten Film nicht kennen und auch nicht gedenken, ihn sich anzuschauen. Die Aufklärung erfolgt (natürlich) zum Schluss. Bis dahin wird, wenn man sich denn auf das Abenteuer einlässt, geguckt, gefiebert, mitgelitten. Mit gewürgt. Vielleicht. Denn was da auf den Tisch kommt…gleichwohl, so soll das auch sein. Immer noch.

Es gibt etliche Filme, die so wahnsinnig gut verblüffend enden, dass man sich ärgert, sie schon gesehen zu haben. Wäre doch großartig, man würde in The Sixth Sense den kleinen Cole zum ersten Mal „Ich sehe tote Menschen“ flüstern hören. Ohne zu wissen, warum Bruce Willis die ganze Zeit so verdammt einsam ist. Norman Bates könnte sich in Psycho noch einmal die Perücke aufsetzen, und wir würden vor Schreck Colaflasche und Popcorn fallen lassen wie unsere Mütter, Väter, Großeltern. Sie im Petticoat, er mit Haartolle, schwer verliebt und völlig erstarrt. Stellen wir uns mal so vor.

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Diese Lust, Angst zu machen

Genial jung, gewünscht wild, gefühlt böse sind T.C. Boyle und seine Leute in Greasy Lake. Zu so einer großartigen Truppe habe ich nie gehört. Ich war schüchtern als Kind, viel zu vernünftig als Teenager und langweile mich als Erwachsene. Sofern ich nicht lese, schreibe und gucke, wonach mein Kopf giert. Das wäre somit geklärt. Boyle kann mich zwar verführen, aber wenn ich ihn zuklappe, brennt immer noch die Nachttischlampe meiner Großmutter, die mich an Milch mit Honig erinnert und an ihr klapperndes Gebiss.

Ich hatte Respekt vor diesen Zähnen. Damals war das, denke ich, tatsächlich sowas wie Angst. Ich fand es gruselig, wenn meine Großmutter sie vor meinen Augen aus ihrem Mund fischte, um sie in ein Glas mit sprudelnder Flüssigkeit zu tauchen. Sie wusste das. Wenn ich bei ihr übernachtete, sagte sie „Zeit für das Gebiss“, sah mich scharf an und sagte: „Nun hab dich nicht so. Bleib gefälligst sitzen.“ Ich könnte schwören, dass sie dabei boshaft gelächelt hat. Durchschaut hatte ich sie eh: Es bereitete ihr Spaß, mir diese Furcht einzujagen, die sie selbst wohl ziemlich albern fand, die ich aber ganz offensichtlich hatte. Warum auch immer, für mich war das nicht normal, ich hatte Gänsehaut. Durchaus. Und Punkt.

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Patrick Bateman: American Psycho

Da mordet jemand recht munter, sehr wohl böse und unverfroren, und während man zuschaut, denkt man sich, dass das nun wirklich grundsätzlich kein Popcorn-Kino ist. Trotzdem knistert es in der Tüte. Weil es zum Entertainment gehört. Vielleicht friert man dabei ein bisschen. Ein bisschen mehr vielleicht. American Psycho verlangt diesen gewissen frostigen Schauer im Kopf. Es bleibt eine ganze Weile kalt.

Verdammt kalt. Und das ist auch das brutal Gescheite an dem genialen Horror-Yuppie-Streifen aus dem Jahr 2000, gedreht von Mary Harron, die erfreulicherweise auf Christian Bale in der Rolle des chic durchgeknallten Wallstreet-Killers in den 1980ern setzte und nicht auf die gleichsam Gehandelten Leonardio Di Caprio oder Edward Norton: Beide phantastisch, aber anders.

Anders als Bale-Bateman, der den legendären Meisterpsychopathen Norman Bates, der in ihm die wirren Gedanken zu sortieren versucht, zum Paten hat. Die Namensgebung kommt nicht von ungefähr, den Blick des irren Beaus teilen sie, und vielleicht hätte sogar Hitchcock sein persönliches Interesse gehabt am zwanghaft wilden Töten, dessen Sinn sich zwar elegant verschlüsselt, aber denn doch auf die simpelst durchdachte Art ergibt:

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Familie Feuerstein: Yabba-Dabba-Doo

Fred Feuersteins Yabba-Dabba-Doo war so unverkennbar wie der Tarzanschrei. Oder das Brüllen des MGM-Löwen, um mal unbeschwert kühn und lustig zu vergleichen. Familie Feuerstein gucken zu dürfen, das war für uns der ganz besondere Fernsehspaß in der Primetime! mit einer Zeichentrickserie, die eben nicht typisches Kinderprogramm war. 113 halbstündige! Folgen rund um die Familie Feuerstein, – die bis dahin übliche Sendezeit für Cartoons dauerte meist nur ein paar Minuten – , wurden seit 1966 im ARD-Vorabendprogramm gezeigt. Gefühlt, erinnert, gewünscht waren das mehr. Vermutlich auch, weil zu passenden Zeitpunkten in über 20 Jahren Steinzeit-Showtime Wiederholungen liefen, die den frühen Babyboomern genauso wie den etwas späteren Jahrgängen den Einstieg in die Steinzeit-Gaudi ermöglichten, sobald der Verstand halbwegs ordentlich einsetzte. Die Küken unter uns kamen mit der Geburt des Privatfernsehens in den Genuss, The Flintstones (Originaltitel) kennenzulernen, etliche weitere Episoden kamen in den nachfolgenden Jahren noch hinzu.

Fred

Die Zeichentrickserie Familie Feuerstein, ursprünglich für Erwachsene produziert und anfänglich sogar mit dem für Sitcoms üblichen Publikumsgelächter unterlegt (das dann flugs wieder entfernt wurde), galt seit ihrem Start im US-TV 1960 weltweit als die erfolgreichste ihrer Art, bis 1989 schier unbekümmert Die Simpsons kamen und sie respektvoll, ansonsten aber herzlich frisch und frech auf schleichenden Sohlen als Quotenhit entthronten.

Überflüssigen Staub angesetzt haben die Feuersteins für uns verklärten Blickes schwelgenden älteren Semester aber mitnichten. Unsere Zeit eben! Und tatsächlich sind sie (natürlich!) auch gar nicht in der echten Steinzeit bei rauem Klima mit rohem Ton und rüden Sitten beheimatet, sondern leben als integrierte Mitglieder einer typisch amerikanischen Mittelschicht des 20. Jahrhunderts in einem irdischen Phantasia-Irgendwo namens Bedrock. Ein gewöhnlich anmutendes Bürgertum ergo, das sich freilich mit recht speziellen, ureigenen Gepflogenheiten auszeichnet. Man haust etwas anders im Örtchen Steintal. Genial anders und beneidenswert unkompliziert trotz all der üblichen Zivilisationstücken und kleinen Gesellschaftsnöte, die auch hier den Alltag bestimmen.

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