Das Lied des Blutes

Anthony Ryan: Das Lied des Blutes (Rabenschatten #1)

Der Roman ist eine unterhaltsame, blutige Fahrt mit einigen wirklich interessanten Wendungen, die dafür sorgen, dass nur wenige Protagonisten glücklich (oder lebendig) herauskommen. Ryans Erzählweise ist ausgezeichnet und kommt ohne die modern gewordenen Bocksprünge aus, die Komplexität vortäuschen, aber oft nur auf wenig Talent hinweisen.

Auch wenn mir nicht alles gefallen muss, was bei Klett-Cotta und der Hobbit-Presse erscheint, bin ich doch immer wieder angetan von den meist geschmackvollen Aufmachungen des Verlags. Leider haben wir hier in Deutschland in den wenigsten Fällen Hardcover im Fantasy-Bereich, oft geht es um das schnelle Geld, und die Verlage werfen auf den Markt, was gerade dem Hype entspricht. Bei der Hobbit-Presse muss man sich nur mal die liebevollen und geschmackvollen Aufmachungen ihres Kerngeschäfts, die Werke von J.R.R. Tolkien, ansehen, um den Unterschied zu erkennen.

Anthony Ryans “Lied des Blutes” kommt also im Hardcover (und natürlich im Paperback); es stellt den Auftakt zu einer großartigen Geschichte, die zwar zu Beginn kein Spektakel abfeuert, dafür aber herausragend erzählt ist. Die Serie hat noch einen weiteren Ableger, einen Zweiteiler, der “Rabenklinge” genannt wird und der ebenfalls bereits vollständig in der Hobbit-Presse vorliegt.

Tatsächlich ist es so, dass hier in Ryans Debüt allgemein bekannte Zutaten miteinander vermischt werden, ein Preis an Innovation ist hier also nicht zu erwarten. Dennoch sind diese bekannten Rezepte hier so gut umgesetzt, dass dies eigentlich keine Rolle spielt und sogar über die zahlreichen angestrengten Versuche, Dinge auf Biegen und Brechen anders zu machen, triumphiert. Eine gute Geschichte ist eine gute Geschichte. Das war früher so und das ist heute so. Und morgen wird es genauso sein. Es kommt nicht darauf an, ob man auf bekannte Muster zurückgreift, sondern wie man das macht.

Derer in England lebende Schotte Anthony Ryan kam sprichwörtlich aus dem Nichts, veröffentlichte 2012 Blood Song zunächst noch im Selbstverlag und ist damit einer der wenigen, die in dieser Szene durch Qualität auffielen, bevor Penguin ihm einen Vertrag über drei Bücher anbot. Dass er einen Abschluss in mittelalterlicher Geschichte hat, merkt man besonders seinen Kampfszenen an, die akribisch ausgearbeitet sind. Seine erzählerische Finesse aber ist wohl angeboren.

Der erste Kniff, den er anwendet, ist der einer Binnengeschichte, denn der Erzähler hier ist ein Schreiber und Historiker, der das notiert, was Vaelin ihm als Gefangener zu berichten hat. Er wird über das Meer gebracht, um sich für seine Verbrechen zu verantworten. Ein Duell auf Leben und Tod ist das einzige Ende, das Vaelin al Sorna, auch bekannt als “Hoffnungstöter”, noch bleibt. Noch rätselhafter ist die Tatsache, dass alle ihn trotz seiner Ketten mit Respekt und Ehrerbietung zu behandeln scheinen.

Vaelin erzählt also seine Geschichte, die davon handelt, wie er als kleiner Junge an den kriegerischen Sechsten Orden übergeben wurde, um zu einer Waffe zur Verteidigung des Glaubens geschmiedet zu werden. Vaelin schließt dabei Freundschaft mit anderen Jungs, die das gleiche Schicksal teilen und so zu Brüdern zusammenwachsen. Sie stehen einer harten Prüfung nach der anderen gegenüber, bis zu jener Prüfung des Schwertes, bei der Vaelin zum ersten Mal wirklich entdeckt, was es bedeutet, wenn seine Ideale verraten werden. Diese Coming-of-Age-Phase nimmt den Großteil des ersten Bandes ein, und tatsächlich sind nicht gerade wenige gestandene Autoren an diesem Tropus schon gescheitert, denn hier trennt sich die Spreu sehr leicht vom Weizen. Viele Details müssen gleichzeitig im Auge behalten werden; Ryan schiebt sich durch diese Passagen wie ein heißes Messer durch Butter.

In der zweiten Hälfte führen Vaelins Heldentaten und sein Idealismus ihn zu einem Pakt mit König Janus. Hier beginnt es richtig interessant zu werden. Obwohl Janus keine große Rolle in der Geschichte spielt, ist er die Spinne, die jenes Netz der Intrigen spinnt, das der Handlung politische Tiefe verleiht. Er ist derjenige, der Vaelin für seine eigenen Zwecke benutzt und stets versucht, sein Vermächtnis zu stärken. Es ist Janus, der Vaelin in den Krieg schickt und damit sicherstellt, dass der Mann ein Held des Volkes ist, dem das Reich folgen wird, um die Handelsrouten des benachbarten Imperiums zu erobern, und es ist Janus, der Vaelin schließlich opfert, um seinen eigenen Sohn zu retten.

Der Roman ist eine unterhaltsame, blutige Fahrt mit einigen wirklich interessanten Wendungen, die dafür sorgen, dass nur wenige Protagonisten glücklich (oder lebendig) herauskommen. Ryans Erzählweise ist ausgezeichnet und kommt ohne die modern gewordenen Bocksprünge aus, die Komplexität vortäuschen, aber oft nur auf wenig Talent hinweisen. Die Welt, in der wir uns hier wiederfinden ist reich an allem, begonnen von geheimen Sekten über bösartige Sklavenhunde bis zu einem Königreich, das die Fähigkeit besitzt, den Boden mit dem Land, in dem unser Held sitzt, aufzuwischen.

Der Weltenbau steht hier nicht im Vordergrund, aber er genügt, um eine vielschichte Landschaft anzudeuten, die sich hinter der Geschichte verbirgt. Ryan versteht es, den richtigen Ton für seine Geschichte zu finden und die Worte perlen nahezu makellos dahin. Besonders herauszuheben sind die Kampfszenen, die nicht weniger fantastisch sind die die Joe Abercrombies. Ryan sorgt dafür, dass der Konflikt klar und verständlich, aber dennoch fesselnd und dramatisch dargestellt wird. Wenn ein Buch so sehr von Actionszenen abhängt wie dieses, ist die Fähigkeit des Autors, sie zu schreiben, von größter Bedeutung für das Lesevergnügen des Romans. Und Ryan macht das absolut perfekt.

Das magische System, um das es hier auch geht, ist natürlich das Lied des Blutes selbst. Es ist interessant zu sehen, wie es funktioniert, und Ryan erklärt es nicht zur Zufriedenheit jener, die auf “Hard Fantasy” stehen. Doch in Wirklichkeit sind mir die Rätsel darüber, wie magische Systeme funktionieren, lieber als pseudowissenschaftliche Erklärungen, die zwar in sich schlüssig sein mögen, aber unterm Strich den Zauber oder die Faszination vernichten. Auffällig ist, dass dieser Band sehr gut für sich allein stehen kann, auch wenn natürlich nicht alle Fragen geklärt werden, und somit auch all jenen Vergnügen bereiten wird, die sich nicht auf eine lange Serie einlassen wollen.

Denjenigen, denen – umgekehrt – einige Informationen fehlen, sei, bevor sie zum zweiten Band -“Der Herr des Turmes” – greifen, der Band “Das Duell der Bösen” empfohlen und dort vor allem die Geschichte “Der Lord Collector”. Ryan hat sie nach eigener Aussage geschrieben, weil er die Figuren, die in den beiden Fortsetzungen der Trilogie auftauchen, genauer kennen lernen wollte. Diese Geschichte spielt etwa in der Mitte der Zeitlinie, die im Lied des Blutes beschrieben wird, zu einer Zeit, in der König Janus mit seiner typischen Rücksichtslosigkeit dabei ist, seinen Einfluss auf das Vereinte Reich vollständig zu festigen.

 

MEP

MEP

Michael Perkampus wurde am 2. April 1969 im Fichtelgebirge geboren. Als Solitär der deutschen Literatur arbeitet er in seinen Texten mit "Bewusstseinsfragmenten" und "Synkopen", einer "philosophischen Phantastik". Von 2005 - 2010 moderierte er die Schweizer Literatursendung "Seitenwind" in Winterthur. Letzte Erzählungen erschienen im Blitz-Verlag unter "Das Kriegspferd", herausgegeben von Silke Brandt. Im Januar 2015 ging das Phantastikon online, später folgte der gleichnamige Podcast. 2018 gab er die Anthologie "Miskatonic Avenue" heraus, deren Namen jetzt für eine Rubrik im Magazin steht. Wer sich für Metaebenen interessiert, sollte sich den Blog "Crossroads" anschauen: https://crossroads.phantastikon.de

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