
Das PHANTASTIKON ist ein Kultur- und Literaturpodcast, der interessante Geschichten aufspürt. Wo immer sich also eine interessante Geschichte verbirgt, versuchen wir sie zu finden.
Oscar de Muriel führt sein Ermittlerduo Frey & McGray im zweiten Fall noch tiefer in die Grauzonen zwischen Rationalität und Aberglauben. „Der Fluch von Pendle Hill“ ist zugleich viktorianischer Polizeithriller, Folk-Horror und Milieustudie über Medizin, Macht und Mythen – temporeich erzählt, atmosphärisch dicht und mit spürbarer Lust am Schauerroman, aus dem sich der Kriminalroman ja dann auch herausschälte.

Oscar de Muriel führt sein Ermittlerduo Frey & McGray im zweiten Fall noch tiefer in die Grauzonen zwischen Rationalität und Aberglauben. „Der Fluch von Pendle Hill“ ist zugleich viktorianischer Polizeithriller, Folk-Horror und Milieustudie über Medizin, Macht und Mythen – temporeich erzählt, atmosphärisch dicht und mit spürbarer Lust am Schauerroman, aus dem sich der Kriminalroman ja dann auch herausschälte.
Neujahr 1889: In der Irrenanstalt von Edinburgh gelingt einem Patienten die Flucht, eine Krankenschwester stirbt – und die sture, scharfzüngige Lokallegende „Nine-Nails“ McGray sowie der nüchterne Londoner Exilant Ian Frey nehmen die Verfolgung auf. Der Fall ist von Anfang an von Gerüchten über Okkultes umflort; die Spur führt schließlich über verschneite Landstriche hinweg in den Schatten von Pendle Hill, dem sagenumwobenen Schauplatz der Lancashire-Witchcraft-Prozesse.
Das Herzstück sind erneut die beiden ungleichen Ermittler: McGray, der an „Übernatürliches“ zu glauben bereit ist, weil er darin Sinn und Erklärungsmuster findet; Frey, der als klassizistischer Rationalist lieber Methoden und Evidenz vertraut. De Muriel nutzt diese Reibung dramaturgisch – nicht nur als komisches Kontrastmittel, sondern als Erkenntnismotor. Ihre Wortgefechte rhythmisieren die Jagd, und ihre Gegensätze strukturieren die Lektüre: Jede Spur wird im Dialog doppelt gelesen – als mögliches deliktisches Faktum und als kulturelles Zeichen.
Formell ist dieser Fall ein Katz-und-Maus-Plot mit eskalierenden Höhepunkten in verschiedenen Settings wie der psychiatrischen Anstalt. Draußen toben Winterstürme und Grenzen werden überschritten (nicht nur die von Schottland und England, sondern ganz konkret auch die Befugnisse der Protagonisten). Tonal finden wir hier Deduktion. Falsche Fährten und ganz konkret die Motivreihen des klassischen Detektivromans in einer Landschaft, die als psychische Topografie installiert ist; das Unheimliche sickert aus Brauchtum, Gerüchten und Ritualen.
Diese Hybridität macht den Roman lebendig: Er ist nie reiner „Kammerkrimi“, aber auch kein bloßer Schauerroman; tatsächlich lebt er vom Wechselspiel aus Beweis und Beschwörung.
De Muriels Prosa arbeitet mit klaren, treibenden Sätzen, die Action und Lokalkolorit mischen. Besonders stark gelingen ihm die dramatischen Landschaftsbeschreibungen mit viel Schnee, Moor, und Kälte – jede Witterung verschärft hier die Konflikte, jede Wegbiegung wird zum moralischen Prüfstand. Die Dialoge sind bissig, ohne zum Selbstzweck zu geraten; das Tempo bleibt stets hoch, mit kurzen Atempausen für die eigentliche Dtektivarbeit.
Historischer Kontext: Pendle Hill – was 1612 geschah
Die Wahl von Pendle Hill ist kein Zufall. Der Ort ist untrennbar mit den Pendle-Witch-Trials von 1612 verbunden – den berühmtesten Hexenprozessen Englands. Zwölf Menschen aus der Gegend wurden beschuldigt, zehn starben durch den Strang; eine Angeklagte starb vor dem Prozess in Haft. Besonders berüchtigt ist die Rolle der neunjährigen Jennet Device, deren Aussage – in Hexenprozessen explizit zugelassen – maßgeblich zur Verurteilung auch naher Angehöriger beitrug. Die Prozesse wurden vom Gerichtsschreiber Thomas Potts in The Wonderfull Discoverie of Witches in the Countie of Lancaster (1613) protokolliert und prägten das Bild von Pendle über Jahrhunderte.
Auch jenseits des Kriminalhistorischen ist Pendle Hill kulturgeschichtlich aufgeladen. Dass de Muriel seine Ermittler dort enden lässt, verlagert den Fall aus dem Kriminalistischen ins Symbolische: Wer dorthin reist, tritt in ein Archiv kollektiver Angst ein, in dem Recht, Aberglaube, Armut und Konfessionalismus historisch miteinander verschränkt sind.
Der Roman zitiert die Historie nicht museal; er dramatisiert ihre Nachwirkungen. Gerüchte, lokale Erzähltraditionen und Ritualfragmente wirken als soziale Realität, unabhängig davon, ob es „Magie“ tatsächlich gibt. Damit zeigt der Roman überzeugend, wie Mythen als Infrastruktur funktionieren: Sie organisieren Gemeinschaft, markieren Zugehörigkeit – und können Gewalt freisetzen. Die Ermittler müssen folglich nicht nur Indizien sortieren, sondern Erzählungen entkräften.
„Der Fluch von Pendle Hill“ empfiehlt sich – wie überhaupt die ganze Reihe – für Leser, die historische Kriminalromane mit Gothic-Ambiente lieben und Freude an einem pointierten, manchmal ruppigen Buddy-Duo haben – sowie für alle, die sich für die Nachlebensgeschichte der Pendle-Witch-Trials interessieren. Wer Doyle, Fin de Siècle-Atmosphäre und ein Quäntchen Folk Horror mag, wird hier bestens bedient.