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Edgar Poe: Die Maske des roten Todes

Der rote Tod wandert durch das Land. Prinz Prospero hat sich mit seinem adligen Gefolgsleuten in eine Abtei zurückgezogen, und während die Pest draußen wütet, denken sie, sie wären sicher. Sie sind sogar derart überzeugt davon, dass ihnen nichts geschehen wird, dass sie einen großen Maskenball veranstalten. Es gibt sieben Räume, die nach Farben codiert sind, angeordnet von Ost nach West. Der letzte Raum ist in Schwarz und Scharlach gehalten. In diesem Raum gibt es außerdem eine große Uhr, deren Stundenschlag die Gäste stets in Angst versetzt.

Allerdings währt der Schrecken nur bis zum letzten Schlag, bevor die Ausschweifung wieder Fahrt aufnimmt. Plötzlich taucht eine geheimnisvolle Figur auf, was die Anwesenden verwundert, weil doch die Türen der Abtei fest verschlossen sind, um alle infizierten Personen auszusperren. Die Gestalt ist in eine blutrote Robe gekleidet, und ihre Maske ist jenem Gesichtsausdruck nachempfunden, der den Roten Tod begleitet.

Prospero jagt der Gestalt hinterher, die durch jeden einzelnen Raum schreitet, bis sie schließlich den letzten Raum erreicht. Prospero stellt die geheimnisvolle Gestalt dort, die sich zu ihm umwendet und dieser schließlich tot zu Boden sinkt. Die Adligen reißen dem Fremden die Maske herunter und müssen erkennen, dass er kein Gesicht hat. Er ist der Rote Tod persönlich. Selbstverständlich sterben sie alle.

Durch die Art und Weise, wie Poe in fast allen seinen Arbeiten mit Zeichen, Hinweisen und Symbolen arbeitete, beeinflusste er die europäische Avantgarde, hauptsächlich die französische, maßgeblich. Ein Beispiel. Sehen wir uns die sieben farbkodierten Räume etwas genauer an, die von Osten nach Westen verlaufen. Sie sind so beschrieben, das sich leicht der Lauf des Lebens aus ihnen herauslesen lässt. Beginnend mit der Geburt (blau), Kindheit (purpur), Jugend (grün), Reife (orange), Alter (weiß), dem nahen Tod (violett), und dem Tod selbst (schwarz/rot).

Der siebte Raum, in den Prospero den Fremden jagt, repräsentiert also den Tod. Zunächst stirbt Prospero selbst, am Ende der Geschichte aber alle, die den Raum betreten haben.

Poe machte keinen Hehl daraus, dass er Allegorien verabscheute, weil diese den Leser von der Wirksamkeit des Effekts ablenke. Und dieser Effekt ging ihm bekanntlich über alles. Aber wie so oft, hielt sie Poe nicht an seine eigenen Prämissen, die er aufstellte (um genau zu sein, hielt er sich an keine einzige).

Die Erzählung weist keine Charaktere auf, die die glaubwürdige Auslegung einer Allegorie zuließen. Nur Prospero spricht. Sein Name deutet auf Glück und Fröhlichkeit hin, was ironischerweise natürlich nicht der Fall ist. Innerhalb seiner Abtei hat er sich eine Welt nach seinen Vorstellungen erschaffen, mit Masken, die seinen eigenem Geschmack angemessen sind. Diese „Figuren“, die um ihn herum tanzen, sind so sehr ein Produkt des Prinzen Phantasie, dass Poe sie eine „Vielzahl an Träumen“ nennt.

Trotzdem gibt es Deutungsmöglichkeiten. Die Farben der Räume wurde bereits angesprochen, aber auch die Zahl 7 offenbart ihre Symbolik recht eindeutig. Sieben Stationen kennt das Leben, die alte Welt kannte sieben Wunder, man kannte sieben Zeitalter, es gibt sieben Totsünden – überhaupt ist die Zahl 7 eine mystische Zahl. Der Maskenball (oder Tanz) erinnert an die Totentanz-Motive in der bildenden Kunst, die seit dem 14. Jahrhundert immer wieder bearbeitet wurden; hier führt ein Skelett die Leute ins Grab, so wie Prospero seine Gesellschaft ebenfalls in den Tod führt.

Eindrücklich unterbricht das Schlagen der gewaltigen Uhr aus Ebenholz die Erzählung gleichermaßen wie die Feierlichkeiten auf dem Papier. Und obwohl die Uhr ein Objekt ist, gibt Poe ihr menschliche Züge, wenn er von „Lungen, aus denen ein Ton kommt, der überaus musikalisch ist“ und von einem „Gesicht“ spricht.“Die Maske des roten Todes“ ist im Wesentlichen eine Geschichte über den menschlichen Wunsch, dem Tod zu entgehen, und die endgültige Vergeblichkeit eines solchen Versuchs. Der Name des Prinzen Prospero erinnert sowohl an den Begriff für Reichtum als auch an den Shakespeare’schen Zauberer aus „Der Sturm“, dessen Herzogtum usurpiert wurde, und er nutzt seinen Reichtum, um die Herrschaft über sein Land aufzugeben und dem Tod zu entgehen, indem er sich mit tausend seiner Adligen einschließt. So zeigt Poe dessen fatalen Fehler fast sofort, trotz der Dezimierung seines Königreichs  bleibt er glücklich und sorglos und zeigt damit eine grundlegende Trennung zwischen sich und den Bedürfnissen seines Volkes. Sein Glück resultiert nicht so sehr aus Unschuld, sondern vielmehr aus einer verzweifelten Angst vor Traurigkeit und Tod, und die offensichtliche Sündhaftigkeit seines Handelns wird ironisch unterstrichen, als er sich in eine religiöse Abtei einschließt, in der Hoffnung, die Folgen seines Fehlverhaltens mögen fern bleiben.


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